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Das Leben ist konfliktreicher als ein Albtraum, wie ein neuerliches „heißes Eisen“ auf dem Büchermarkt beweist. Es geht um berechtigte Wunschträume von einer intakteren Welt und gleichzeitig um Tod und Leben. Es geht um Schüsse, Bombenanschläge, Attentate. Es geht um den längst fälligen Bruch mit dem Kapitalismus und den Methoden, dies zu erreichen. Und genau das ist der Knackpunkt: Heiligt ein noch so hehres Ziel alle Mittel? Ist diese Frage so leicht zu beantworten? Die Herausgeber einer Broschüre wollen dem nachgehen. Es geht um das im Selbstverlag erschienene Buch „Die Rote Armee Fraktion. Eine kurze Einführung in die Geschichte der RAF“.

Was war die RAF, was wollten deren Mitglieder? Warum wurden sie verteufelt? Waren sie wirklich nur Abenteurer und Kriminelle, wie die Behörden und bürgerlichen Medien die RAF-Aktivisten entpolitisierenderweise darzustellen versuchen? Kurz: Die Erinnerung an sie soll ausradiert werden. Um dem aufklärerisch entgegenzuwirken hat das „Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen“ dieses Buch neu aufgelegt. Im Vorwort wird festgestellt, dass es leider keine zusammenfassende Broschüre über die 28 Jahre währenden RAF-Aktionen gibt. Aber es will „ein kleines Stück dazu beitragen, der bürgerlichen, diffamierenden Geschichtsschreibung die Vermittlung von authentischer Geschichte entgegenzusetzen“. Die Herausgeber erklären einschränkend, die Dokumentation könne auf den wenigen (72) Seiten nicht alle Aspekte der Geschichte der RAF verarbeiten. Berichtet wird über den Anfang der RAF, über die Chronik der Bombenanschläge und Morde an Politikern und Wirtschaftsleuten, über die Absichten der Stadtguerilla, über die Haftbedingungen für festgenommene RAF-Mitglieder, die Isolationshaft, die Hungerstreiks und über die (angeblichen) Selbstmorde einiger Gefangener. Eingefügt in das Zeitdokument sind Mosaike (Paolo Neris) von Gefangenen aus der RAF, die die Gefängnishaft nicht überlebten.

Den Herausgebern ist es gelungen, besonders die politischen Motive der Mitglieder dieser Gruppe von Protestbürgern und aktiven Widerständlern herausgearbeitet zu haben. Wenn zum Beispiel festgestellt wird, dass nach der Befreiung vom Faschismus keine grundlegende gesellschaftliche Veränderung eingetreten ist und die BRD als Bollwerk gegen den Bolschewismus mit Unterstützung der Westmächte sowie mit alten Nazikadern hochgepäppelt wurde, dann war der Widerstand hellsichtiger Leute, zunächst in der Studentenbewegung, vorprogrammiert. Im Aufbruch befanden sich nicht nur junge Menschen. Es gab starke Streikwellen in den Betrieben. Das Wort führten auch die DKP und die 1968 neu gegründete SDAJ sowie der seit 1971 agierende Marxistische Studentenbund Spartakus. Wie sollte das der BRD-Elite passen? Natürlich bot sie der "roten Kampfansage" die politische und juristische Stirn. Da kamen ihnen die militanten Aktionen der RAF gerade zupass, um zurückzuschlagen.

Auf Seite 8 schreiben die Autoren: „Große Teile der Jugendlichen wollten sich in den 60er-Jahren nicht in dieser muffigen, verlogenen BRD-Gesellschaft einrichten. Sie suchten nach Alternativen (…)“ Die berechtigte Empörung fand ihren Höhepunkt, als die USA den Vietnam-Krieg vom Zaune brachen. Und was taten die Medien? BILD, so die Herausgeber, „entfachte eine massive Hetze gegen die Protestbewegung“. Der Berliner Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) schürte das Feuer, indem er folgenden Satz vom Stapel ließ: „Ihr müsst diese Typen sehen. Ihr müsst ihnen genau ins Gesicht sehen. Dann wisst ihr, denen geht es darum, unsere freiheitliche Grundordnung zu zerstören.“ So kam es, wie es kommen musste: Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen und im darauffolgenden Jahr, am 10. April 1968, schoss ein von der Springer-Presse Aufgehetzter auf Rudi Dutschke und verletzte ihn lebensgefährlich.

Vor diesem Hintergrund verschärfter Klassenauseinandersetzungen gründeten sich verschiedene kommunistische Gruppen sowie „undogmatische“ Basisgruppen, so 1970 die „Rote Armee Fraktion (RAF)“. Man entschied sich für den bewaffneten Kampf, begründet u.a. durch die Erfahrungen mit der „postfaschistischen BRD-Gesellschaft“, dem US-Krieg in Vietnam und durch den Willen, die 68er Revolte weiterzuentwickeln. Auch führte sie folgendes Argument ins Feld: „Es ist klar und gerade aus der Geschichte bis zum Dritten Reich deutlich, dass Verarmung und Verelendung und Massenarbeitslosigkeit nicht von allein zu einer Mobilisierung für menschliche Ziele und gegen die Herrschenden führen.“ Sie betonte in einer Schrift des Jahres 1971: „Wir sagen nicht, dass die Organisierung illegaler bewaffneter Widerstandsgruppen legale proletarische Organisationen (…) und nicht, dass der bewaffnete Kampf die politische Arbeit im Betrieb und dem Stadtteil ersetzen könnte“.

Schließlich konstatieren die Autoren wachsenden militanten Widerstand „gegen die NATO-Kriegspolitik“ Ende der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre. Es gab eine Welle von radikaler Rebellion gegen die Atomkraftwerke sowie „bewaffnete, revolutionäre Organisationen in der BRD, Italien, Frankreich, Spanien, Griechenland und Portugal…“ International, so die Buchverfasser, waren die 80er-Jahre „die Zeit eines koordinierten Rollback-Versuchs: Die Sowjetunion sollte mit Mittelstreckenraketen totgerüstet werden, der Libanon wurde von Israel bombardiert, Großbritannien präsentierte sich im Malvinenkrieg als Kolonialmacht, (…)“.

Sah sich die RAF als Elite, als alleinwissend im Kampf um grundlegend veränderte gesellschaftliche Verhältnisse? Offensichtlich war das ihr Fehler. Sie agierte im Alleingang, ohne die Unterstützung in der Arbeiterklasse und im Volk zu suchen. Es war keine revolutionäre Situation entstanden, auf die man hätte bauen können. Da täuscht auch nicht darüber hinweg, dass laut Aussagen der Herausgeber 1972 „jeder fünfte Bundesbürger den Schutz der RAF vor Verfolgung und Verhaftung“ tolerierte. Sechs Prozent würden sich als „potentielle Helfer“ bezeichnen.

Nach zweiundzwanzig Jahren erklärte die RAF im April 1992 die tödlichen Aktionen für beendet. 1998 löste sich die RAF auf, da nach der Konterrevolution und dem Niedergang der DDR und des Ostblocks keine Erfolgsaussichten mehr für eine grundlegende Veränderung des kapitalistischen Gesellschaftssystems zu erwarten war. „Wir stehen zu unserer Geschichte“, heißt es in deren Auflösungserklärung, „die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit, (…) zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse beizutragen.“ Nach Faschismus und Krieg habe „die RAF etwas Neues in die Gesellschaft gebracht: das Moment des Bruchs mit dem System und das historische Aufblitzen von entschiedener Feindschaft gegen Verhältnisse, in denen Menschen strukturell unterworfen und ausgebeutet werden (…).

Etwas Neues? Das war wohl zweifelsfrei die DDR. Und dennoch: Die RAF-Mitglieder hatten eine Vision. Wie hunderttausende andere weitblickende Menschen. Sie pusteten frischen Wind in die politische Landschaft. Trotz Wirtschaftswunder fragten sich immer mehr kluge Leute, wohin die Reise im Kapitalismus gehen soll. Doch die RAF bot mit ihrem individuellen Terror keine Alternative! Im Gegenteil, sie landete mit ihrer zwar kritischen Sicht aber Selbstisolierung im Land Utopia.

So aufschlussreich das „heiße Eisen“ über die RAF auch als neuen Auftakt zur Zurückdrängung von Legenden und Diffamierungen ist, es wirft viele Fragen auf: Weshalb hatten sie nur ein DAGEGEN zu bieten und kein DAFÜR? Da findet man kein Wort darüber im Buch, wie sich die RAF eine andere Gesellschaft vorstellte. In einer Erklärung von 1992 heißt es lediglich, es gehe um soziale Aneignungsprozesse, „in denen die Solidarität lebendig ist und aus denen heraus viele die Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen in die Hand nehmen…“ Weiter: Warum hoben sie sich vom Bewusstsein der Massen ab, von der realen Situation in der damaligen BRD, die mit ihrer Wohlstands- und Konsumideologie den Leuten Denkschablonen auferlegte, die auch heute noch ihr böses Manipulationsspiel treiben? Warum verbanden sie sich nicht mit den neuen Linksbündnissen, vor allem mit der DKP, die nach dem Verbot der KPD gegründet wurde? Warum sahen sie im Ostblock und vor allem in der DDR nicht die eigentliche Alternative zum Kapitalismus, nach der die RAF ja strebte? Weshalb orientierte sich die RAF, zwar nicht ausschließlich, aber sehr tödlich, auf den bewaffneten Kampf und berücksichtigte in keiner Weise die Dialektik zwischen Ziel und Mitteln?

Zum Klassenkampf, will er erfolgreich sein, gehört die kritische Analyse der Lage, gehört die Frage, ob es eine revolutionäre Situation gibt oder nicht? Was denken und sagen die Massen? Diese und andere Fragen mögen in einer weiteren Aufarbeitung der Geschichte der RAF berücksichtigt und beantwortet werden. Natürlich nicht aus bürgerlicher Sicht, sondern aus der Sicht einer klaren gesellschaftswissenschaftlichen Orientierung. Erst dann kann der interessierte jüngere Leser Schlussfolgerungen für heutige politische Auseinandersetzungen ziehen, ohne auf die Lügen und Geschichtsverfälschungen der Herrschenden angewiesen zu sein. Somit ist das Buch ein Teil der Aufarbeitung der Geschichte nach 1945 und dem Versuch, mit einer gesellschaftlichen Alternative zum schuldbeladenen Kapitalismus endlich Lehren aus dem zweiten Weltkrieg zu ziehen. Insofern haben die einsamen Rebellen Zeichen gesetzt – nicht mehr und nicht weniger.

Robert Steigerwald, Philosoph und Politiker, seit Jahrzehnten einer der theoretischen Vordenker der DKP und Mitglied des Parteivorstandes, meinte zur damaligen Haltung der Partei zur RAF: „Wir haben damals zur RAF und ähnlichen Kräften eine völlig ablehnende Position bezogen. Als einer ihrer juristischen Vertreter mich bat, wir sollten Solidarität mit diesen Leuten üben, habe ich ihm gesagt: Vor Gericht der Bourgeoisie gehören sie nicht, wohl aber vor ein solches der Arbeiterbewegung, denn sie liefern mit ihren Taten der Reaktion alle Vorwände, den Repressionsapparat auszubauen. Die RAF ist der Sack, den sie schlagen, wir aber sind – um im Bild zu bleiben – der Esel, der gemeint ist.“ (Quelle)

„Die Rote Armee Fraktion – Eine kurze Einführung in die Geschichte der RAF“

Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen (Hrsg.)

Selbstdruck im Eigenverlag, 2012,
72 Seiten,
ISBN: 978-3-00-039885-8,
Bezug: c/o Stadtteil- und Infoladen Lunte, Weisestraße 53, 12049 Berlin.


Abbildungsnachweis:
Buchumschlag
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