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„Man sollte meinen, dass Eingriffe, wie sie zurzeit im Iran zum Beispiel beim Regisseur Mohammad Rasoulof geschehen, in Deutschland nicht mehr möglich wären“, so beginnt Staatsrat Dr. Nikolas Hill der Hamburger Kulturbehörde die Eröffnungsrede des diesjährigen Cinefests. Bekanntermaßen konnte der genannte iranische Regisseur dieses Jahr nicht zum Screening seines Films „Manuscript’s Don’t Burn“ beim Hamburger Filmfest anreisen, da ihm die Behörden seinen Pass abgenommen hatten – Rasoulofs regimekritischen Filme gelten in seinem Heimatland als eine „Gefährdung der nationalen Sicherheit“. Da seien wir in Deutschland doch bereits viel weiter, so Staatsrat Hill, und führt dann doch ein scheinbar amüsantes Beispiel an: Dieses Jahr wurde in Bochum die Aufführung des Monty Python-Films „Das Leben des Brian“ untersagt, weil die Verantwortlichen den Parodie-Streifen am Karfreitag zeigen wollten. Eine Anekdote, die zum Nachdenken anregt, und klar macht: Verbote und Eingriffe in Filmschaffen und -aufführung gibt es wie eh und jeh.

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Ein Grund mehr also, warum sich das Cinefest 2013 das Motto „Verboten! Filmzensur in Europa“ gewählt hat und dabei einen historischen Streifzug quer durch das Filmschaffen des 20. Jahrhunderts unternimmt: von ersten Stummfilmen und frühen „Sittenfilmen“ der Weimarer Republik, die im anrüchigen Großstadtmilieu der Ganoven und Dirnen angesiedelt sind, über das Kino zur Zeit des Nationalsozialismus bis zu von Zensur-Maßnahmen der DDR und ČSR betroffenen Werke sowie weiter zu jüngeren Kontroversen des Filmschaffens. Auf dem Programm stehen bekannte Filme wie „Casablanca“, der von internationalen Verleihern um die Nazi-Szene um Major Strasser gekürzt wurde, oder auch der kontrovers diskutierte Skandal-Film „A Clockwork Orange“ von Stanley Kubrick, der vom Regisseur selbst aus dem Verkehr gezogen wurde – unter anderem aufgrund der Morddrohungen, die er dafür erhalten hatte. Aber auch weniger bekannte Beispiele können beim Cinefest (wieder-)entdeckt werden, zum Beispiel den DEFA-Film „Monolog für einen Taxifahrer“ von Günther Stahnke, der aufgrund „nihilistischer Tendenzen“ abgesetzt wurde, oder den wegen homosexuellen Liebeszenen nur nach gründlicher Neubearbeitung veröffentliche Film „Anders als du und ich (§ 175)“ von Veit Harlan.

Bereits bei seiner Eröffnung am vergangenen Samstag den 16. November konnte sich das Cinefest, das jährlich von CineGraph, dem Hamburgischen Centrum für Filmforschung, und dem Bundesarchiv-Filmarchiv Berlin gemeinsam ausgerichtet wird, über einen regen Besucherandrang freuen, nicht zuletzt, weil dort der „Reinhold Schünzel-Preis“ verliehen wurde, den dieses Jahr der Filmkritiker Wolfram Schütte entgegennehmen konnte. Highlight des zweiten Festivaltags war die Sichtung der deutschen Nadeltonfassung von „Panzerkreuzer Potemkin“ von Sergej Eisenstein, eines der prominentesten Beispiele politischer Zensur, der zeitweise wegen „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ verboten wurde. Und Regisseur Peter Fleischmann war anwesend, um zu berichten, wie seine drastische Sexfilm-Parodie „Dorotheas Rache“ 1974 vom Amtsgericht Hamburg wegen „Verbreitung unzüchtiger Darstellungen“ beschlagnahmt wurde – und dann doch unter dem Stempel „Parodie“ wieder freigegeben werden konnte.

Das Cinefest läuft noch bis zum 24. November 2013. Ergänzt wird das Programm durch begleitende Diskussions-Foren und den filmhistorischen Kongress, bei denen das Thema „Filmzensur“ von Referenten in Vorträgen und Diskussionen vertieft wird. Außerdem ist eine Begleitausstellung im Foyer der Hamburger Bücherhallen statt, die noch bis zum 30. November besucht werden kann.


 

(ca. 2.36 Min.) Trailer


Cinefest 2013: Verboten! Filmzensur in Europa. Mehr Informationen

Filmvorführungen (16.-24. November 2013)
Kommunales Kino Metropolis, Kleine Theaterstr. 10, Hamburg
Filmübersicht
Komplette Programmübersicht

Foren (19.-20. November 2013, 14-16 Uhr)
Sitzungssaal der Zentralbibliothek der Bücherhallen Hamburg (4. Stock, Raum 422, Arno-Schmidt-Platz, Eingang Zentralbibliothek)
Programm
Teilnahme steht allen Interessierten offen und ist kostenlos.

Internationaler Filmhistorischer Kongress (21.-23. November, 9.30-16 Uhr)
Gästehaus der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 34
Die Teilnahme steht allen Interessierten offen, vorherige Anmeldung erforderlich.
Beitrag: 80 Euro, ermäßigt 55 Euro


Bildnachweis:
Header: Ausschnitt aus Plakatmotiv
Galerie:
01. "Panzerkreuzer Potemkin" (SU 1925, Sergei Eisenstein) Quelle: Deutsches Filminstitut - DIF, Frankfurt
02. "Überfall" (D 1928, Ernö Metzner) Quelle: Filmmuseum Berlin - Deutsche Kinemathek / Sammlung Casparius
03. "Cyankali" (D 1930, Hans Tintner) Quelle: Deutsches Filminstitut - DIF, Frankfurt
04. "Ekstase" (CS/AT 1932/33, Gustav Machatý) Quelle: Deutsches Filminstitut - DIF, Frankfurt
05. "Casablanca" (USA 1942, Michael Curtiz) Quelle: Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin
06. "Die Sünderin" (BRD 1951, Willi Forst) Quelle: Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin
07. "Karla" (DDR 1965, Herrmann Zschoche) Quelle: Deutsches Filminstitut - DIF, Frankfurt
08. "A Clockwork Orange" (GB 1970/71, Stanley Kubrick) Quelle: Deutsches Filminstitut - DIF, Frankfurt
09. "Dorotheas Rache" (BRD 1973/74, Peter Fleischmann) Quelle: Deutsche Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen, Berlin
10. "Jadup und Boel" (DDR 1979-81, Rainer Simon) Quelle: DEFA-Stiftung/Wolfgang Ebert.

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