Musik

Wer arabisch-orientalische Musik kennt, weiß, dass sie traditionell einstimmig konzipiert ist. Die komponierte Linie wird auf Sänger und Instrumente verteilt und lebt von der Verzierung und der rhythmischen Grundierung durch die Schlaginstrumente. Die Töne werden aus dem Vorrat von 13 Magam (Tonleitern) mit ihren ungefähr 500 Varianten abgeleitet. Dabei gibt es nicht nur Viertel- oder Ganztöne, sondern auch Dreivierteltöne als kleinste Schritte. Soweit die Theorie.

Die Praxis, die in der Laeiszhalle geboten wurde, offenbart den erreichten Stand und einen orientalischen Weg in die kompositorische Zukunft. Die Werke von Daniel Schnyder integrieren westliches und orientalisches Instrumentarium zu neuartigem Orchesterklang. Er komponierte eine orientalische Mehrstimmigkeit mit Schnittstellen zu Duke Ellingtons Harmonik. Abwechselnd Solo und Tutti, in der Regel mit morgenländischer Anmutung, jedoch seltener jazzig, aber sehr organisch verwoben.
Besonders bemerkenswert ist der Satz „Bosporus: BACH between East and West“ in dem zweiten Werk von Schnyder an diesem Abend, der „Oriental Suite“. Hier verwendet Schnyder Abschnitte aus der Matthäus-Passion („Wir setzen uns mit Tränen nieder“), behält die Bachsche Polyphonie bei, verziert aber filigran die Linien des Thomaskantors mit arabischen Melismen.
All das passiert jedoch, während die pulsierende Rhythmik die Zuhörer permanent zum Tanz anzuregen scheint – Hamburgs deutlich verjüngtes ‚Silbermeer’ wippte in arabischem Rhythmus.

Der Höhepunkt kommt dann nach der Pause: Der türkische Starperkussionist und Komponist Burhan Öçal wird von Beginn an von seiner Fangemeinde in den oberen Rängen gefeiert. Seine von Ilyas Mirzayev instrumentierten fünf orientalischen Stücke „Dance of Passion“, „Mahur Oriental“, „Nihavent Oriental“, „Elden Ele“ und „Gelinin Oynamasi“ bieten eine noch weitergehende ekstatischere Klangqualität als bei Schnyder. Durch zauberhaft, leidenschaftlich-zigeunerhaften Streicherklang im NDR Pops Orchestra wirkte das musikalische Prachtfeuerwerk berauschend und mitreißend. Mit welch einer Leichtigkeit liefern die Musiker komplizierte, aber eingängige Rhythmen in oft ungeheurem Tempo und einem unübertroffenen Perfektionsgrad! Öçal vibriert mit seinem virtuosen Fingerspiel an der Darbuka, der arabischen Bechertrommel, mit dem Spiel der anderen Solisten um die Wette.
Die gesamte Laeiszhalle scheint mit zu vibrieren und das Publikum endet euphorisch und sichtlich erhitzt mit lang anhaltendem Applaus.

Fotonachweis:
Header: Burhan Öçal; Foto: (c) Käch Artists and Promotion / Schleswig-Holstein Musikfestival