Theater - Tanz

Isabelle Hofmann (IH): Sie haben kürzlich den renommierten Pegasus-Preis für Privattheater der Exxon Mobil erhalten. Herzlichen Glückwunsch, Herr Deeken!

Uwe Deeken (UD): Danke! Wir freuen uns unglaublich über diese Auszeichnung.

IH: Der Preis ging diesmal nicht an das Theater für Kinder, sondern an die Hamburger Kammeroper, die Sie 1996 in denselben Räumen gründeten. Was machen Sie mit den 35.000 Euro Preisgeld?

UD: Mit dem Geld finanzieren wir eine Oper von Johann Simon Mayr, die ursprünglich fünf verschiedene Titel hatte. Wir haben sie „Lauter Verrückte“ genannt.

IH: „Mit wahrem Goldgräbertalent gelingt es Barbara und Uwe Deeken sowie dem musikalischen Leiter Fabian Dobler immer wieder, nahezu unbekannte oder vergessene Opernwerke zu entdecken, zu entstauben und zum Glänzen zu bringen“, schreibt die Pegasus-Jury. Das ist wohl wieder so ein Werk?

UD: Ja, Mayr kennt so gut wie keiner mehr. Dabei war er um 1800 ein international berühmter Komponist, der mehr als 60 Opern und 600 Kirchspiele geschrieben hat. Mayr war der Lehrer von Gaetano Donizetti und von Mozarts Sohn. Napoleon wollte ihn sogar nach Paris holen.

IH: Wie kommt es, dass seine Opern in Vergessenheit geraten sind?

UD: Es gibt tausende von Opern, die in Vergessenheit geraten, aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht konnte Mayr sich einfach nicht gut verkaufen Dabei sind seine Werke ausgesprochen unterhaltsam. Typisch italienisch.

IH: Normalerweise passen sich Privattheater den Seh- und Hörgewohnheiten des Publikums an. Sie und Ihre Frau, Barbara Hass, die für fast alle Produktionen die Textfassungen und Kostüme erarbeitet, bieten Ihrem Publikum hingegen ständig Unbekanntes…

UD: Man darf gar nicht erst versuchen, sich dem Geschmack der Leute anzupassen. Deswegen wird ja überall das Gleiche gespielt, weltweit. Die Inszenierungen sind austauschbar. Das ist doch furchtbar! Ich finde, man muss in einem kleinen Haus, wie wir es haben, Leute heranziehen, Spaß an Entdeckungen zu haben. Unsere Zuschauer müssen sich auch auf uns einlassen. Danach können sie urteilen, ist das gut oder schlecht.

IH: Warum wollten Sie eigentlich unbedingt noch eine Oper im Theater für Kinder installieren?

UD: Die Idee kam ja durch das Theater für Kinder. Wir haben 1979 die erste Oper für Kinder in Deutschland gezeigt: „Eine kleine Zauberflöte“ nach Mozart, nach wie vor eine der beliebtesten Kinderopern, die es gibt. Später haben wir dann viele andere Opern gemacht, bis hin zum „Ring“ für Kinder, 1983. Das war sensationell, die ganze Familie Wagner kam nach Hamburg.

IH: Der Schritt zur Kammer-Oper war also nicht weit.

UD: Ich habe einfach Lust, Dinge zu machen, die sonst keiner macht. Es gibt sonst kein Theater, das nach vergessenen Opern sucht und sie so bearbeitet, dass man sie auch heute gerne hört.

IH: Es ist sicher schon schwer genug, ein Theater für Kinder erfolgreich zu führen. Noch schwerer wird es sein, Publikum für eine so altmodische Musiksparte wie Oper heranzuziehen, oder?

UD: Klassische Musik hat nichts mit altmodisch zu tun. Das Problem ist ein ganz anderes: Die Gattung Oper entstand, als es noch kein Kino und kein Fernsehen gab. Die Werke sind für die heutige Generation einfach viel zu lang, zu groß und zu schwer. Wir kürzen die Opern ein, singen alles auf Deutsch und ersetzten die langweiligen Rezitative durch Dialoge. Ich kann da reingehen und ich verstehe alles!

IH: Oper für Anfänger, also…

UD: Das kann man so sehen. Wir führen die Leute an Oper heran - auf hohem Niveau. Gekürzt wird mittlerweile aber fast überall, selbst an der New Yorker MET. Diese drei-bis vierstündigen Werke verkraftet ja heute kaum noch jemand.

IH: Muss sich Oper derart verändern, um für den Zuhörer des 21. Jahrhunderts genießbar zu sein – verflacht sie damit nicht zu sehr?

UD: Wenn wir die Geschichte den Menschen von heute verständlich machen, verflacht die Oper nicht. Die Musik bleibt dieselbe, auch wenn sie von einem kleinen Orchester gespielt wird. 70 Jahre sind die Werke geschützt, danach hat man die Freiheit, neue Ideen einzubringen. Wir haben beispielsweise den „Bajazzo“ als Krimi inszeniert.

IH: Lassen sich durch solche dramaturgischen Tricks tatsächlich neue Zuschauer gewinnen?

UD: Ich meine ja. Die Menschen sind zwar nicht so neugierig, wie ich es mir wünschen würde. Aber es gibt immer wieder Familien, die ihre Kinder mitbringen. Und wenn Kinder einmal eine Sache toll finden, wollen sie es wiedersehen.

IH: Durch die unmittelbare Nähe von Schauspielern, bzw. Sängern und Zuschauern schaffen Sie auch eine enorme Intensität. Man sitzt praktisch mitten drin.

UD: Man sieht wirklich alles! Das heißt aber auch: Man kann nicht schummeln und man kann nichts überspielen, alles muss perfekt sein, Kostüme, Licht, Dekoration. Wir müssen absolut beste Qualität liefern. Nur über ein echtes Erlebnis kann ich die Menschen fesseln. Man muss Dinge schaffen, die nicht mehr aus dem Kopf gehen.

IH: Sie haben einige Opern auch schon in zwei Fassungen auf die Bühne gebracht, für Kinder und für Erwachsene. Sind Themen wie „Der Freischütz“ nicht doch zu schwierig für Kinder?

UD: Wenn ich das schon höre! Kinder werden völlig unterschätzt! Die sind so frei und aufnahmebereit, haben so eine Lust, Neues zu entdecken! Ich kann an ein Stück rangehen, wie ich will, jedes Alter nimmt sich mit, was es kann. Man muss Kinder überfordern! Was zu viel ist, fällt sowieso beiseite.

IH: Sie bieten spezielles Unterrichtsmaterial für Schulen und Kindergärten. Wie gut ist der Kontakt zwischen Schule und Ihrem Theater?

UD: Das wird leider immer schwieriger. Vielen Lehrern und Erziehern ist es heute zu mühsam, mit ihren Klassen und Gruppen ins Theater zu gehen. Wenn die Vorstellung um 13 Uhr zu Ende ist, höre ich immer wieder, das können wir nicht machen, da habe ich schon Feierabend. Die Erwachsenen sind kaum noch bereit, etwas von ihrer Freizeit zu opfern, obwohl sie ins Theater eingeladen sind.

IH: War das früher anders?

UD: Absolut! Das Lehrerengagement hat nachgelassen. Früher gingen die Schulen regelmäßig ins Theater. Das gehörte mit zur Bildung – das war klar. Heute gibt es das nicht mehr.

IH: Dafür gibt es eine unglaubliche mediale Bilderflut. Inwieweit spüren Sie die Auswirkungen von Fernsehen, Computer und Internet?

UD: Das Fernsehen hat auf das Theater eigentlich kaum Auswirkungen. Mit dem Computer ist das anders. Schon Anfang der 90er-Jahre mussten wir unsere Nachmittagsvorstellungen unter der Woche einstellen. Nachmittagsvorstellungen gibt es jetzt nur noch Freitag, Sonnabend und Sonntag. Mit dem Computer ist ja auch alles so einfach: Da sitzt mein Kind schon mit zwei Jahren still in der Ecke und ich brauche mich nicht mehr zu kümmern.

IH: Ein harter Vorwurf!

UD: Ein Kind kann nun mal nicht allein ins Theater kommen. Es braucht den Erwachsenen, der sich Zeit dafür nehmen muss. Die Erwachsenen entziehen sich ihren Aufgaben immer mehr, indem sie die Kinder mit technischem Spielzeug vollstopfen. Kinder werden heutzutage wegorganisiert, auch in den Häusern mit viel Geld.

IH: Kein Mensch kann sich heute mehr ein Leben ohne Computer vorstellen.

UD: Der Computer hat das ganze Leben so verändert! Ich merke das schon bei mir im Büro. Früher wurde ständig geschnattert. Heute hört man nichts mehr. Der Bildschirm tötet die Kommunikation.

IH: Wie kann man dagegen angehen?

UD: Ich weiß es nicht. Vielleicht muss man erst mal alles an die Wand fahren. Vielleicht muss es erst zu einer menschlichen Katastrophe führen, weil es keine menschlichen Verbindungen mehr gibt. Wenn die Menschen merken, dass sie total vereinsamen, dann ist die Chance da, dass sie wieder ins Theater gehen, weil sie gemeinsam etwas erleben und darüber reden wollen.

IH: Mittlerweile gibt es viele Regisseure, die Neue Medien exzessiv im Theater einsetzen. Ist das die Zukunft der Bühne?

UD: Ich persönlich bin kein Freund von diesen Techniken. Wenn ich Neue Medien habe, probiere ich die auch mal aus, das hat aber nichts mit Zukunft zu tun. Theater ist der Mensch, die Figur, alles andere sind nur Hilfsmittel. Am schönsten ist Theater doch, wenn man am Ende schlucken muss. Dazu brauche ich keine große Technik.


Fotonachweis: Portrait Uwe Deeken. (c) Isabelle Hofmann