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Musik

Doppelter Saisonstart knapp vier Monate vor Eröffnung der Elbphilharmonie. Die Hamburger Philharmoniker mit Kent Nagano am Pult richten zugleich den Blick auf ihre unmittelbar bevorstehende Südamerika-Tournee, die sie als Hamburger Klangbotschafter mit Konzerten nach Montevideo, São Paulo, Santiago de Chile und Buenos Aires führen. Und die Symphoniker unter Jeffrey Tate bereiten sich selbstbewusst darauf vor, die Laeiszhalle als ihren zentralen künftigen Spielort zu besetzen. Beide Konzerte offenbaren die Stärken beider Orchester, beide müssen aber auch mit einer weniger starken ersten Halbzeit auskommen.

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Sonntagvormittag, die Philharmoniker treten an vor einem vollen Saal nahe bei ausverkauft. Beide Werke auf dem Programm werden mit auf die große Reise gehen. Start mit Richard Strauss’ „Don Quixote“, fortgeschrittenes Produkt in einer Reihe äußerst effektvoller Tondichtungen, mit denen der junge Komponist in den 1890er-Jahren Furore machte. Die zwischen 1897 und 1899 komponierte Geschichte der fantastischen Abenteuer von Cervantes’ „Ritter von der traurigen Gestalt“, aufgeblättert in zwölf Variationen, Introduktion und Finale sind ganz großes Orchester-Kino, sie markieren in Strauss’ Schaffen in etwa den Punkt, wo zur Musik die Darstellung tritt und Strauss mit seiner Oper „Salome“ das Fundament seines Weltruhms verbreitert.

Ganz nebenbei hat sich Strauss mit den Tondichtungen sein kompositorisches Werkzeug zurechtgelegt, dass er in den Opern dann virtuos einsetzen wird: die unerhörte Farbigkeit, seine geniale Instrumentation mit vielen Klangexperimenten, und die Kunst, mit Tönen Bilder geradezu zwingend vor den Augen entstehen zu lassen – ob es nun Windmühlen, Hammelherden oder Prozessionen sind oder der Diener Sancho Panza, den er hier durch eine Solobratsche (nobel gespielt von Naomi Seiler) vorstellt.

Den Ritter selbst wird vom Solo-Cello repräsentiert, das Gautier Capuçon mit großem, kräftigem Ton spielt, er gibt einen entschlossenen Ritter, verliebt in seine Träume, aber kein sanfter Phantast. Bei den Solisten nicht vergessen werden darf Konzertmeister Konradin Seitzer, der seine Violin-Soloparts energiegeladen, elegant phrasiert und mit elegantem Ton beisteuert.

Kent Naganos Philharmoniker leuchten den Straussschen Klangkosmos präzise und perfekt aus, von zarten „Rosenkavalier“-Anklängen zu Beginn bis um lärmenden Kampf-Getöse. Wenn man sich etwas wünschen dürfte, wären es hier etwas lockerere Zügel, damit sich das Orchester mit etwas mehr Schmiss und Seele hineinwerfen dürfte in dieses irrwitzige, zarte, gewaltige Klanggemälde; ein paar mehr Momente des Auskostens in diesem quirligen Konzertauftakt. Man würde das Stück gern nach der Rückkehr aus Südamerika noch einmal hören.

Nach der Pause dann Brahms’ Erste. Wiewohl nicht in Hamburg aus der Taufe gehoben, sondern 1876 in Karlsruhe, ist sie doch im Norden erdacht und ein Muss auf der Suche nach dem Hamburger Klang, die Nagano sich und dem Orchester auferlegt hat. Und da war dann Erstaunliches zu hören: Blitzblank intonierende Philharmoniker und eine ungewohnte Transparenz, die bis tief ins Getriebe des symphonischen Werks hineinhören ließ, ohne dabei auch nur ein bisschen kühl analytisch zu wirken. Überklares Herbstlicht und Gefühl pur, doch weggeblasen aller spätromantischer Bombast, stattdessen ein feines, kluges, beseeltes, ja sinnliches Musizieren, das auch zupacken kann. Eine bessere Visitenkarte für die Stadt der Elbphilharmonie ist in diesem Moment kaum vorstellbar.

Großer Applaus! Und ein paar Dankesworte Naganos an sein Hamburger Publikum, verbunden mit einem klingenden Dankpraliné – einer kleinen Zwischenaktmusik aus Schubert „Rosamunde“-Musik. Philharmonisches Glück am Mittag.

Schlurfende Pilger und ein tanzender Tod
Sechs Stunden später dann die Symphoniker auf demselben Podium. Die Sitzreihen im Saal diesmal übersichtlich gefüllt. Maestro Jeffrey Tate formuliert den Anspruch, die alte Halle, die mit der Eröffnung des Neubaus an der Elbe unweigerlich zur Nr. 2 wird, zur Heimat der Symphoniker zu machen und als Ort lebendigen Musizierens zu erhalten. Und noch der Hinweis darauf, das „Tanz“ die große programmatische Klammer des Abends werden soll.

Start mit Wagner. Ouvertüre und Venusberg-Bacchanal aus „Tannhäuser“. Auf Sinnlichkeit und Leidenschaft musste man eine Weile warten, erstmal ließ Tate die büßenden Pilger akustisch so fußlahm daherschlurfen, dass man fürchtete, sie würden nie mehr zuhause ankommen. Das blieb ein gutes Stück hölzern und viel zu breit ausgespielt, so dass es selbst noch im Venusberg etwas dauerte, bis hier und dort ein wenig von der höllischen Lust aufflammte, die doch der feurige Antrieb der ganzen Oper ist.

Dann Richard Strauss’ „Burleske“ für Klavier und Orchester, ein frühes Werk, aber erst 1890 in Sichtweite zur Wartburg uraufgeführt. Der ursprünglich vorgesehene Solist Hans von Bülow hatte sich geweigert: „Glauben Sie, ich setze mich vier Wochen hin, um so ein widerhaariges Stück zu studieren?“ Nach der ersten Aufführung, bei der Eugen d’Albert den Klavierpart spielte, nannte Bülow das Stück „genial“ und „erschreckend“. Nun ja. Sie ist in der Tat ein hochvirtuoser Kracher, diese „Burleske“, aber einer, bei dem wenig im Ohr hängenbleibt. Es ist vor allem der Eindruck eines ungestümen Aufbruchs zu neuen Klangufern, Richard Strauss – und als brillanter Solist in Hamburg Kirill Gerstein – brennen ein bunt sprühendes Feuerwerk ab, eine Hommage an den tanzenden Dreiertakt, den Tate und die Symphoniker mit Lust zelebrieren, ohne dem Werk letztlich seine Sprödigkeit nehmen zu können.

Nach der Pause eine norddeutsche Erstaufführung. Ein Werk von erschütternder Eindringlichkeit – der „Totentanz für Mezzosopran, Bariton und Orchester“ von Thomas Adès, uraufgeführt erst vor gut drei Jahren in London. Der Komponist, Jahrgang 1971, ließ sich vom in den Bombennächten 1942 zerstörten Lübecker „Totentanz“-Fries inspirieren. Auf ihm waren zwölf Menschen zu sehen, von den höchsten – Papst und Kaiser – bis zum Handwerker, Bauer, dem Mädchen und einem Kind. Der Tod, der große Gleichmacher, ruft ihnen sein unwiderrufliches „Komm!“ zu. Ihre triftigen Gründe, warum es zur Unzeit kommt, verhallen ungehört.

Adès macht daraus große, packende Musik. Den Text aus dem 15. Jahrhundert teilen sich Bariton Adrian Eröd (packend nuanciert und großartig textverständlich) als Tod und Mezzosopran Christiane Stotijn (die gerade mit ihren tiefen Lagen fasziniert), in der Rolle der zwölf Menschen, die einen Querschnitt durch die menschliche Gesellschaft repräsentieren. Der Tod fordert, nur selten lockt er sanft, und nur zwei seiner Opfer ergeben sich willig – der Bauer und das Mädchen. Andere zetern wie der Kardinal, schlottern wie der Handwerker, sind kämpferisch wie der Ritter.

Was für eine Aufgabe für ein Orchester! Die Symphoniker bewältigen sie mit Bravour. Sie lassen es durch Mark und Bein schrillen, malen die Figuren der Opfer variantenreich aus, können die Halle noch stärker erzittern lassen, als es die U2 tief unterm Parkett je vermag. Adès hat Musik von universeller Gültigkeit geschrieben, die niemanden kalt lässt. Hart an der Grenze zum Musiktheater verhandelt er die letzten Dinge, die auf jeden Menschen zukommen. So bedrückend wie berückend, so schauerlich wie anrührend, wenn das kleine Kind am Ende mehrfach verhallend fragt: „O Tod, wie soll ich das verstehen? Ich soll tanzen und kann nicht gehen!“

Im Jubel stehen die Symphoniker-Fans denen der Philharmoniker um nichts nach. Und mit Adès’ Totentanz haben Tates Musiker einen nachdrücklichen Akzent an den Anfang ihrer Saison gesetzt, der nicht so schnell verklingen wird.

Wiederholung des Symphoniker-Konzerts am Montag, 19. September, um 20 Uhr, in der Laeiszhalle, Johannes-Brahms-Platz.

Abbildungsnachweis:
Header: Kent Nagono dirigiert die Hamburger Philharmoniker. Foto: Felix Broede
Galerie:
01. Hamburger Symphoniker. Foto: © J. Konrad Schmidt
02.
Kent Nagono dirigiert die Hamburger Philharmoniker. Foto: Felix Broede
03. Jeffrey Tate. Foto: © J. Konrad Schmidt

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