Theater - Tanz

Es geht um die Probleme, die Veta Simmons (Maria Hartmann) und ihre Tochter Myrtle Mae (Annika Martens) mit Onkel Elwood haben. Der wäre eigentlich ein reizender Kerl, wenn er sich bloß nicht pausenlos einbilden würde, mit einem weißen Riesenhasen befreundet zu sein, der gern mit ihm durch die Bars zieht, um „einen Kleinen zu lüpfen“. Auch milder Wahnsinn ist nun mal gesellschaftlich inakzeptabel; gleich im ersten Akt erlebt der Zuschauer, wie eine Dame der Gesllschaft, die eben noch ausgelassen mit dem charmanten Elwood tanzte, nach Erwähnung des Hasen zunächst aus dem Tritt und dann in solche Panik gerät, dass sie bei der übereilten Flucht ihr Federcape in der Tür erwürgt.

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Veta hat die Nase voll und meldet den abgedrehten Bruder in einer luxuriösen Nervenheilanstalt an. Allerdings sind ihre eigenen Nerven bereits so angegriffen, dass ihre Schilderung der Tatbestände etwas wirr klingt. Worauf sie selbst vom athletischen Krankenpfleger zum Beruhigungsbad und Tablettencocktail getragen wird, trotz tapferer Gegenwehr.
Nachdem unter Zuhilfenahme eines überbeschäftigten Anwalts dieser Irrtum aufgeklärt werden kann, soll also tatsächlich Elwood in der Klinik aufgenommen werden. Nicht nur das: Heilung ist in Aussicht! Eine Spritze wird ermöglichen, dass Dowds fragwürdiger Begleiter für ihn in Zukunft so unsichtbar bleibt wie für normale Menschen.
Aber ist das denn so? Nach und nach kommt heraus, dass sowohl Veta als auch der Chef der Anstalt, Dr. Chumley (Markus Stolberg) womöglich ebenfalls in der Lage sind, das Riesenpelztier hin und wieder zu erblicken.

Elwood und Harvey lernen in der Klinik den jungen Psychiater Sanderson (Felix Lohrengel) kennen, der so gar nicht rafft, wie sehr er mit der hübschen Oberschwester Ruth (Katharina Pütter) zusammengehört (als er es dann doch begriffen hat, gibt es allerdings kein Halten mehr).
Sie begegnen außerdem der frustrierten Gattin des Klinikleiters, Mrs. Chumley. Dass die wirklich Grund zum Frust hat, wird spätestens dann deutlich, wenn Dr. Chumley, nach der Begegnung mit Harvey, zusammengekringelt und den Kopf zutraulich in Elwoods Schoß, gesteht, er würde gern von einer robusten Amazone zwei Wochen lang als böser Junge beschimpft werden…
Diese Mrs. Chumley, die müde lächelnd mit ihrem grünen Muff spielt, wird ebenso von Jessica Kosmalla dargestellt wie die im ersten Akt tanzende und fliehende Gesellschaftsdame. Und Kosmalla spielt noch eine dritte Rolle: einen indischen Taxifahrer mit Turban und Schnauzbart, der seinem Geld hinterherläuft und ganz nebenbei mit Lebensweisheit um sich streut. Dabei sieht sie dann aus wie ein sehr melancholischer Kleiner Muck – zum Knuddeln süß!

Die Besetzung ist überhaupt phantastisch, jede Rolle für sich ein Knüller, von Johnny Müller als dümmlichen, aber muskulösen Pfleger – der Nichte Myrtle Mae über alle Maßen gefällt – bis zum gestressten Anwalt (Thomas Cermak), der so lange mit seiner Familie lediglich über die Elektronik kommuniziert, bis sie ihm zu seinem Entsetzen den Stecker zieht.
Das bringt uns zum Hauptdarsteller. Und ich muss sagen: bis vor einer Woche war James Stewart in der Verfilmung von 1950 mein Lieblings-Elwood. Das hat sich geändert.
Nichts gegen James Stewart, selbstverständlich. Seine Darstellung wird immer wunderbar bleiben. Aber Volker Lechtenbrink fügt der Rolle noch einiges an Zauber und Facetten hinzu.
Auch er ist der liebenswürdige Junggeselle, der die Leute wahrnimmt, statt sie überzumangeln, der lächelnd im hektischen Gekreisch seiner Umwelt steht und sie trotzdem lieb hat. Elwood P. Dowd trägt eine unsichtbare rosarote Brille. Durch die kann er nicht nur diesen Púca aus der keltischen Sagenwelt, diesen Harvey, sehen; auch sonst scheint sein Blick wie durch Magie gefiltert und in eine Art Grundzärtlichkeit getaucht. Er hat das Leben und die Menschen lieb. Er hat seine Schwester Veta so lieb, dass er bereit ist, ihr seinen besten Freund zu opfern, wenn der sie denn so zur Verzweiflung bringt.
James Stewart war, als er Elwood spielte, Anfang 40. Da war sein Gesicht noch recht glatt, seine Naivität eher kindlich.

Lechtenbrink ist gerade so alt wie diese bezaubernde Komödie. Ohne Zweifel hat auch er Kinderaugen, schwarze, glänzende. Aber er besitzt darüber hinaus ein Lächeln so voller Weisheit, als hätte er letztendlich keinen mythologischen Hasen nötig, um meditativ und liebevoll zu sein.

Eine sehr, sehr gute Inszenierung von Andreas Kaufmann! Ein grandioser, überragender Hauptdarsteller. Das Publikum jubelte und tobte sehr zu Recht.


Mary Chase (1907-1981) schafft ihren Durchbruch als amerikanische Film- und Theaterautorin 1944 mit "Mein Freund Harvey" ("Harvey"). Das Stück erlebt 1775 Aufführungen am Broadway, wird mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet und 1950 mit James Stewart verfilmt. "Mein Freund Harvey" ist ein märchenhaftes Plädoyer für die Wirkungskraft der Phantasie.

"Mein Freund Harvey" bis 10.1.2014 zu sehen im
Ernst-Deutsch-Theater, Friedrich-Schütter-Platz 1 in 22087 Hamburg
Vorstellungen jeweils um 19:30 Uhr
Karten: von 18,00 bis 37,00 € / Ermäßigungen auf Anfrage / Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Regie: Andreas Kaufmann
Bühne: Thomas Pekny
Kostüme: Svea Schiemann
mit Thomas Cermak, Maria Hartmann, Jessica Kosmalla, Volker Lechtenbrink, Felix Lohrengel, Annika Martens, Johnny Müller, Katharina Pütter und Markus Stolberg.


Fotonachweis: Alle © Oliver Fantitsch
Header: Dr. Chumley (Markus Stolberg) und Elwood (Volker Lechtenbrink).
Galerie:
01.-05. Szenenfotos