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Ein Steinwayflügel in der Mitte, schräg gegenüber vier Stühle, in der Ecke steht ein Schlagzeug. Chilly Gonzales kommt allein auf die Bühne, setzt sich ohne Umschweife ans Klavier und fängt wie beiläufig an zu spielen. Eine einfache kleine Komposition, doch in einer Intensität, die an Magie grenzt. Schon klar, dass er auf dieser Bühne nicht lange allein bleiben wird. Zwei, drei Stücke später gesellt sich das hervorragende Hamburger Kaiserquartett dazu, mit dem er seit Jahren eng zusammenarbeitet. Noch später landet Percussionist Joe Flory einen Überraschungscoup: Fast unmerklich geht er über die Bühne, haut einmal ohrenbetäubend laut auf die Drums – und verschwindet wieder.

„Wer von Ihnen mag Glen Miller? Ich wette, hier im Saal gibt es sogar die eine oder andere Dame, die mit ihm geschlafen hat”, witzelt Chilly Gonzales mit Blick über die vielen grauen und weißen Häupter im Saal. „Glen Miller war doch als Soldat in Deutschland, wussten Sie das? Ob die Damen und Herren im Publikum es nun wissen oder nicht – sie hatten von diesem Konzert bestimmt etwas Anderes erwartet. Im dicken Programmheft, das sich als reiner Werbeprospekt erweist, stehen nämlich auf Seite 5, unter ‚Programm’ die drei Worte: „Chambers – Keine Pause”.
Kammermusik also… Doch das führt auf die falsche Fährte.

Gemeinsam mit dem Kaiserquartett, das zwischendurch auch zwei eigene Stücke spielt, während es sich der Star-Pianist demonstrativ mit einem Kissen auf dem Boden bequem macht, bietet Chilly Gonzales auf seiner aktuellen Tour vielmehr als Kammermusik: Gut zwei Lehrstunden über Geschichte und Entwicklung eklektischer Musik. Ein paar Takte Chopin, ein paar pulsierende Rhythmen aus “Sacre du Printemps” von Strawinsky, ein paar Takte Beatles und Skorpions – Chilly Gonzales lässt alle Elemente von den Streichern vorspielen – um dann in einer unglaublich dynamischen, mitreißenden Komposition alles zu einem unverkennbaren Gonzales zu verbinden. Dabei plaudert er immer wieder charmant mit dem Publikum, erzählt, mal deutsch, meistens englisch, wie sehr er sich mit Musikern unterschiedlicher Epochen verbunden fühlt: dem Barock, der Romantik, dem Pop.

Ein wenig Kammermusik gibt es allerdings auch: „Cello Gonzales” (für den Titel entschuldigt er sich grinsend), seine erste Komposition für Cello und Klavier fällt in diese Kategorie. Es ist ein Mix zwischen Romantik, Easy Listening und Avantgarde, gewidmet Martin Bentz, dem Gründer und Cellisten des Kaiser Quartetts.
Keine Frage: Chilly Gonzales ist ein Ausnahmetalent – als Sänger, Pianist, Komponist, wie auch als Entertainer. Ob elektronischer Indipop, Jazz oder Klassik – er beherrscht alles und schafft es mit verblüffender Leichtigkeit, alle Stile zu vermengen. Er sei Musiker geworden, weil er seine Eltern so hasst, verrät der Kanadier dem Publikum. Und er wünsche sich nichts mehr, als dass auch er geadelt wird, indem ein anderer seine Melodien klaut. Ein Rapper, natürlich! „Sample This” habe er ein Stück extra betitelt. Leider wäre noch niemand dieser Aufforderung nachgekommen.
Rap ist die Musik unserer Zeit. Und Chilly Gonzales ist ein Musiker am Puls unserer Zeit. Also rappt er! Und schafft es, die graumelierten Damen und Herren mitzunehmen in eine für viele sicher völlig fremde musikalische Welt. Gonzales doziert, erzählt von Bach, Mozart und den Beatles, stellt ein Metronom auf den Flügel und fängt an, selbst mit atemberaubender Lässigkeit und Geschwindigkeit los zu rappen. Einfach grandios.

Zum Schluss singt das Lübecker Publikum. Und das will schon etwas heißen!

Schleswig-Holstein Musik Festival
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Abbildungsnachweis:
Header: Chilly Gonzales. Foto: Alexandre Isard

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