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Kent Nagano Foto Steven Haberland

HJF: Haben Sie ein Herzensprojekt für Hamburg, abseits von CDs? So wie es für Ihre Vorgängerin Simone Young „Der Ring des Nibelungen“ war?

KN: Es gibt verschiedene Projekte für die Zukunft, die ich mit dem Intendanten Georges Delnon diskutiert habe. Aber jetzt ist es erstmal für das Orchester und für Hamburg sehr wichtig, dass wir die Elbphilharmonie so eröffnen, dass sie einen sehr starken Impuls für die Weiterentwicklung der Stadt geben kann. Die Events zu Beginn werden sicher wunderbar, aber eine Konzerthalle ist viel, viel mehr als eine Eröffnungssaison. Sie ist eine Chance für eine Gesellschaft, einen Treffpunkt zu haben, und ein Fenster, durch das man mit der internationalen Welt kommunizieren kann, durch das auch Impulse herein kommen. Jetzt kommt es darauf an, wie man diese Chance nutzt und wie diese Energie für die Hamburger Gesellschaft kanalisiert. Das braucht viel Denken und viel Strategie.
Mein Traum, meine Hoffnung ist es, dass die Elbphilharmonie das Wohnzimmer von Hamburg wird – mit einer Chance, einen sehr starken kreativen Impuls für die nächste Entwicklungsphase der Stadt zu geben. Es ist also nicht damit getan, dieses Haus zur Welt zu bringen – wir müssen ihm einen besonderen Status in dieser Welt geben.

HJF: Nehmen Sie diese Startsituation als Glück wahr?

KN: Ich hatte das Privileg, viele Häuser persönlich eröffnen – Lyon, Manchester, Montreal, ich war auch bei der Eröffnung von San Fransiscos neuem Saal, bei Los Angeles und der Walt Disney Hall dabei, in Luzern bei der ersten Spielzeit. Da spürt und sieht man wie groß das Potenzial ist, man sieht aber auch, wenn es nicht erreicht wird. Es ist eine große Verantwortung für einen Dirigenten.

HJF: Wie oft sitzen Sie eigentlich in der Hamburger Staatsoper in Vorstellungen?

KN: Zwei-, dreimal in der Woche, wenn ich in Hamburg bin. es ist sehr wichtig, das Orchester zu hören, nicht nur im Graben, sondern auch von außen.

HJF: Wie sieht es mit den Sängern aus? es gibt immer wieder die Kritik, dass Hamburg nicht die wirklichen Top-Sänger bekommt. Da haben Sie in München andere Erfahrungen gemacht.

KN: Hamburg hat eine Tradition. Ich bemerke diese Tradition als Fremder aus dem Ausland genauer. In der Liebermann-Ära haben wir aus Amerika nach Hamburg geschaut. Weil da nicht nur kreative Ideen auf der Bühne waren, sondern auch die nächste Generation junger Stars geboren wurde. Das berühmteste Beispiel ist Plácido Domingo, der hier seinen Anfang hatte. Diese Tradition, die nächste Generation von Talenten zu finden und hier auf die Bühne zu bringen, ist ein Teil der Hamburger Geschichte, und wir müssen uns wirklich darauf fokussieren. Mit Herrn Delnon können wir hoffentlich diesen großen Fokus hinbekommen.

HJF: Wer hat das letzte Wort bei der Sängerauswahl?

KN: Es ist nicht so vertikal organisiert. Mit Herrn Delnon kann man gut diskutieren. Das kommt auf die Situation an. Wir diskutieren, und wenn wir merken, wir kommen nicht weiter, müssen wir in eine andere Richtung gehen.

HJF: In einem Gespräch mit der „Zeit“ haben Sie mal gesagt: „Als ich meine Frau geheiratet habe, war zum ersten Mal meine Seele in der Balance.“ Was war da vorher nicht ausbalanciert?

KN: In Amerika sind wir fast alle Immigranten, es ist ein Einwanderungsland. Natürlich haben wir auch die Native Americans, die vorher da waren. Aber jede Person kommt eigentlich aus einer anderen Kultur, aus einem anderen Land, und jeder geht durch diesen Melting-Pot-Prozess, wo man die Vergangenheit ein bisschen vergisst, man absorbiert dieses „America – land of opportunity“. Es war für mich schwierig, dass ich aufgewachsen bin mit dem Einfluss von Großeltern, die nur Japanisch sprachen. Die Kombination zwischen den Spannungen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, wo Japan unser Feind war, und dann, dass ich so fasziniert war von einer so unpopulären Sache wie der klassischen Musik in einem Moment Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre, wo populäre Musik eine sehr starke Rolle einnahm. Nur meine Leidenschaft lag nun mal bei der klassischen Musik, und das war da nicht so sexy. für mich schon – ich habe mit größter Freude mit einem Freund Bruckner-Sinfonien vierhändig gespielt, ich fand das sehr dynamisch. Aber niemand anders eben. Mein georgischer Professor hat in uns so deutlich das Interesse an Literatur und Philosophie, Musik und bildende Kunst geweckt – und das hatte so gar nichts mit dem Aufbruch der 60er-Jahre zu tun. Ich war auf der einen Seite komplett amerikanisch, hatte aber keinen Teil an der amerikanischen Populärkultur. Ich hab mich damals nicht wirklich wohl gefühlt, unangenehm, aber nicht tragisch oder dramatisch.
Als ich dann meine Frau kennen gelernt habe, haben wir gefunden, dass sie als Japanerin, die nie in Japan gelebt hat, sondern nur in europäischen Zentren als klassische Pianistin, auch nicht so superpopulär war in der Schule. Von außen sieht sie aus wie eine Japanerin, ist es aber nicht wirklich. Genau wie ich: Ich sehe aus wie ein Japaner, bin aber zu 100 Prozent Amerikaner. Und weil wir uns so ähnlich waren, waren plötzlich alle diese Spannungen weg. Wir sind wie wir sind, es ist kein Fehler. Und das brachte eine unglaublich tiefe Ruhe.


Unsere CD-Empfehlung mit Kent Nagano:
Beethoven: 9 Symphonies
Orchestre Symphonique de Montréal, Leitung: Kent Nagano.
6 CDs Analekta
AN 2 9150-5

Arthur Honegger: L’Aiglon
Jacques Ibert, Orchestre symphonique de Montréal
Decca, März 2016


Abbildungsnachweis:
Alle Fotos: Steven Haberland

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