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Musik
 
Das Ende dieser „Frau ohne Schatten“, die noch vor dem Schlussakkord den einhelligen Jubel des Premierenpublikums lostritt, ist so unwirklich harmonisch, hell und bunt, dass es an die übertriebenen Heilsversprechen von Revolutionen und Religionen erinnert. Dieses Ende darf hier nicht in Details erzählt werden, denn es ist der größte Überraschungseffekt der Neu-Inszenierung von Andreas Kriegenburg. Nur soviel: Es ist ein Traum-Happy End – ein „Ende für Leihbibliotheken“, wie Dürrenmatt es in „Grieche sucht Griechin“ nennt. Wirklichkeit geht meistens anders.

„Die Frau ohne Schatten“ ist zwischen 1911 und 1917 entstanden. In ihre Entstehungszeit fiel der beginnende Siegszug der Psychoanalyse mit ihrer Traumdeutung ebenso wie die Schreckensjahre des Ersten Weltkriegs, der die bisherige Ordnung umstürzte. Komponist Richard Strauss hatte 1905 mit „Salome“ seinem kometenhaften Opernruhm das Fundament gelegt, und 1909 mit seinem dann langjährigen Librettisten Hugo von Hofmannsthal den nächsten Opern-Schocker „Elektra“ abgeliefert. Mit dem „Rosenkavalier“ (1911) und „Ariadne auf Naxos“ (1912) hatte er bereits seinen Ruf als führender Opernkomponist gefestigt, als er mit der symbolbefrachteten, verrätselten „Frau ohne Schatten“ eine seltsame Geschichte auf die Bühne brachte.

Sie spielt in der lichten, aber auch bedrohlichen Geisterwelt und in der ärmlichen Menschenwelt. Zwei Frauen – Kaiserin die eine und Frau eines Färbers die andere – haben aus unterschiedlichen Gründen dasselbe Problem: keinen Schatten, was hier als Symbol für keinen Nachwuchs steht. Die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs, muss das Problem rasch lösen, denn ist sie nicht nach einem Jahr schwanger, kehrt sie zurück ins Geisterreich und ihr Mann, der Kaiser, wird zu Stein. Drei Tage sind von diesem Jahr noch übrig, die Sache eilt also.

Der Frau des Färbers fehlt die Liebe zu ihrem Mann aufgrund der erbärmlichen Lebensverhältnisse. Eindrücklich dargestellt wird das Elend der nicht erkannten Liebe des Färbers, sein namenloses Leid, das aus dem blinden Ego seiner Frau erwächst – neben der Erlösung für alle am Ende die vielleicht tiefgehendsten Passagen des Werkes. Die Frau ist bereit, ihren Schatten an die Kaiserin zu verkaufen, so wie es ihr deren tückische Amme nahelegt. Schwierige Entscheidungen, vor denen beide Frauen stehen. Kaiserin und Amme tun alles, damit die Frau des Färbers ihren Schatten hergibt – Bestechung mit Juwelen, Kompromittierung durch eine Lichtgestalt von Liebhaber.
 
Vielköpfiger Kindersegen ist auch eine Lösung
Und stellen am Ende beide fest: Ein ge- bzw. verkaufter Schatten würde keines der Probleme lösen. Die Kaiserin verzichtet auf den Schatten der Färbersfrau und die Erlösung ihrer Mannes, sie stellt eigenes Leid über fremdes – und bekommt gerade dadurch ihren eigenen Schatten. Erlösung und Liebe für ihren Mann, Erlösung und Liebe auch für den Färber, Einsicht in das erlösende Wesen der Liebe für beide Frauen, der vor allem – da sind Komponist  und Librettist ganz Kinder ihrer Zeit – in ordentlicher Ehe und einem vielköpfigen Kindersegen bestehen sollte.

Verwirrend der mehrfache Wechsel der Welten, verwirrend die Dinge, die wie Traumsymbole daherkommen, wie der rote Falke des Kaisers, mit dem er sich seine Frau erjagt hat, die in Gestalt einer weißen Gazelle auftrat. Verwirrend Geisterboten und Tempelhüter, der unsichtbare Geisterkönig, ein geheimnisvoller Talisman und das Wasser des Lebens.

Kriegenburg, aus seiner Zeit am Thalia Theater in Hamburg bestens bekannt, sortiert das Psychodrama, indem er die Welt von Kaiserin und Kaiser als Traumwelt im Kopf der Färbersfrau deutet, in der sich deren Wünsche und Wollen spiegeln, manchmal vorweglaufend zeigen, was gedacht wird und geschehen könnte. Es können auch Schreckensträume sein, die Krankheit und Verletzung bedeuten. Es können surreale Traumbilder sein wie der menschliche rote Falke, von roten Pfeilen durchbohrt. Es gibt Doubles, wenn die Handlung mehrere Möglichkeiten hat, wie sie weitergehen könnte. Und am Ende das Wasser des Lebens in einem Becher – fast schon ein kleiner Gral. Ein spannendes Vexierspiel in jedem Fall.

Keines aber, das sich beim ersten Sehen und Hören dem Verständnis öffnet, selbst dann nicht, wenn man brav vorher die Handlung gelesen hat. Hier empfiehlt sich das Vorab-Studium der vorzüglichen Texte des Programmhefts oder der Besuch der Einführungsveranstaltungen vor Beginn der Oper. Oder eben ein zweiter Besuch, bei dem sich die Eindrücke dann neu ordnen lassen.

Auch das Bühnenbild zeigt den Zusammenhang der unterschiedlichen Welten, ordnet sie vertikal in drei Ebenen („Ihr da oben, wir hier unten“), die hinauf und herunter fahren und immer wieder den Fokus neu justieren. Das erinnert ein bisschen an Wotan und Loges wilde Fahrt durch die Schwefelkluft hinab nach Nibelheim und zurück (wie auch Hofmannsthals Text zeitweise wagnersch schwurbelt und Strauss des Meisters Partituren eingehend studiert hat und etliches auch in seiner Musik anklingen lässt).

Weiß, Schwarz und Rot dominieren das Bühnenbild, in den oberen Sphären ein Kreis überdimensionaler schräg gestellter Säulen, als Fundament die niedrige Welt der Färberfamilie. Erst am Ende ändert sich die Szenerie grundlegend – ein enormer Kontrast.
 
Sänger von hoher Qualität und alle auf Augenhöhe
Linda Watson als Amme singt deren menschenverachtendes, liebloses Intrigenspiel großartig bis zu ihrer eigenen Verbannung ins Menschenreich, als Kaiserin meistert Emily Magee furchterregende Höhen und alle Tiefen der Verzweiflung bis zur eigenen Erlösung und Menschwerdung, sehr selten waren die Anstrengungen der Partie auch zu hören. Lise Lindstrom, in Hamburg 2015 als Elektra bejubelt, singt die Frau des Färbers mit Herz und Stahl in der Stimme – Stahl mit Recht, wenn sie den braven Färber beschimpft; etwas weniger Stahl hätte es sein dürfen, als sie am Ende die Vorzüge der Liebe entdeckt. Aber das sind Luxusproblemchen in diesem hervorragenden Damen-Trio.

Als hilfloser Kaiser mit einer samtweichen, eleganten Tenor Stimme glänzt Roberto Saccà, ein glaubwürdiger, aufbegehrender, an seinem Schicksal fast zerbrechender Barak, der Färber, ist Andrzej Dobber, durchaus auch mit lyrischen Momenten, in Hamburg gern gesehener Gast seit vielen Jahren und u.a. als Simon Boccanegra, als Jochanaan, Giorgio Germont oder Amfortas in guter Erinnerung.

Gute Stimmen auch in kleineren Rollen: Bogdan Baciu als Geisterbote, Alex Kim als Erscheinung eins Jünglings. Und mit großer spielerischer Präsenz und großartiger Stimme Gabriele Rossmanith – in Rot mit fein abgeschauten Gesten als Falke, dann in Weiß als Hüter der Schwelle des Tempels.

Strauss macht es den Sängern nicht leicht, wenn er sie expressiv fordert. Und wenn er sie gegen das ganz große Orchester stellt – u.a. acht Hörner, je vier Trompeten und Posaunen, neben der Pauke sechs Schlagwerker, zweimal Celesta und Orgel. Kent Nagano versteht es aber, den Riesenapparat zu bändigen, nur selten hätte man den Sängern eine etwas stärker zurückgenommene orchestrale Begleitung gewünscht.

Die Philharmoniker im Graben brauchten zehn, zwanzig Minuten, um vollständig in den Richard-Strauss-Modus umzuschalten, was anfangs noch manchmal hart und uninspiriert daherkam, wuchs aber dann immer stärker zu einem Musikerlebnis erster Klasse zusammen, das alle Facetten des Klangzauberers hörbar werden ließ – von den vorzüglich gespielten Streichersoli über gewaltige Orchester-Ausbrüche bis hin zu den silbrig scheinenden feinen leisen Gefühlen.

Großer Applaus für den Generalmusikdirektor. In Oper und Elbphilharmonie hat man längst gemerkt, was Hamburg an ihm hat. Aber auch Intendant Georges Delnon darf zufrieden sein: Wenn der neue „Parsifal“ zu Beginn der nächsten Spielzeit die Marke zum Maß nimmt, die diese „Frau ohne Schatten“ gesetzt hat, läutet er eine starke Saison ein.


 
Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten. Nächste Vorstellungen 23., 29. April, 4., 7. Mai, jeweils 18.00 Uhr. Karten im
Internet unter oder an der Kasse unter 040/35 68 68.

Fotos: Staatsoper Hamburg Copyright: Brinkhoff/Mögenburg

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