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Theater - Tanz

Das National Ballett ist Chinas Top-Ballett. Es wurde 1959, dem Jahr von Maos „großem Sprung nach vorn“ und den folgenden gewaltigen Hungersnöten mit Absolventen der 1954 mit russischer Hilfe etablierten Ballettschule ins Leben gerufen, konnte sich durch alle Wirrungen von Maos Politik am Leben erhalten und überlebte auch die „große proletarische Kulturrevolution“.
Die Schule sorgt bis heute für eine großflächige Talentfindung. Im National Ballet werden westliche Repertoire-Klassiker einstudiert, aber auch Tanzdramen, die aus vielfältigen chinesischen Traditionen entspringen – idealerweise lassen sich beide Strömungen mischen.

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Seit den 80er-Jahren hat man sich ausländischen Choreografen geöffnet, hat Stilelemente aus Italien, England, Frankreich, Amerika und Deutschland adaptiert. Auch John Neumeier hat mit dem National Ballet in China gearbeitet. Heute hat Direktorin Feng Ying in einem System, in dem Geld fast alles bedeutet, neben den künstlerischen auch neue Aufgaben: Die große Unterstützung der Zentralregierung muss sie durch das Einwerben privater Sponsorengelder aufstocken, wenn sich das Ballett entwickeln soll. Denn China will mehr als nur westliche Klassiker. Deshalb gibt es neben „Nussknacker“, „Le Sacre du Printemps“ oder „Schwanensee“ auch neue Werke mit chinesischen Wurzeln, so wie „Rote Laterne“, „Gelber Fluss“, „Das Neujahrsopfer“ – Fusionen aus vielen Tanzwelten, mit denen man auf Tourneen dann auch im westlichen Ausland reüssieren kann. „Das Fremde für China nutzbar machen“ heißt die prägnante Formel dafür.

China, die neue Weltmacht, möchte mit eigenen kulturellen Ausdrucksformen, die zugleich interkulturelles Verständnis vorweisen, den Rest der Welt staunen machen. So entstehen wohl Werke wie „Der Ruf des Kranichs“, dessen zweiter Akt die erste Hälfte des Hamburger Gastspielabends einnimmt. Die grazilen Bewegungen der Kraniche hat man in einem Naturschutzgebiet studiert, die rührende Geschichte über eine Frau, die sich für das Überleben der Kraniche aufopferte, die sie pflegte, stammt auch von dort.

Das Ergebnis von Ma Congs und Zhang Zhenxins Choreographie ist solider west-östlicher Brückenbau – eine Musik (Shen Yiwen), die unbekümmert westliche Klänge mit chinesischen verbindet, eine fragil-elegante und topsynchrone Kranichschar, zuweilen mit klassischem Spitzentanz unterwegs, manchmal auch expressiv angeschärft wie in dem Unwetter, das die Kraniche bedroht. Vor allem aber bezaubernde Bilder, die jeder Broadway-Show Konkurrenz machen können und auch von dem Hamburger Neumeier-Publikum geradezu frenetisch bejubelt wurden.

Der Kampf um Individualität und Selbstbestimmung
Dann folgten vier kurze Choreographien, die nach der Pause den spannenden Teil des Abends abgaben. Wollte man ein gemeinsames Thema für sie finden, wäre es wohl der Kampf um Individualität, um Selbstbestimmung über das eigene Leben, um die Freiheit, so zu sein, wie man sich selbst das vorstellt. Das kann ein großes genervtes Herumgeschubse und mürrisches Abgrenzen voneinander sein wie in „Close Your Eyes When It’s getting dark“, es kann die Geschichte einer schmerzlichen Trennung am Ende einer Krankheit sein wie in „How Beautiful is Heaven“, anrührend getanzt von Sun Yali und She Zhaohuan. Es kann eine Begegnung sein, die in einem archaischen Opfer endet wie in „Sacrifice“. Oder es kann (Solist: Wu Siming) die Geschichte des unbotmäßigen, urkomischen Mönchs, der seine eigenen Regeln über die des Klosters stellt und seine kleine Freiheit von den mahnenden Klängen aus dem Tempel bedroht sieht.

Den Schluss macht „Yellow River“ zum gleichnamigen Klavierkonzert – wieder so ein west-östlicher Brückenschlag, der so gekonnt das chinesische Lied- und Melodienrepertoire überspannt wie die Choreographie optisch die bekannten Posen aus den Modell-Stücken der Mao-Zeit wie „Das rote Frauen-Bataillon“ zitiert, sich hier etwas aus der chinesischen Kampfkunst herauspickt, dort etwas aus dem Volkstanz aufnimmt. Hier ein bisschen „der Osten ist rot“, da ein Hauch „Internationale“, die Bühne gefällig in rotgoldener Verklärung beleuchtet und das Stück bis in die Applausordnung revue-tauglich durchkomponiert wie schon beim „Ruf der Kraniche“. Großes Kino, Überwältigungsästhetik.

So millimeter-perfekt die Tänzerinnen und Tänzer das auch auf die Bühne bringen, es bleibt ein kleines Unbehagen: Männer und Frauen agieren weitestgehend in alten Rollenstereotypen. Gerade in den Großproduktionen, die den Abend einrahmen, sind Frauen vor allem multiple Dekoration. Wie war das doch mit Maos Diktum „Die Frauen tragen die Hälfte des Himmels“? Aber auch andere Konfliktpotenziale der aktuellen chinesischen Gesellschaft werden an diesem Abend in der Hamburger Staatsoper bestenfalls zart angedeutet. Der stürmische Beifall der Hamburger Ballett-Fans gibt den Machern des National Ballet of China da Recht.

National Ballet of China
Ausschnitte aus:
THE CRANE CALLING
Musik: Shen Yiwen
Choreografie: Ma Cong, Zhang Zhenxin
Bühnenbild und Kostüme: Gong Xun, Li Kun

CLOSE YOUR EYES WHEN IT IS GETTING DARK
Musik: Eric Serra, Ryoji Ikeda, David Eugene Edwards
Choreografie: Zhang Zhenxin
Bühnenbild und Kostüme: Gong Xun, He Xiaoxin

HOW BEAUTIFUL IS HEAVEN
Musik: Jan A.P. Kaczmarek, Aaron Zigman
Choreografie: Zhang Disha
Kostüme: Zhang Disha

JI GONG (BUDDHA JIH)
Choreografie: Hu Yan
Kostüme: Wu Juan

SACRIFICE
Musik: Kaar Deerge Chouvulangning
Lied: Sainkho Namtchylak
Choreografie: Fei Bo

YELLOW RIVER
Musik: Yin Chengzong, Liu Zhuang, Chu Wanghua, Sheng Lihong
Choreografie: Chen Zemei
Bühnenbild: Zeng Li


Abbildungsnachweis:
Alle Fotos © National Ballet of China
Header: Sacrifice © WCHW
Galerie:
01. Yellow River
02. und 03. The Crane Calling
04. Close Your Eyes When It Is Getting Dark
05. Ji Gong (Buddha Jih)

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