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Musik


„Meine körperlichen Kräfte gebieten eine Absage meiner weiteren Pläne.“ Gerade mal drei Monate ist es her, dass sich der Dirigent Nikolaus Harnoncourt in einem offenen Brief als Dirigent von den Konzertpodien verabschiedet hat – im Dezember, am Tag vor seinem 86. Geburtstag. Am 5. März ist Harnoncourt gestorben friedlich eingeschlafen, wie seine Familie mitteilte.
Harnoncourt, geboren 1929 in Berlin als Johann Nicolaus Graf de la Fontaine und d’Harnoncourt-Unverzagt, war einer der Vorreiter der historischen Aufführungspraxis. Der gelernte Cellist – er spielte bis 1969 bei den Wiener Symphonikern – war ein passionierter Infragesteller musikalischer Traditionen und ebenso leidenschaftlicher Sammler alter Instrumente: „Für Musikinstrumente haben wir fast alles getan.“ 1950 spielte er mit seinem im Jahr zuvor gegründeten Gambenquartett Bachs „Kunst der Fuge“ in Wien – kein Selbstgänger damals. Mit seinem 1953 gegründeten Ensemble „Concentus Musicus“ machte er sich daran, der Musik des Barock und der Renaissance, gespielt auf Originalinstrumenten, ein Forum zu geben, das sein Verständnis von Musik als Klangrede in die Praxis umsetzt. Es war nicht einfach, denn eine entsprechende Hörtradition beim Publikum gab es nicht, das Gefühl für einen Klang, der nicht mit schierer Präsenz und Brillanz überwältigte, musste erst einmal aufgebaut werden. Erst 20 Jahre nach Gründung spielte der Concentus Musicus das erste Mal im großen Saal des Wiener Musikvereins.

Harnoncourt - BeethovenNikolaus Harnoncourt tat alles, was er anpackte, mit Begeisterung, nicht nur auf den Konzertpodien, sondern auch in seinen Schriften zur Musik und von 1973 bis 1993 als Professor an der Hochschule Mozarteum in Salzburg, wo er Aufführungspraxis und historische Instrumentenkunde im Seminar „Theorie und Praxis der Alten Musik“ unterrichtete – von den Epochen her war das für ihn aber keine noble Selbstbeschränkung, denn für Harnoncourt war es selbstverständlich, dass die „Alte Musik“ Werke bis 1900 einschließt.
Ein Meilenstein war seine Einspielung sämtlicher Bach-Kantaten, ein Mammutvorhaben, das er mit dem Concentus Musicus zwischen 1971 und 1989 realisierte, die Chorpartien gesungen von Knabenchören – noch bevor sich Aufführungen und Aufnahmen mit dem kristallinen Klang solistisch besetzter Chören ihren Platz eroberten.
1972 debütierte Harnoncourt als Dirigent in Zürich mit einer Monteverdi-Oper. Zwischen 1975 und 1989 kam es zur legendären Zusammenarbeit mit dem Regisseur und Bühnenbildner Jean-Pierre Ponelle in Zürich mit Zyklen sämtlicher Monteverdi-Opern und einer Reihe von Mozart-Opern. Die Arbeit als Dirigent führte ihn du den großen Orchestern und in die berühmten Opernhäuser der Welt. In Hamburg ist er unvergessen durch den „Fidelio“, den er hier 1988 dirigierte. Regisseur damals: Peter Palitzsch. Bei den Salzburger Festspielen leitete er Aufführungen von Monteverdis „L’incoronazione die Poppea“ und Mozarts „Le nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ und „La clemenza di Tito“.
2001 und 2003 luden ihn die Wiener Philharmoniker ein, ihr weltberühmtes Neujahrskonzert zu dirigieren. Er interpretierte die Werke der Wiener Walzer-Tradition genau wie seine Aufnahme der „Fledermaus“ mit eleganten Noblesse und Akkuratesse. Auch Walzer haben ihren Originalklang.
Seit 1985 hatte Harnoncourt in Graz mit der „styriarte“ sein eigenes Festival, das er gleich im Eröffnungsjahr mit Aufführungen den beiden großen Bach-Passionen bereicherte. Gefeiert wurden dort seine Musiktheater-Produktionen von Purcell bis Gershwin. Ausgehend vom Repertoire der Renaissance- und der Barock-Zeit arbeitete sich Harnoncourt mit der ihm eigenen Sichtweise auf die Musik in andere Epochen der Musikgeschichte vor – und auch hier stellte er immer wieder Fragen und bekam Ergebnisse, die Aufsehen erregten.

Harnoncourt - RequiemHarnoncourt ist für die Musiker, mit denen er probte, kein bequemer Dirigent gewesen. Er verteilte sein eigenes Stimmenmaterial, in dem er „tradierte“ Fehler ausgemerzt hatte und die für seine eigene Interpretation wesentlichen Vortragszeichen eingetragen hat.
Seine eigene Website www.harnoncourt.info, die ausführlich über seinen Lebensweg, seine unzähligen Aufnahmen und Schriften berichtet, zitiert ihn mit einer Passage aus einer Rede zum Abschluss des Mozart-Jahres, wo er 1991 sein von fundamentalem Ernst geprägtes Verständnis von Musik formuliert hat: „Wir Musiker – ja alle Künstler – haben eine machtvolle, ja heilige Sprache zu verwalten. Wir müssen alles tun, dass sie nicht verloren geht im Sog der materialistischen Entwicklung.
Es ist nicht mehr viel Zeit, wenn es nicht gar schon zu spät ist, denn die Beschränkung auf das Denken und die Sprache der Vernunft, der Logik, und die Faszination durch die damit erzielten Fortschritte in Wissenschaft und Zivilisation entfernen uns immer weiter von unserem eigentlichen Menschentum. Es ist wohl kein Zufall, dass diese Entfernung mit der Austrocknung des Religiösen Hand in Hand geht: Die Technokratie, der Materialismus und das Wohlstandsdenken brauchen keine Religion, kennen keine Religion, ja nicht einmal Moral.
Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein.“
Sätze, die den Grundstein seines Musikverständnisses gebildet haben.
Gerade erst hatte Harnoncourt seine letzte Neueinspielung veröffentlicht: noch einmal Beethovens Symphonien 4 und 5, gespielt vom Concentus Musicus. Die letzte von vielen hundert Aufnahmen, die sein Vermächtnis lebendig halten. Die letzte Station einer lebenslangen Suche nach musikalischer Wahrheit.
Fast zeitgleich brachte Warner die Wiederveröffentlichung von Harnoncourts Interpretation des Mozart-Requiems heraus, ebenfalls gespielt von seinem Orchester, aufgenommen 1981 im Großen Saal des Wiener Musikvereins.


Beethoven: Symphonies 4 & 5
Concentus Musicus, Nikolaus Harnoncourt.
CD Sony Classical
8887 5136 4552

Mozart: Requiem und Krönungsmesse
Concentus Musicus, Wiener Staatsopernchor und Arnold Schoenberg Chor, Nikolaus Harnoncourt.
CD Warner Classics
0825 6469 01258

Nordic Concerts • 2. Internationales Musikfest Hamburg
Mi, 20.00 Uhr - ca. 21.15 Uhr / Laeiszhalle Hamburg / Großer Saal
Einführung mit Lars Entrich: Mi, 19.15 Uhr / Laeiszhalle Hamburg / Kleiner Saal

Veranstalter: Elbphilharmonie Konzerte
Concentus Musicus Wien
Arnold Schoenberg Chor
Genia Kühmeier Sopran
Wiebke Lehmkuhl Alt
Steve Davislim Tenor
Luca Pisaroni Bassbariton
Dirigent Diego Fasolis
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125
Es war als krönender Abschluss des 2. Internationalen Musikfestes Hamburg und der letzten Konzertsaison vor Eröffnung der Elbphilharmonie gedacht: Eine Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie unter Nikolaus Harnoncourt mit vielen seiner langjährigen Mitstreiter auf dem Podium. Am 5. März ist Harnoncourt im Alter von 86 Jahren friedlich im Kreise seiner Familie verstorben. Die Musikwelt trauert um einen einzigartigen Künstler. Das Konzert findet trotzdem statt - mit allen angekündigten Mitwirkenden, unter Diego Fasolis als neuer Leitung.

Nikolaus Harnoncourts Einfluss auf die Musikwelt kann nicht überschätzt werden kann. Mit seinen profund recherchierten Interpretationen und dem Bewusstsein für authentische Klangsprache und Stilistik war für ihn jedes Konzert ein Neuanfang – als wäre die Musik großer Meister soeben erst komponiert worden. Anfangs umstritten und von manchen bekämpft, hat seine Zugangsweise Generationen von Dirigenten und Musikern geprägt. Sein Einfluss ist fast in jedem Orchesterkonzert unserer Tage zu spüren.

Die Aufführung von Beethovens Neunter mit dem 1953 von Nikolaus Harnoncourt gegründeten und seitdem von ihm geleiteten Concentus Musicus Wien, dem Arnold Schoenberg Chor und einem herausragenden Solistenquartett ist dem Gedenken dieses großen Musikers und Dirigenten gewidmet.


Abbildungsnachweis:

Header: Nikolaus Harnoncourt. Foto: Sony Classical
CD-Cover

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