Film

Dschidda, auch an diesem Morgen hat Alan Clay wieder verschlafen und das Shuttle zum King Abdullah Economic Center (KAEC) verpasst. Ihn quälen Schulden ebenso wie Schuldgefühle, hat er doch selbst dazu beigetragen, dass daheim ein Traditionsunternehmen an die Chinesen verscherbelt wurde. 500 Arbeitsplätze vernichtet, sein Vater hat ihm das nie verziehen. Die Ex-Frau zetert unaufhörlich, allein die Tochter versucht ihn zu trösten, sie jobbt in einem Diner, weil es ihrem Dad nicht gelungen ist, das Geld für die College-Gebühren aufzutreiben. Wird sie je weiterstudieren können? Und plötzlich entdeckt Alan in dem Badezimmerspiegel des Hyatt Hotels, obendrein noch dieses scheußliche Geschwulst auf seinem Rücken. Wie am Tag zuvor steigt er lustlos in den klapprigen Chevrolet Caprice seines ständig plappernden arabischen Fahrers Yousef (Alexander Black). Auf einer schnurgraden Straße fahren die beiden quer durch die Wüste zu jener ridikülen trostlosen Baustelle, die den Anspruch erhebt auf eine Vision der Superlative. Das Team von Reliant hat in einem gigantischen schwarzen leeren Zelt Stellung bezogen, um die Präsentation des Hologramms vorzubereiten. Drei Youngster, alle nur halb so alt wie der Consultant, schauen ihn erwartungsvoll an. Keine Aircondition, keine Verpflegung, keine Internet-Verbindung. Stillstand.

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In dem wohl temperierten Verwaltungsgebäude mit einem traumhaften Blick auf die unendliche Wüstenlandschaft wird Alan ignoriert, vertröstet, beschwichtigt. Tag für Tag, niemand ist für ihn zuständig, vom König keine Spur. Seinen Roman hat David Eggers ein Zitat von Samuel Beckett vorangestellt: „Uns braucht man nicht alle Tage”. „Warten auf Godot” im virtuellen Zeitalter? Was Tom Tykwer, den Regisseur von „Lola rennt”, „Das Parfum” und „Cloud Atlas” an dem Stoff faszinierte, ist wie der Autor unsere westliche Gesellschaft mit einem originell virtuosen Trick beschreibt: „Er erzählt von ihr, ohne jemals in der westlichen Welt zu sein; er porträtiert sie über einen Mann, der ganz woanders ist, und untersucht über ihn die Ängste der Generation der Mittfünfziger aus der weißen Mittelschicht.” Saudi-Arabien ist hier als Projektionsfläche gleichzeitig beunruhigend und verheißungsvoll als ein Ort, der mit Märchen assoziiert wird, und in dem völlig unrealistische Wünsche wahr werden können. Der Protagonist ist getrieben von Sehnsucht wie Verzweiflung. Irgendwann hört er auf, gegen Wände anzurennen. Alan Clay erfindet sich neu. Der Stillstand wird für ihn zum magischen Moment und für den Regisseur zur größten Herausforderung. Es galt der Geschichte ein filmkompatibles dynamisches Timing zu geben: „Ich musste Alan Clay im Marschtempo auf der Stelle treten lassen”.

Kameramann Frank Griebe entwickelt Bilder unwiderstehlicher, surrealistischer Poesie, obwohl die amüsante absurde Story fest in der Wirklichkeit verankert ist. Tykwers rührender Held ist in seiner trottelig tapferen Entschlossenheit um vieles sympathischer als etwa der Protagonist in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden”, verfilmt von Volker Schlöndorff 1985. Tom Hanks verkörpert auf wundervoll groteske Weise die Hilflosigkeit und Verunsicherung des Wohlstandsbürgers im 21. Jahrhundert, eben noch hat er den Markt bestimmt, nun scheint er zum Bittsteller verdammt. Hier zwischen Mekka und Medina ist er der Exot, ein einsamer Fremdling. Der einzige Mensch, der Alan zur Seite steht, ist sein etwas einfältiger arabischer Fahrer Yousef. Die tägliche Tour in Richtung Wüste und Erfolglosigkeit macht die beiden zu Schicksalsgefährten. Mit verblüffender Ehrlichkeit berichtet der Regisseur von den eigenen Erfahrungen vor Ort. „Der Aufenthalt in Saudi-Arabien fühlt sich so an, wie wir es im Film dargestellt haben. Es war nicht bedrohlich, sondern vor allem sehr verwirrend. Manchmal weiß man nicht, was gemeint ist, wenn man eine scheinbar eindeutige Antwort bekommt. Feste Versprechen werden nicht gehalten, das ist oft vorgekommen. Es gibt eine geheimnisvolle Andersartigkeit im sozialen Umgang. Verbindlichkeit kommt auf eine andere Art zustande, wie wir Westler es kennen. Und die Saudis lassen uns spüren, dass sie niemals um uns werben würden – aus dem einfachen Grund, weil sie uns nicht brauchen. Da begreift man erst mal, was für einen Erste-Welt-Gestus und –Modus man implantiert hat, wenn man mit anderen Kulturen zu tun hat, wie sehr man davon ausgeht, dass uns Privilegierten der rote Teppich ausgerollt wird...”

Der Chef in den USA wird ungeduldig, Alan hatte den Auftrag eh nur erhalten auf Grund seiner vermeintlichen Kontakte zum Neffen des Königs. Die Begegnung mit der Armut der Wanderarbeiter, eine wilde Party im dänischen Konsulat, schwarz gebrannter Alkohol im Hotelbett, all das verträgt der Protagonisten überhaupt nicht, so entschließt er sich, seinen Fahrer auf einem Verwandtschaftsbesuch ins Innere des Landes zu begleiten. Die Schafsherde der Familie bedroht ein böser Wolf. Auf geht es zur Jagd. Stück für Stück entledigt sich der Amerikaner der Altlasten seiner Vergangenheit. Glücklich knipst er mit seinem Handy Kamele und wird bald schon für einen Agenten gehalten. Auf die Frage eines misstrauischen Lasterfahrers, ob er für den CIA arbeite, versichert er dem Unbekannten, es wäre nur eine Nebentätigkeit. Solch eigensinniger Humor kommt selten gut an. Der Film ist überbordend von Ideen, hemmungslos unterhaltsam, manches, was auf den ersten Blick surreal wirken mag, ist völlig realistisch, wie die Autobahnschilder, die verkünden eine Spur für Muslime und eine für Nicht-Muslime. Mekka bleibt tabu für westliche Besucher. Es geht um die verschiedenen Formen der Wahrnehmung, wie die Kulturen mittlerweile miteinander verzahnt sind. Früher hat Alan mit Stahl gehandelt, heute soll es ein Hologramm sein, die dreidimensionale Illusion menschlicher Präsenz. Grade deshalb hat sich Tom Tykwer gegen digitale Technik und für die analoge entschieden, Zelluloid in Cinemascope und mit anamorphotischen Linsen. Man war sich einig, der Film soll nicht im Studio entstehen, wo notgedrungen ständig auf Green-Screens zugegriffen wird.

„Ein Hologramm für den König” wurde in der völligen Abgeschiedenheit der Westsahara gedreht, Sandstürme, Hitze, weit und breit keine menschliche Behausung. Um Team und Equipment dort hinzutransportieren, mussten erst Straßen angelegt werden. Hier entstand jenes phantastische schwarze Zelt, es wirkt wie ein lebendiger Organismus, weil es durch den Wind immer in Bewegung gehalten wird. Die Lichteinfälle ändern sich ständig, für den Kameramann eigentlich ein Albtraum. Aber grade das Unberechenbare gibt dem Schauplatz seinen verstörenden Zauber. Auch alle Autofahrten sind real gedreht, der Schweiß, der fließt, ist echt. Die Fahrt durch Mekka haben muslimische Kameramänner fotografiert, die Shots in den Wagen hinein wurden in Marokko aufgenommen. Soundtrack und Rhythmus waren immer schon Stärken des Regisseurs. Yousef favorisiert westliche Bands wie Chicago, Prog-Rock und ELO, die Songs verdichten sich zum ironischen vielschichtigen Subtext des Films. „You may find yourself without a beautiful house, without a beautiful wife / and you may ask yourself: Well..How did I get there?” Ohne Haus, ohne Frau, was bleibt ist allein die Frage, wie bin ich hierher geraten? Tykwer hat den Song der Talking Heads „Once in a Lifetime” durch eine winzige Veränderung: („without” statt “with”) ins Gegenteil verkehrt. Damals ging es der Rockband um die Message, dass Besitz dem Leben keinen Sinn geben kann. Heute, 30 Jahre später, hat sich diese Sorge für Menschen wie Alan Clay erledigt. Sie haben alles verloren.

Tykwer ist überzeugt, dass Alan Clay und Walter White aus „Breaking Bad” irgendwo Seelenverwandte sind, verarmte Mittelschicht, um die 50 und ohne Perspektive. Nur unserem Protagonisten fehlt es glücklicherweise an krimineller Energie und Gewaltbereitschaft. Er hat nur die übliche Rhetorik eines Geschäftsmanns drauf, versteht sich aufs Vertrösten und betrügt höchstens sich selbst. Also kein harter Bursche wie die Protagonisten in James Foleys „Glengarry Glen Ross” (1992) mit Jack Lemon, Al Pacino und Ed Harris in den Hauptrollen. Das Drehbuch schrieb David Mamet nach seinem Theaterstück „Hanglage Meerblick”. Der Film floppte zunächst bei Publikum und Kritik, gilt aber heute als Meisterwerk und ist wahrlich ein brillantes Gesellschaftsporträt der USA. „Ein Hologramm für den König” zeigt, wie sich die Kulturen in der Spätmoderne schon längst gegenseitig durchdrungen haben, gleichgültig, wie sehr Regenten oder Religionen versuchen, sich den verlockenden Einflüssen anderer Gesellschaften zu verschließen. Für dieses Phänomen steht jener kauzig puritanische Yousef, mal offen, selbstkritisch dann wieder reaktionär. Er hat ein Jahr in den USA studiert, irgendwo sehnt er sich nach mehr Selbstbestimmung und sozialer Liberalität, aber dennoch weicht er nie wirklich vom System ab. Zauberhaft sein Flirt mit einer Frau per SMS. Yousef in all seiner Widersprüchlichkeit basiert auf einem realen Vorbild wie fast alles in den Romanen David Eggers („Zeitoun”), der amerikanische Schriftsteller recherchiert immer akribisch im Vorfeld, bewegt sich geschickt zwischen Fiktion und Reportage. Natürlich existiert auch das „King Abdullah Economic Center“, man bemühte sich lange darum, in der rudimentären Stadtkulisse drehen zu dürfen. Vergeblich, so entwickelten Regisseur und Production-Designer Uli Hanisch ihre eigene Vision dieser bizarren Zone im Nirgendwo. Noch immer ist KAEC keine Millionenmetropole, aber umfasst heute etwa schon hundert Häuser. Am Ende trifft wider Erwarten König Abdullah ein, aber nicht er wird Alans Leben verändern sondern eine schöne muslimische Ärztin.

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Originaltitel: A Hologram for the King
Regie, Drehbuch, Musik: Tom Tykwer
Darsteller: Tom Hanks, Alexander Black, Sarita Choudhury
Produktionsland: Deutschland , USA , Großbritannien , Frankreich, 2016
Länge: 98 Minuten Verleih: X Verleih
Kinostart: 28. April 2016

Fotos & Trailer: Copyright X Verleih

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