Musik

Isabelle Hofmann (IH): Herr Ramsey, nicht nur die Kammeroper Hamburg, wo Sie kommenden Donnerstag auftreten, kündigt Sie mittlerweile als „Jazzlegende“ an. Eine späte Genugtuung?

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Bill Ramsey (BR): Ja, vielleicht. Es freut mich auf jeden Fall sehr, dass Jazz wieder so angesagt ist. Und ich freue mich auch auf den Abend in der Kammeroper. Toller Laden, der kocht vor Idealismus. Aber das Wort „Legende“ - das wundert mich. Es ist ein bisschen komisch, in den Reigen der Jazzgötter aufgenommen zu werden. Es gibt so viele gute Jazzmusiker: Ray Charles, Quincy Jones, Count Basie, und so weiter.

IH: Sie sind schon deshalb Legende, weil Sie einer der ersten musikalischen Gastarbeiter Deutschlands waren.

BR: Aber nicht der Erste. Chris Howland war noch vor mir. Chris stellte als Erster im Radio seine eigene Plattensammlung vor und redete zwischendurch direkt mit den Leuten. Das kannten die Deutschen damals nicht.

IH: Sie sind auch ein begnadeter Entertainer, mit Ihren Hits wurden Sie Anfang der 60er Jahre zum singenden Knuddelbär der Nation.

BR: Ja, ja. Der Knuddelbär hängt mit meiner Figur zusammen. (lacht)

IH: Sie waren Anfang 20 damals. Hat Ihnen das Image gefallen?

BR: Ich habe mir nie überlegt, ob es mir gefällt oder nicht. Ich hatte Riesenerfolg und war glücklich mitmachen zu können: 28 Filme, viele Platten. – Der Knuddelbär war schon okay.

IH: Aber nicht unbedingt sexy.

BR: Ja, das stimmt. Groupies sind mir nicht nachgelaufen. (lacht)

IH: Man könnte meinen, als Vollblut-Jazzer müssten Sie darunter gelitten haben, Schlager zu singen. Sie haben sich 1957 jedoch ganz bewusst für das Lustige entschieden. Warum?

BR: Rock‘n Roll war für mich als Jazzer damals ein No-Go. Heute sehe ich das nicht mehr so. Es gab doch viele gute Impulse durch den Rock. Aber damals wollte ich auf keinen Fall Elvis Presley oder so jemanden nachmachen. Deshalb habe ich meinem Produzenten Heinz Gietz gesagt: „Wir machen was Lustiges“.

IH: Ihre Lieder waren ja auch eher eine Art deutscher Swing, oder?

BR: Ja, der Jazz ist überall drin. „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ ist reiner Bigband-Swing: Dabadaba dab. Dabadaba dab. Und alle meine Schlager hatten einen aktuellen Bezug: Es gab tatsächlich eine Zuckerpuppe – aus Bochum, glaube ich – dritte Frau von irgendeinem Scheich aus Saudi-Arabien. Sie wollte wieder nach Hause und Mamma hat sie mit Hilfe eines Anwalts rausgeholt. Die Boulevardpresse war voll damit, noch dazu spukte Soraya in den deutschen Köpfen herum.

IH: Als die Rockmusik Mitte der 60er-Jahre Deutschland eroberte, wurde es zunehmend still um Sie.

BR: Ich habe es still gemacht. Irgendjemand hat mal geschrieben, er schämt sich und das hat mich so geärgert, denn das stimmt nicht. Ich habe mich nie für meine Schlager geschämt. Ich wollte mein Repertoire einfach erweitern und wieder mehr Jazz und auch Folklore machen. Ich habe mit Don Paulin gesungen, hatte ein Trio und habe auch mit Bigbands gespielt. Ich habe vier CDs aufgenommen, „Ramsey Swings“, aber diese Titel wurden nur nachts gespielt, deshalb war ich für das Massenpublikum nicht mehr so präsent.

IH: Hinzu kam, dass Sie lange Zeit in der Schweiz lebten. Aber lassen Sie uns nochmal nach Frankfurt zurückgehen, wo Sie 1952 als junger GI-Soldat stationiert waren. Welche Bilder haben Sie von damals in Erinnerung?

BR: Ruinen. Überall Ruinen. Es war alles zerbombt, selbst die Soldaten-Clubs standen zwischen Ruinen.

IH: Hatten Sie den Eindruck, Sie kommen in ein Land voller Nazis?

BR: Nein, hatte ich nicht. Es war klar, ich komme in ein Land, in dem es Nazis gab, aber ich wusste, dass man keineswegs alle Leute über diesen Kamm scheren konnte. Und mein allererster Eindruck von Deutschland war: Das sind alles Geschäftsleute. Die Leute, die neben den Zügen entlangliefen, trugen alle eine Aktentasche. Ich wusste nicht, dass darin nur eine Kanne Kaffee und ein paar Brote waren. Wir haben dann Zigaretten und für die Kinder Schokolade aus dem Fenster geworfen.

IH: Die Amerikaner waren damals sehr populär...

BR: Das habe ich gemerkt, als ich mit den Schlagern herauskam. Die Stimmung gegenüber Amerikanern war unerhört positiv, dass änderte sich erst mit dem Vietnamkrieg, aber damals waren wir sehr gut akzeptiert. Ich sage wir, dabei fühle ich mich heute als Deutscher.

IH: Sie fühlen sich nicht als Amerikaner?

BR: Nein. Ich bin Europäer. Ich bin keineswegs Amerikaner!

IH: Was unterscheidet Europäer von Amerikanern?

BR: Das Bewusstsein. Ich unterstütze nicht die Einstellung: „America ist the greatest country in the world“. Ich kann so einen Quatsch nicht hören!
In Amerika werden Sechsjährige in Handschellen abgeführt, das finde ich völlig indiskutabel. Und außerdem ertrage ich es nicht, wie man die Schwarzen diskriminiert. Die Gefängnisse in den USA sind zu 60 Prozent mit Schwarzen gefüllt, dabei machen sie kaum mehr als 12 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.

IH: Im vergangenen Sommer gab es Aufstände und Massenproteste in den USA, nachdem mehrere unbewaffnete schwarze Jugendliche auf der Straße erschossen wurden. Viele Intellektuelle meinen, die US-Gesellschaft sei zutiefst rassistisch. Sehen Sie das auch so?

BR: Oh, ja. Die endgültige Abschaffung der Sklaverei war erst 1865, nach dem Bürgerkrieg. Das ist im geschichtlichen Sinn nicht lange her. Als ich klein war, hatten wir in Cincinnati ein Kino, in dem die Schwarzen im ersten Rang saßen. Nur Weiße durften ins Parkett.

IH: Hatten Sie zu Hause auch schwarze Bedienstete?

BR: Ja, ein Ehepaar habe ich besonders geliebt, sie waren meine Ersatzeltern. Tommy Jones, mein geliebter Ersatzvater, wollte mit mir mal zum Angeln an einem der künstlichen Seen fahren. Der Mann am Tor sagte: „Aber der darf hier nicht rein. Höchstens, um das Boot zu rudern, aber nicht um zu Angeln“. Das habe ich unter Tränen abgelehnt. Tommy hat mir das mit dem Rassismus erklärt. Das war meine exzellente Einführung in das noch heute existierende Problem.

IH: War der Rassismus ein Grund, warum Sie in Europa blieben?

BR: Ja, das war es.

IH: Auch in Deutschland ist Rassismus und Ausländerfeindlichkeit wieder auf dem Vormarsch, siehe „Pegida“ und „AfD“.

BR: Ich finde, das ist unglaublich! „Pegida“ löst sich meinem Empfinden nach jetzt schon auf und die „AfD“ versammelt die Ultrarechten. Aber ich glaube nicht, dass das eine Bewegung ist, die ähnliches Gewicht hat wie die Rechte in Frankreich. Unsere Bundeskanzlerin macht einen guten Job. Mit ihr kann ich mich identifizieren. Aber mit Nixon und Bush kann ich es nicht. George W. Bush war für mich die größte Katastrophe, die man sich überhaupt vorstellen kann. Er hat Amerika in der ganzen Welt verhasst gemacht.

IH: Die Amerikaner spielen sich als Weltpolizei auf, dabei schaffen sie es nicht, die wichtigsten Konflikte im eigenen Land zu lösen. Was glauben Sie: Wird die Kluft zwischen Weiß und Schwarz in den USA je überwunden werden?

BR: Ja, ich denke schon. Aber nicht mehr in meiner Zeit. Es gibt viele Mischehen und das funktioniert. Je mehr farbige Menschen rumlaufen, umso besser.

IH: Mit Obama als erstem afroamerikanischem Präsidenten schien bereits 2009 eine neue Ära angebrochen zu sein.

BR: Ich habe mich so gefreut, als Obama gewählt worden ist. Aber es ist schon eine Enttäuschung, er hat nicht geschafft, was er schaffen wolle. Seine größten Probleme sind die schlechte Öffentlichkeitsarbeit und die Tea-Party.

IH: Warum?

BR: Die Republikaner sind so mächtig! Es gibt in den USA ein sehr starkes Klassensystem, mit einer weißen Oberschicht, den WASP, wie sie genannt werden, den "White Anglo-Saxon Protestant". An der Spitze stehen die Nachkommen protestantischer Engländer und Schotten. Bis auf Obama und zwei Präsidenten holländischer Abstammung waren alle Präsidenten bislang WASP. Der politische Einfluss dieser Schicht ist so stark, das weiß man in Deutschland allgemein nicht.

IH: Das klingt nicht sehr demokratisch.

BR: Ja, das dämpft es. Allein diese X-Millionen Dollar, die man braucht, um eine Wahl zu gewinnen – das ist keine Demokratie, das ist eine Oligarchie.

IH: Ihr Vater war ein einflussreicher Manager in Cincinnati und einer der Pioniere der Radiowerbung. Gehörte Ihre Familie nicht auch zu den WASP?

BR: Oh ja, die Ramsey-Family war ein sehr wichtiger Clan. Das war auch ein Grund, warum ich da weg wollte. Ich wollte weg von diesem Elite-Denken und der Klassengesellschaft. Ich wollte weg von den Republikanern. Ich bin in der Schule verprügelt worden, weil mein Vater Roosevelt gewählt hatte.

IH: Niemand geringeres als Ella Fitzgerald hat Ihnen das Kompliment gemacht, eine schwarze Stimme zu haben. Wie kommt ein Junge aus der weißen Oberschicht von Ohio zu einer derart „schwarzen Stimme“?

BR: Aus den Jazz-Clubs in Cincinatti. Da gab es eigentlich nur Schwarze, vielleicht ein, zwei Weiße. Ich habe mit den schwarzen Musikern zusammen gesungen, hauptsächlich Blues, aber Blues ist Jazz. Meine Stimme hat sich dort geformt, ich habe schlicht und einfach nachgemacht.

IH: Sie sind aus Ihrer elitären Welt ausgebrochen, um in schwarzen Clubs Jazz zu singen? Hatten Sie nie Angst, dass ihnen in der Szene etwas zustößt?

BR: Nein. Ich habe mich unter Schwarzen immer sauwohl gefühlt. Es war ja meine Musik.

Bill Ramsey live in Concert - in der Hamburger Kammeroper, Max-Brauer-Allee 76, 22765 Hamburg.
Donnerstag, 26.2.2015, 20 Uhr, Karten unter: (040) 382959 oder online.
Ramsey swings auf YouTube

Bill Ramsey wurde 1931 in Cincinnati (Ohio) geboren und sang bereits in seiner Schulzeit Jazz, Swing und Blues. Nach kurzem Aufenthalt an der Yale-Universität, wo er Soziologie und Wirtschaft studierte (aber nicht beendete), kam er 1952 als US-Soldat nach Frankfurt, trat dort im legendären Jazzkeller auf, wurde umgehend vom Soldatensender AFN entdeckt und sang ab 1953 bei Jazzkonzerten mit Paul Kuhn, James Last und vielen anderen mehr. Mit der Freundschaft zum Musikproduzenten Heinz Gietz begann Ramseys Karriere als Schlagerstar. „Souvenirs“ wurde 1959 Spitzenreiter der deutschen Hitparade, 1961 eroberte „Pigalle“ Platz 1. Songs wie „Die Zuckerpuppe aus der Bauchtanztruppe“ und „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ folgten. Alle Texte (von Kurt Feltz und Hans Bradtke) kommentierten ironisch das Zeitgeschehen.
Als Filmschauspieler war Bill Ramsey in insgesamt 28 Nebenrollen präsent, u.a. in „Heimweh nach St. Pauli“ (1963), „Old Shatterhand“ (1964) und „Liebesgrüße aus Tirol“ (1964). Ab Mitte der 60er Jahre widmete sich der Musiker wieder dem Jazz, machte aber auch Volklore, Operette, Musical- und Kinderlieder. Als Jazz- und Swing-Legende steht er heute immer noch auf der Bühne.
1984 nahm Bill Ramsey die deutsche Staatsbürgerschaft an, seit 1991 lebt er mit seiner vierten Ehefrau in Hamburg.


Abbildungsnachweis:
Header: Bill Ramsey in seiner Wohnung in Hamburg. Foto: Isabelle Hofmann
Galerie:
01. Bill Ramsey 1946. Foto: privat
02. Portrait 1961 (30 Jahre) in Smoking mit schottischem "Ramsey-Tartan", Familien-Muster Stoff
03. Bill Ramsey. Foto: Norbert Schinner