Musik

Ein unversöhnliches Schlussbild am Ende von Giuseppe Verdis Oper „Luisa Miller“, deren Libretto auf Friedrich Schillers bürgerlichem Trauerspiel „Kabale und Liebe“ basiert. Und ein großer Premierenabend in der Hamburgischen Staatsoper – einer, der als Sternstunde der Ära Young im Gedächtnis bleiben kann.

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Viermal hebt sich während der einleitenden Sinfonia kurz der Vorhang – und gibt den Blick auf einen Raum frei, der knapp die halbe Höhe der Staatsopernbühne einnimmt und ihre gesamte Breite. Zu sehen sind für ein paar Sekunden vier Schlüsselszenen, die den grundlegenden Konflikt der Oper auf vier eindringliche Bilder reduzieren. Die Geschichte: Bürgermädchen liebt jungen Adligen, der anfangs inkognito auftritt. Beider Väter sind dagegen, ein Fiesling intrigiert, eine Herzogin will standesgemäß und vorteilhaft geheiratet werden, der Graf hat ein mörderisches Geheimnis, sein Sohn Rodolfo kann ihn damit erpressen. Am Ende, siehe oben, siegt Wurms und des Grafen Intrige: Luisa soll Rodolfo freigeben, um ihren inhaftierten Vater zu retten. Rodolfo glaubt ihre Liebe verraten, per Giftbecher verlassen beide diese Welt – Luisa leider unfreiwillig, denn sie wollte mit ihrem Vater aus dem marode Land fortwandern. Schiller schrieb sich das 1784 am Vorabend der französischen Revolution vom Herzen, als es nur erst in Büchern und auf Theaterbühnen stürmte und drängte – eine wortgewaltige Abrechnung mit Adelswillkür und ihrem morsch gewordenen, ungerechten Machtsystem.

Im Guckkasten-Format (Bühnenbild: Paul Zoller) wird das vorgeführt: Nach der Art einer Bildergeschichte schiebt sich ein immer gleicher Raum, sparsamst möbliert die Orte der Handlung nur andeutend, immer aufs Neue von rechts auf die Bühne und verdrängt den gerade gesehenen, meist samt den darin spielenden Figuren, nach links. Anfangs geht das schon mal im Minutentakt – kurz und knapp. Später dauert es schon mal länger, wenn komplizierte Sachverhalte verhandelt werden. So entsteht eine Art unerbittlicher Comic-Streifen mit Bildern, die auch auf den Schautafeln eines Moritatensängers Platz finden könnten: aufgeräumt, konzentriert, meist auf den Punkt zugespitzt. Einzig die wechselnde Lichtatmosphäre besorgt emotionale Einstimmungen, und ein großformatiges Gemälde – es ändert sich im Verlauf der Oper von der Idylle ins zunehmend Gewitterdüstere und zur flammenden Katastrophe, um zum Schluss doch noch ein wenig Himmelslicht zu zeigen, das durch die Wolken bricht.

Homoki macht die Handlung wieder zum bitterbösen Kammerspiel
Der optisch kleine Raum macht aus der Handlung, die Verdi zensurbedingt in ein Tiroler Dorf verlegt hat, wieder das bitterböse Kammerspiel, das Schiller geschrieben hatte, in dem die unterschiedlichen Interessen von Adel und Bürgern, von besorgten und berechnenden Vätern, von bösartigen Intriganten und naiven Liebenden aufeinander prallen.

Auch stellt sein Chor nicht abwechselnd Bauern und Höflinge dar, sondern bleibt konsequent optisch dem adligen Milieu zugeordnet, was zuweilen seltsam klingt, wenn sich die Sängerinnen und Sänger ganz vertraulich an Luisa wenden. Wie das große Gemälde, so verändert sich auch der Chor langsam während des Geschehens – aus der strahlend-eleganten Adelsgesellschaft wird nach und nach eine heruntergekommene, abgetakelte Versammlung irgendwo zwischen „Tanz der Vampire“ und Zombie-Ästhetik (Kostüme: Gideon Davey).
Nachteil der Guckkasten-Regie: Das Spiel bleibt manchmal recht statisch, was der Glaubwürdigkeit großer Leidenschaften nicht gerade zugute kommt. Auch nutzt sich der Effekt der gleichförmig durchlaufenden Szenen-Guckkästen gegen Ende doch ein wenig ab.

Wäre da nicht die Musik, die Verdi 1849, am Ende eines ebenfalls revolutionsbewegten Jahrs, in Neapel uraufführte. Am Ende seiner „Galeerenzeit“, jener Schaffensepoche, in der er sich vorwiegend mit effektvollen Historienstoffen beschäftigte, und vor den „mittleren“ Opern, zu denen u.a. Rigoletto, Trobadour, Traviata zählen. „Luisa Miller“ ist ein Werk des Wandels – Verdi sucht musikalisch größere Zusammenhänge jenseits der Nummernoper und experimentiert stärker mit motivischen Techniken.

Simone Young hat sich wie immer akribisch in die Autographen vertieft und sorgt nun für feinnerviges, transparentes Spiel diesseits von Bombast und Dröhnung. Sie setzt harte Akzente, spielt effektvoll mit dem Tempo und kostet Verdis Klangfarbenexperimente voll aus – großes Orchesterkino, auf den Punkt exakt. Wobei die Philharmoniker im Orchestergraben am Premierenabend von der ersten Sekunde an bestens intoniert und spannungsgeladen dabei sind wie selten und kein bisschen Einspielzeit vorm Premierenpublikum brauchen. Dass der Staatsopernchor, einstudiert von Eberhard Friedrich, eine weitere Säule im Geschehen ist, versteht sich längst von selbst.
Vollends zum Ereignis wird der Abend allerdings durch das großartige Sängerinnen- und Sänger-Ensemble der Produktion. Allen voran die Luisa von Nino Machaidze mit großartiger, klug dosierter Sopran-Strahlkraft, die sie in dieser Partie zwischen Belcanto und dramatischer Oper ausspielen kann. Sie beherrscht eine große Bandbreite von elegant dahin getupften Koloraturen bis zum emotionalen Ausbruch mit dramatischer Power, sie zeichnet aber ebenso stark Momente empfindsamer Innigkeit. Nur gegen Ende schimmert in der hohen Lage ein Spürchen Metallschärfe durch.

Spannende und klangvolle Opernstunden auf hohem Niveau
George Petean gestaltet seine große Bariton-Partie als Luisas Vater sehr oft lyrisch sehr weich, was ihn punktuell immer mal wieder ins Hintertreffen gegenüber dem sehr präsenten Orchesterklang brachte.

Luisas stürmischer Geliebter Rodolfo heißt bei Verdi so, weil den Namen Ferdinand, den Schiller verwendet hatte, in Neapel bereits der König beider Sizilien trug. Als Rodolfo glänzte der aus Catania stammende Tenor Ivan Magrì mit einem kräftigen Schuss Italianità in der strahlenden Tenorstimme. Er hatte Kraft und Schmelz in der Höhe, konnte aber auch durch allerfeinstes Pianissimo überzeugen und hatte keine Angst davor, in hochemotionalen Momenten die Grenzbereiche zwischen Singen und Sprechen auszuloten. Nur die mittlere Lage wirkt zuweilen forciert, das mag auch der Nervosität des Hamburg-Debütanten geschuldet sein.

Der Conte di Walter, Rodolfos Vater, ist eine unglückliche Figur. Im Kopf hat er noch die alten Adelsprivilegien, de facto ist der Titel auf verbrecherische Weise an ihn gelangt. Er ist erpressbar und kann nicht handeln, wie er gern will. Tigram Martirossian gab der Figur eine gleichschwingende Bass-Autorität, vielleicht ein wenig statisch gespielt hier und da und zu Ausbrüchen nur fähig, wenn jemand in die Nähe seines dunklen Geheimnisses vordrang. Das passte gut zur Anlage des Charakters dieses Grafen.

Die Herzogin, mit der er seinen Sohn standesgemäß und kontofüllend verheiraten möchte, ist von Verdi nicht als große Partie gezeichnet – Cristina Damian mit edlem Mezzo machte sie dennoch zur Mitspielerin auf Augenhöhe.

Und Wurm, der Bösewicht im Dienst des Grafen? Ein schwarz funkelnder Kristall der hohe und sehr bewegliche Bassbariton von Oliver Zwarg, seine Stimme leuchtete böse zwischen den Momenten eigener Demütigung und der Gewalt gegen andere.
So gelingt die Hamburger „Luisa Miller“ und bietet zweieinhalb spannende und klangvolle Opernstunden auf hohem Niveau. Der Lohn am Premierenabend: gewaltiger Applaus und dröhnende Bravo-Rufe.


Luisa Miller
Nächste Vorstellungen: 19., 22. und 25. November, 19:30 Uhr und 30. November, 15:00 Uhr sowie 4. und 9. Dezember um 19:30 Uhr.
Dauer: 3 Stunden. Karten unter (040) 3568 68 und im Internet unter www.staatsoper-hamburg.de


Abbildungsnachweis: Alle Fotos Monika Rittershaus
Header: Nino Machaidze (Luisa), George Petean (Miller), Chor
Galerie:

01. Cristina Damian (Federica), Ivan Magrì (Rodolfo)
02. Ivan Magrì (Rodolfo), Nino Machaidze (Luisa)
03. Nino Machaidze (Luisa), Tigran Martirossian (Il Conte di Walter), Ivan Magrì (Rodolfo), George Petean (Miller)
04. George Petean (Miller), Nino Machaidze (Luisa)
05. Nino Machaidze (Luisa), Ida Aldrian (Laura), Chor
06. Nino Machaidze (Luisa), George Petean (Miller), Ivan Magrì (Rodolfo), Oliver Zwarg (Wurm).