Musik

Die Dr.- Lindemann-Straße Nr. 14 ist ein unscheinbares Haus. Ohne die großen Plakate im Schaufenster würde man glatt vorbei laufen. Früher war hier einmal ein Supermarkt untergebracht, jetzt beginnt hinter der Tür eine Zeitreise in die Geschichte des Rock. Der Raum wirkt riesig und ziemlich düster. Wie eine Mischung aus Spielhölle und Partykeller. Rechter Hand ein Merchandising Shop mit T-Shirts, Uhren, Schals, Aufklebern und Plattencovern. Dahinter ein mächtiger brauner Tresen und eine Sitzecke aus 50er-Jahre-Mobiliar. Die Wände sind bis unter die Decke mit Gemälden und Grafiken des Karikaturisten Sebastian Krüger und des Stones-Gitarristen Ron Wood gepflastert, dazwischen hängen signierte Gitarren. Im Zentrum des Raumes ziehen ein neuer Stones-Flipper-Automat und ein prachtvoller Billardtisch die Aufmerksamkeit auf sich. Das Museum ist bereits seit Ende Mai geöffnet, aber noch nicht vollständig eingerichtet. Deshalb kostet es derzeit auch noch keinen Eintritt. Eine Chance, die viele Fans bereits nutzten, erzählt Museumschef Ulrich Schröder. Gerade sei eine Gruppe von 16 Harley-Davidson-Fahrern aus der Nähe von Mölln da gewesen. Sie kämen wieder, hätten sie versprochen, das nächste Mal mit mehr Leuten. Lüchow wird sich freuen.

In Zivil ist Ulrich Schröder keine besonders auffällige Erscheinung. Mittelgroß, runde Brille, offen, freundlich, energiegeladen. Nur an seinen etwas längeren, mittlerweile schlohweißen Haaren, habe man stets erkennen können, dass er privat nicht ganz so brav war, erzählt der ehemalige Bankangestellte. Mehr als sein halbes Leben hat er hinter Schaltern verbracht und seinen Anzug gehasst. Jetzt aber zieht er für das Foto sogar Frack und Zylinder an. Das Kostüm ist über und über mit Anstecknadeln und roten Stones-Zungen behaftetet, der Zylinder vermag gar zu leuchten. Dieses Outfit hätte den Gitarristen Keith Richards bei einem Stones-Konzert in Düsseldorf so zum Lachen gebracht, dass er den Einsatz des nächsten Liedes verpasst hätte, erzählt der Museumsgründer amüsiert.

Apropos Keith Richards, von ihm stammt das Schwergewicht dieser Schau, der Billardtisch: „Der war seit Anfang der 90er-Jahre immer mit auf Touren, ist 350 Mal auf und ab gebaut worden“. Jetzt darf er für immer in Lüchow stehen. „Sollte Keith aber noch mal auf ihm spielen wollen, geht er wieder auf Tournee, das habe ich dem Tourdirektor versprochen“.
Von so einem engen Verhältnis zur Dienst ältesten Rockband der Welt träumen Millionen von Stones-Fans. Dass ein kleiner Bankangestellter aus dem ehemaligen Zonenrandgebiet es geschafft hat, ist einer ganz und gar außergewöhnlichen Leidenschaft und Beharrlichkeit zu verdanken. Schröder hat einfach nie locker gelassen und unendlich viel investiert.
So um die 13 Jahre alt muss er gewesen sein, als über Radio Luxemburg die ersten Songs der Stones bis ins verschlafene Hitzacker drangen, „Come on“ , „Not Fade Away“ und „It’s All Over Now“. Songs, die in den Bauch gingen, die Eltern verstörten und den Jungen restlos begeisterten. Ab sofort war er „Hardcore-Fan“ und investierte jeden Pfennig in „seine“ Hammerband. Als die Stones am 17. September 1965 in der Hamburger Ernst-Merck-Halle auftraten, war Ulli dabei – 16 Jahre jung und hungrig, denn das mühsam zusammengekratzte Geld reichte gerade mal für die Fahrt und das Ticket. „Das Konzert hat nur 20 Minuten gedauert, es wurde ja immer gleich das Mobiliar demoliert“, erinnert sich Schröder grinsend. Die Eltern meckerten über die „Hottentotten-Musik“, aber sie ließen ihn, und der junge Mann wurde immer manischer in seiner Sammelleidenschaft – und immer Kenntnisreicher. „Ich habe mich schon früh für die einzelnen Bandmitglieder interessiert und wusste, dass Ronny (Ron Wood) ausgebildeter Grafiker war. Anfangs malte er nur, später fertigte er auch Holzschnitte, Radierungen und Lithographien in großen Auflagen. Damit konnte er bis zu 600 Fans glücklich machen“.

In jedem Fall Ulrich Schröder, der mittlerweile bei der Sparkasse in Uelzen arbeitete, eine Familie gegründet hatte und alles von Wood kaufte, was er in die Finger bekam. Sein Bemühen jedoch, an das Stones-Mitglied heranzukommen, erwies sich über Jahrzehnte als hoffnungsloses Unterfangen. Nicht einmal eine Antwort, geschweige denn eine signierte Autogrammkarte, so Schröder, hätte er auf all seine Briefe erhalten.

Schließlich half der Zufall: Schröder schwärmt nicht nur für die Stones, sondern auch für Ferrari und besichtigte 1995 das italienische Ferrari-Werk in Maranello. Plötzlich stand Nick Mason neben ihm. Sie kamen ins Gespräch über Autos und Rock und der Pink-Floyd-Schlagzeuger gab ihm schließlich die Telefonnummer von Woods Manager. Dann ging es Schlag auf Schlag: Ein Anruf, ein ungläubiges Staunen am anderen Ende der Leitung: „Wen wollen Sie sprechen? Den Drucker von Ron Wood?“ Ja, den Drucker. Ulrich Schröder wollte den Mann kennenlernen, der Wood hilft, all die farbenprächtigen Illustrationen der Band aber auch von Tieren herzustellen. Es klappte tatsächlich. Drucker Bernard Pratt lud den deutschen Sammler nach Südengland ein und war höchst erfreut, einen so versierten Gesprächspartner kennenzulernen. „Pratt zog ständig neue, unbekannte Blätter aus der Schublade, es war für mich wie im Paradies“. Ein paar Wochen später guckte Schröder wieder Bilder, diesmal in London. Und dann kam der Anruf, der sein Leben total umkrempelte: „Hi, this is Ronny. I want to invite you to my birthday“. Hatte er richtig verstanden? Hatte ihn Ron Wood gerade zum Geburtstag eingeladen? Er hatte! Der Rockrebell feierte in Irland seinen 50. Geburtstag mit 400 Gästen und Ulrich Schröder war einer von ihnen.

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Irgendwann zur fortgeschrittenen Stunde nahm Wood seinen Gast zur Seite und sagte: „Ich habe gehört, du bist bei der Bank. Kannst Du Dir auch vorstellen, mit Sex, Drugs und Rock’n Roll Dein Geld zu verdienen?“ „Drogen nicht, aber das andere ist okay“, antworte Schröder. Fortan war er einer von fünf Galeristen, die weltweit Bilder von Ron Wood vermarkten. Schröder organisierte Ausstellungen in Deutschland, Holland, Österreich und Belgien und ließ sich dafür mit Bildern bezahlen. 150 Motive umfasst seine Wood-Kollektion heute, nach seinen Aussagen die umfangreichste Sammlung der Welt.
Die Museumsidee entstand dann vor zehn Jahren. „Als ich dann 50 wurde, habe ich mir überlegt, dass es doch schön wäre, die Sachen in einem festen Haus zu zeigen“. In Amsterdam gab es eine Möglichkeiten dazu, aber Schröder wählte den Ort, an dem er mittlerweile lebte. „Ist doch egal, ob das Museum in der Großstadt oder auf dem Land steht. Die Fans kommen dorthin, wo es ist“. Davon ließ sich dann auch der Lüchower Stadtrat überzeugen und unterstützte das Projekt mit 100.000 Euro – aber erst nachdem das Kultusministerium Hannover in einem 67-seitigen Gutachten festgestellt hatte, die Zugkraft des Museums bestätigte. Einen Publikumsmagneten kann die strukturschwache Region Lüchow-Dannenberg dringend gebrauchen.

Und es scheint zu funktionieren. In den ersten drei Monaten schauten bereits Fans aus Holland, England, der Schweiz und Schweden vorbei. Selbst aus dem tiefsten Lappland und sogar aus Indien kam Besuch. „Die Leute sind begeistert, dass es so etwas gibt und durch das Internet spricht sich das in Windeseile weltweit herum“. Täglich rufen (ältere) Sammler an, die ihre geliebten Trophäen in guten Händen wissen wollen. Kistenweise kommt das Zeug ins Haus. Ein Rentnerpaar plant sogar seinen Alterssitz nach Lüchow zu verlegen, um ehrenamtlich im Museum mitzuarbeiten.

Bei der offiziellen Eröffnung (das Datum steht immer noch nicht genau fest) wird die kleine Kreisstadt wohl aus allen Nähten platzen, dafür sorgen schon die prominenten Gäste: Chris Jagger, der Bruder von Mick, hat bereits zugesagt, ebenso Bernard Fowler (Backgroundsänger) und Blondie Chaplin (Sänger und Gitarrist, der etliche Male mit den Stones auf der Bühne stand). Im Oktober 2011 soll es dann noch eine Ausstellungseröffnung mit den Bildern von Ron Wood geben – in Anwesenheit des Stars, versteht sich.

Wie viele Exponate Ulrich Schröder auf den rund 800 Quadratmetern Ausstellungsfläche nun zeigt, weiß er selbst nicht so genau. Zwischen 1.500 und 2.000 Objekte, schätzt er. „Wir haben drei Schwerpunkte: Einmal die Geschichte der Stones von 1962 bis heute. Zweitens die Bilder von Ron Wood mit 150 Motiven, die zum Teil auch käuflich sind (Preise 1.000 bis 15.000 Euro). Und drittens Wechselausstellungen zu bestimmten Themen, wie zum Beispiel zu südamerikanischen Plattencovern“. Und was ist sein Lieblingsstück? Schröder zeigt lächelnd auf einen Papierschnipsel: Das Ticket seines ersten Stones-Konzerts 1965 in Hamburg – er hat es all die Jahre verwahrt wie ein Heiligtum.

Stones Fan Museum Lüchow, Dr.-Lindemann-Straße 14, 29439 Lüchow
Geöffnet von Ostern bis Oktober, Di-So 10-18 Uhr.
Telefon: (05841) 5902
Noch unvollständige Internetpräsenz: www.rockandartmuseumluechow.de

Fotonachweis: Copyright Stones Fan Museum Lüchow. Fotos: Isabelle Hofmann
Header: Blick in das Stones Fan Museum
Galerie:
1. Ulrich Schröder
2. Der legendäre Billardtisch von Keith Richards
3. Fanartikel
4. Das Herren-WC