Theater - Tanz
Nicht beschränkt ist die Fantasie der Varieté-Künstler, all dem immer wieder eine neue Verpackung zu geben. Und nicht beschränkt sind die Träume des Publikums, das sich immer wieder gern für zwei Stunden zurückbeamen lässt in alte Zeiten, in denen noch keiner wusste, wie’s geht, in denen Giga-Shows noch nicht alle Sinne zugeballert haben. Träume – das ist das richtige Wort.
Die Herren der Träume, zumindest im Hansa-Theater Varieté am Steindamm, sind Ulrich Waller und Thomas Collien vom St. Pauli-Theater, die gemeinsam mit dem Hamburger Abendblatt und dem Fischereihafenrestaurant die Hamburger Traditionsbühne nun schon zum 8. Mal im Herbst und Winter zu neuem, alten Glanz erwecken.

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Varieté – das ist Show mit Häppchen zwischen Zirkus und Theater
Was ist Varieté? Theater? Na ja, eine Bühne gibt es, aber auch kleine Tischchen für den kulinarischen Genuss. Dafür aber wie im Zirkus keine zusammenhängende Handlung, sondern einzelne Show-Teile, die im Hansa-Theater jedem Abend von einem Conferencier angekündigt, elegant zusammengefügt und von den Hansa Boys musikalisch begleitet werden. In aktuellen Saison wechseln sich in dieser Rolle ab: Matthias Brodowy, Matthias Deutschmann, Gustav Peter Wöhler, Robert Kreis und Stefan Gwildis, Rolf Claussen, Georg Schramm und noch einige andere, die der Show jedes Mal einen anderen Stempel aufdrücken. Nur Ulrich Tukur mit seinem Akkordeon kann diesmal nicht dabei sein, er hat aber fürs nächste Jahr mindestens zwei Wochen Bühnenpräsenz zugesagt – und vielleicht springt er ja auch diesmal hier und da ein, wenn Not am Mann ist.

Wie man ein solches Programm mit acht hochklassigen Varieté-Nummern zusammenstellt? Inzwischen haben die beiden Theaterleute Erfahrung. Weltreisen sind dafür nicht mehr nötig – YouTube hält das meiste zum Anschauen bereit, viele Künstler schicken selbst Videos ein. Die Kooperation mit dem Tiger-Palast in Frankfurt hilft ebenfalls.
Und was gehört zu einem ordentlichen Varietéprogramm? Einige Sachen sind gesetzt: Jongleur, Zauberer, etwas Athletisches. Anderes kommt dazu, um Poesie, Überraschung und Kuriosität auf die Bühne zu bringen: Alex und Barti – ein etwas melancholischer Puppenspieler mit seinem von ihm doch sehr abhängigen, aber äußerst beweglichen Partner. Ein französischer Lasso- und Peitschenschwinger, dem man noch etwas mehr Lässigkeit wünscht, zwei rasante Rollschuhartisten aus Italien, die auf engstem Raum atemberaubende Pas de deux absolvieren. Die unfassbar blonde, zierliche und muskelstarke Pole-Dance-Akrobatin mit dem hübschen portugiesischen Namen Anna de Carvalho ist Finnin.
Äußerste Körperbeherrschung, dazu aber noch ein quirliges komisches Talent bringt der russische Akrobat Oleksandr Yenivatov alias „Sacha the Frog“ mit, der seine Arme und Beine in die unglaublichsten Positionen verdrehen kann.
Die Zeiten, wo die meisten Varieté-Künstler aus der Ukraine oder aus China kamen, sind wieder vorbei. Omar Pascha mit seiner verblüffenden Zaubershow in der Tradition des Schwarzen Theaters kommt mit seiner russischen Familie aus Paris. Und man staunt, wie er um Klang von Ravels „Bolero“ Menschen in Geister verwandelt, verschwinden lässt, wie Dinge aus dem Nichts auftauchen und er sich selbst am Ende de-materialisiert. Nix da Giga-Manie, chinesische Mauer oder Elefant wegzaubern. Trotzdem freuen sich alle: Es geht ganz großartig auch zwei Nummern kleiner, ohne dass die Faszination schrumpft.
Claudius Specht, ein überaus charmanter Jongleur, der auch mit sieben Keulen nicht den Überblick verliert, ist Schweizer. Der großartige Schattenspieler Hans Davis, der mit seinen beiden Händen ganze Geschichten erzählen kann, kommt aus den USA. „Ich wollte diesmal unbedingt einen Schattenspieler dabei haben – so wie in der vergangenen Saison eine Schwertschluckerin“, sagt Ulrich Waller, „Kinderträume sind das, die hier Wirklichkeit werden.“

Das Hansa-Theater ist eine wunderbare Zeitkapsel
Das ungläubige Staunen im Publikum hat seinen Preis – hartes Training für die drei bis fünf Minuten Performance im Rampenlicht. Oft sind die Künstler hineingeboren in eine traditionsreiche Artistenfamilie, in der dritten oder gar vierten Generation. Und ihr Ziel ist immer dasselbe: absolute, traumwandlerische Perfektion. Wobei die kleinen Missgeschicke durchaus passieren dürfen: Wie sonst sollte das Publikum eine Ahnung davon bekommen, wie schwierig, wie riskant und gratwandlerisch das ist, was gerade auf der Hansa-Theater-Bühne gerade vorgeführt wird. Ein kleines Scheitern, manchmal auch ein augenzwinkerndes. muss eigentlich sein, der zweite ebenso, manchmal auch der dritte. Der wird immer gelingen.
Denn am Hansa-Theater spielt man ja nicht irgendwo – das Haus hat eine lange und grandiose Tradition, bevor es in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs auf die jetzige eher intime Größe zurechtgestutzt wurde. Hier spielten früher – ein kleiner Film zu Beginn erinnert daran – Show-Größen wie der Entfesselungskünstler Houdini, die große Josephine Baker, der frühe Hans Albers, Clown-Könige wie Charlie Rivel oder Grock, der Magier Kalanag, der Kabarettist Wolfgang Neuss, und in den 50er-Jahren Schlagerstars wie Caterina Valente oder Conny Froboess.
Selbstverständlich waren damals auch noch Tierdressuren mit Elefanten, Pferden und Großkatzen im Programm. 1964 traten hier Siegfried und Roy auf, die später mit ihren Tiger-Dressuren die Welt eroberten. „Wir haben uns den Anschluss an diese große Vergangenheit neu erarbeitet“, erzählt Ulrich Waller, „auch heute ist ein Engagement hier für die Biographie eines Artisten nicht unwichtig.“
Das Publikum liebt die wunderbare Zeitkapsel, die dieses Haus in so vielen liebevoll bewahrten Details ist. Das Hansa-Theater ist so etwas wie der Röhrenfernseher unter den Hamburger Bühnen-Angeboten. Man liebt ihn so, wie er ist, auf ganz nostalgische Art und Weise. Sicher, es geht auch schärfer, bunter und vor allem flacher. Das Hansa-Theater ist handgemacht, ein Artist kann nicht blenden, er muss können.
60.000 Zuschauer mögen das in der viereinhalb Monate währenden Saison. Sie suchen die Traumwelt ihrer Kindheit, ein paar Stunden Entschleunigung. Und ihre eigene Geschichte, etwa wenn sie wieder genau dort sitzen wollen, wo sie den Partner fürs Leben kennen gelernt haben.
Doch am Horizont drohen düstere Wolken, ein Erbstreit unter den Nachfahren der vorigen Besitzerin über die künftige Verwendung des Grundstücks. Waller bleibt zuversichtlich: „Im November soll es eine Entscheidung geben. Wir haben einen Mietvertrag über weitere vier Jahre.“ Noch keine unmittelbare Gefahr also für die quicklebendige Hamburgensie am Steindamm. Hoffentlich bleibt erhalten, was hier noch echt ist und nicht Entertainment aus der Retorte.
Hansa-Theater Varieté
Steindamm 17. Die Show läuft bis 28. Februar 2016 mit wechselnden Conferenciers. Täglich außer Montag 20 Uhr, Sonnabend 16 und 20 Uhr, Sonntag 15 und 19 Uhr.

Ticketpreise: Di und So um 19 Uhr 31,90 / 41,90; Mi und Do 39,90 / 48,90; Fr, Sa und So um 15 Uhr 48,90 / 58,90. Weihnachtsfeiertage 51,90 / 61,90; Silvester 15 und 19 Uhr 61,90 / 71,90. Tickets unter (040) 4711 0611.

Das gastronomische Angebot kommt vom Fischereihafenrestaurant Hamburg und ist bei der Kartenbestellung zubuchbar. Infos im Internet unter www.hansa-theater.de


Abbildungsnachweis:
Alle Fotos: Oliver Fantitsch (c) Hansa Theater.
Header: "Sacha the Frog"
Galerie:
01. Claudius Specht

02. Omar Pasha
03. Anna de Carvalho
04. Alex Barti
05. Duo M.G.