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Zwei Dinge vorweg. Erstens: Die „Nacht der Maulwürfe“ ist genau genommen eine Musikperformance. Und Zweitens: Die 80 Minuten sind zu lang. Man merkt gegen Ende förmlich, wie Quesne langsam aber sicher die Ideen ausgehen und fragt sich, wie der Regisseur wohl aus der psychedelisch-anarchischen Rockorgie rauskommen würde, die die Maulwurfs-Band am Schluss veranstaltet. Nun, ganz einfach: Irgendwann geht das Licht aus.

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Der Anfang jedoch ist absolut magisch. Man stelle sich eine kleine, weiße Guckkastenbühne im schwarzen Raum vor. Eine einfache Pappbude (von der bald auch nur noch das Lattengerüst steht) in einer Art Urzeithöhle, die mit Steatiten und Stalagmiten ausgekleidet ist und über der später der Schriftzug „Welcome to Caveland“ prangt. Rechts stehen Schlagzeug, Gitarre und Synthesizer, aus dem Dunkel leuchtet und dröhnt ein riesiger elektronischer Maulwurfsschreck mit einer Dezibel-Stärke, die durchaus auch menschliche Wesen vertreiben könnte.

Und dann kommt der erste donnernde Schlag: Eine Spitzhacke bricht durch die Pappwand, reißt ein Loch und eine monsterhaft große Maulwurfsschaufel erscheint. Ein atemberaubender Anblick! Dann die zweite Grabschaufel und schließlich das ganze Tier. Nach und nach kriechen und purzeln sieben Maulwürfe durch den Tunnel, Jeder schiebt Erdbrocken vor sich her, jeder hat eine individuelle, täuschend echte Physiognomie – und jeder hat die Größe eines ausgewachsenen Grizzlybären.
Ja, und was machen die pelzigen Giganten in der Unterwelt?

Das, was auch die Menschen, weit oben über ihren Köpfen tun: Sie arbeiten. Schleppen sinnlos Steinbrocken von rechts nach links und von links nach rechts. Sie essen und schlafen. Sie kriegen Kinder und betrauern ihre Toten, Sie lieben und sie streiten sich. Und sie entdecken die Kunst: die Musik, die Malerei.
Hinreißend ist diese Groteske in den zentralen Momenten der Geburt und des Todes. Da presst die Maulwurfsmama ein kleines nacktes rosafarbenes Etwas aus ihrem Pelz, das die ganze Familie liebevoll begrüßt und als Höhlen-Graffiti an der Wand verewigt. Noch anrührender jedoch ist die musikalische Totenklage zu seltsam langgezogenen Tönen, die sich erst mit der Zeit als Jacques Brels „Ne me quitte pas“ herausstellen.

Damit sind die Essentials eigentlich gezeigt, doch nun kommen die Maulwürfe richtig in Fahrt: Dass die Tiere blind sind, scheint vergessen. Auf einer riesigen Leinwand fließen Farborgien zu immer wilderem, psychedelischem Sound. Dabei flippen die Maulwürfe regelrecht aus, rutschen von gebirgsähnlichen Klettergerüsten, toben umher, dass die Höhlenwände wackeln.

Den sieben Darstellern in ihren dicken Ganzkörper-Kostümen kann man dabei nicht genug Respekt zollen. Sie sind einfach großartig – als Schauspieler und Musiker. Und die Illusion, dass hier echte Maulwürfe Drums und Gitarre bedienen, bleibt fast immer erhalten. Man muss schon sehr genau hinsehen, um menschliche Hände unter den Grabschaufeln zu entdecken.

Keine Frage: Mit seiner „Nacht der Maulwürfe“ erweist sich Philippe Quesne als würdiger Urenkel der Surrealisten Apollinaire, Jarry und Ionesco. Doch während Ionesco mit den „Nashörnern“ eine bitterböse Parabel auf Faschismus und die Brüchigkeit bürgerlicher Moral ersann, bleibt Quesnes Farce über das maulwurfmenschliche Dasein von einer kindlichen Spielfreude beseelt, die an Fantasy-Märchen und Zaubershow erinnert.

Philippe Quesne: Die Nacht der Maulwürfe
Sa. 19.8.2017, 19 Uhr auf Kampnagel, Internationales Sommerfestival 2017
Vorstellungen in verkürzter Version für Kinder ab 6 Jahren am 19. /20.8., 16 Uhr.
Weitere Informationen

Konzept, Regie und Bühne: Philippe Quesne
Mit: Yvan Clédat, Jean-Charles Dumay, Léo Gobin, Erwan Ha Kyoon Larcher, Sébastien Jacobs, Thomas Suire, Gaëtan Vourc’h
Kostüme: Corine Petitpierre
Kostümassistenz: Anne Tesson
Dramaturgie: Léo Gobin, Lancelot Hamelin, Ismael Jude, Smaranda Olcese
Künstlerische und Technische Mitarbeit: Marc Chevillon, Yvan Clédat, Elodie Dauguet, Joachim Fosset, Abigail Fowler, Samuel Gutman, Pauline Jakobiak, Thomas Laigle
Ausstattungsassistenz: Chloé Chabaud, Juliette Seigneur, Amélie Wellan
Kostümproduktion: Karelle Durand, Lydie Lalaux


Abbildungsnachweis:
Alle Szenenfotos: Martin Argyrolo

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