Musik

Wo war „Elisabeth“ nach seiner Uraufführung im Theater an der Wien 1992 nicht schon überall: in Italien, Schweden, Ungarn und der Schweiz, in Belgien, Finnland und den Niederlanden. Selbst in China, Japan und Südkorea tourte das Musical um das tragische Leben der bildschönen Kaiserin, deren Mythos bis heute durch die kitschige Sissi-Trilogie der 1950er Jahre geprägt ist.

Nun, „Die wahre Geschichte der Sissi“, wie es im Untertitel heißt, ist nicht frei von Schmalz und Kitsch – doch das betrifft nicht die Beziehung zu ihrem „Franzerl“, sondern vielmehr die Vorstellung eines charismatischen Jünglings aus dem Jenseits.

Michael Kunze (Buch), bekannt für seine sorgfältigen Recherchen, hat sich sehr genau an der Biographie der historischen Person orientiert und die wichtigsten Geschehnisse der Zeitgeschichte ausgezeichnet auf den Punkt gebracht. Schonungslos zeigt er, wie Sissi unter der übermächtigen Schwiegermutter und den Zwängen bei Hof leidet, wie man sie dressiert, einsperrt und ihr die Kinder entzieht – und wie schwach und tatenlos Franz Joseph dem Treiben seiner Mutter zusieht. Bis Elisabeth schließlich ihre Schönheit als Machtinstrument entdeckt und immer mehr ausspielt, um sich durchzusetzen. Doch zu spät: Die kaiserliche Familie ist längst kaputt, keiner kann dem anderen mehr helfen, jeder bleibt für sich allein. Elisabeth, als erwachsene Frau eine Kaiserin ohne Rast und Ruh, ständig auf Reisen quer durch Europa, verfällt in tiefe Depressionen als ihr Sohn Rudolf sich umbringt. In Gedichten bringt sie ihre Todessehnsucht zum Ausdruck, doch es dauert noch fast zehn Jahre, bis sie schließlich in der Schweiz stirbt – ermordet von einem italienischen Anarchisten, der sie eher zufällig auswählte.

Gleichsam als Gegenentwurf zu den zuckersüßen Schmachtfetzen der Romy-Ära schildert Michael Kunze Elisabeths Leben als einen ‚Dance macabre’, in dem der personifizierte Tod von Anfang an das Zepter führt. Conferencier in diesem düsteren Bilderreigen ist Luigi Lucheni, jener perfide Mörder, der Elisabeth am 10. September 1898 vor dem Luxushotel Beau-Rivage am Genfersee eine scharfgeschliffenen Feile mitten ins Herz rammte.

Im ersten Bild rechtfertigt sich Lucheni (sehr charmant, aber leider etwas dünn bei Stimme: Kurosch Abbasi) vor dem jüngsten Gericht mit der Begründung, der Tod höchstpersönlich habe ihn zu der Tat beauftragt - aus purer Liebe. Zum Beweis lässt er die Vergangenheit antreten: Aus dem Bühnendunkel kriechen die Hofschranzen des Habsburger Reiches hervor und ähneln im ersten Moment frappierend an die Untoten aus „Tanz der Vampire“: Ein Mummenschanz aufgezogener Marionetten, der im Laufe des Abends immer wieder um Kaisermutter und Thronfolger scharwenzelt. Im Kontrast dazu die vor Kitsch nur so triefende Begegnung der 15-jährige Sissi im heimischen Possenhofen mit dem Tod. Sie fällt, er fängt sie auf – aber nur, um in die Arme des jungen Kaisers zu fliegen. Der Tod macht ihr klar, dass sie ihm gehört – und läutet die Hochzeitsglocken.

„Elisabeth“ also als Mix aus Persiflage auf untergegangenes Kaiserreich und allegorischer Lovestory mit dem schönen Mann aus dem Jenseits (mal in schwarzem Lack, mal ganz in Unschuldsweiß), dem der verführerische Mark Seibert (schöne Stimme, leider miserabel ausgesteuert) eine ordentliche Portion Sexappeal verleiht.

Doch diese ambitionierte Mischung ist auch die Krux des Stückes. Der Wechsel zwischen Spott und Zeitgeist-Satire einerseits, und einer gequälten empathischen und todessehnsüchtigen Seele andererseits zerfransen das Stück zu einem Bilderbogen von höchst unterschiedlicher Qualität. Am stimmigsten sind die Szenen im Kaffeehaus, in dem Wiener Müßiggänger an ihren Tischen wie Autoscooter umherkreiseln, sowie die wunderbare bildliche Umsetzung des perfiden Schachzugs von Kaisermutter Sophie und ihrer Entourage gegen Elisabeth: Eingezwängt in Steckenpferdchen hüpfen sie auf einem (projiziertem) Schachfeld umher, während sie aushecken, Franz Joseph eine Mätresse zuzuführen. Das ist einfach hinreißend. Überhaupt die Kostüme: Sie sollen nicht unerwähnt bleiben, denn was das Bühnenbild über weite Strecken vermissen lässt, kompensiert das opulente, farbenfrohe Outfit des Ensembles weitgehend wieder.

Ansonsten ist die Produktion so flach wie die (permanent durch das Seitenlicht spiegelnde) Projektionsfläche: Ein ständiges Auf- und Abtreten der Figuren von links nach rechts (ja, klar, Sissi ist auf der Flucht); ab und zu rauscht die Gondel des Todes auf die Bühne, von oben schiebt sich in Intervallen eine freischwingende Brücke ins Bild, auf dem der Tod herumspaziert und über der Wand im Hintergrund flimmern im Wechsel schöne Natur- und Architekturaufnahmen.

Roberta Valentini verkörpert Elisabeth absolut überzeugend und besticht mit einem klaren, aber etwas harten Sopran, Maximiliam Mann als Franz Joseph gewinnt im Laufe des Abends deutlich an Kontur. Heimlicher Star aber ist Maike Kathrin Merkel als tyrannische Erzherzogin Sophie. Merkel hat nicht nur die stärkste Stimme unter den Solisten, sie spielt auch alle an die Wand. Wenn Merkels Sophie und Valentinis Sissi aufeinandertreffen, dann geht es wirklich zur Sache, aber das sind leider nur kurze Momente.

Ach ja, ein Wort noch zur Musik: Sylvester Levays Kompositionen vibrieren nur so vor Paukenschlägen und Geigentutti. Bombastisch, laut und hochdramatisch, bleibt aber nicht hängen. Spätestens an der Garderobe hat man die Melodien schon wieder vergessen.

„Elisabeth“ - Das Musical

Mehr!Theater am Großmarkt Bankstraße 28 in 20097 Hamburg.

Zu sehen bis 27. März 2016, täglich außer Montag, Karten unter Tel.: 01805-2001
Veranstalter: Collien Konzert & Theater GmbH und Semmel Concerts GmbH
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Headerfoto: Labelle/Juliane Bischoff