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Literatur


Die Kritiker konnte sich über ihren Stil und ihre Wortkunst gar nicht beruhigen: ‚Ihre knappen Sätze besitzen eine Assoziationsdichte, wie man ihr sonst nur in der Lyrik begegnet’ (Süddeutsche Zeitung) oder:
‚Weithin findet sich keine Literatur, die das Unglück des Daseins auf so knappem Raum mit solch wütender Radikalität aus dem Drama des Einzelnen bezieht.’(Neue Zürcher Zeitung)

Das Unglück des Daseins, in der Tat. Die drei Heldinnen ihrer Bücher fangen im Prinzip ganz unten an, bewegen sich unaufhaltsam in die Tiefe und plumpsen schließlich unweigerlich in den schwärzesten Abgrund. Männer schwängern um sich und suchen anschließend das Weite, Familienmitglieder hassen sich gegenseitig, Freundinnen erweisen sich als unzuverlässig, Haushälterinnen drehen durch, Haustiere fallen von der Stange oder werden abgemurkst. Das alles spielt sich im flachen Norddeutschen Land ab, hin und wieder wird ein wenig platt gesnackt und Aalsuppe gelöffelt. Die Szenerie ist rustikal: zwar gibt es schon Airbags, die Untreue im Auto verraten, aber die Mädels haben keine Ahnung von Verhütungsmitteln und die Greise sind grundsätzlich zahnlos. Das weist auf einen hohen Surrealismus-Anteil hin, Alice im Unglücksland. Immer wieder hoffen die Menschen und immer wieder, ohne jede Ausnahme, werden sie enttäuscht. Der Verzweiflungspegel steigt von Seite zu Seite (allerdings sind das maximal 96).
Die Protagonistin aus ‚Salzflut’ ruft ihrem Schöpfer empört zu: ‚Eines muss ich Dir sagen, Gott: Wenn ich die Welt neu erschaffen könnte – ich würde sie anders machen, Gott!’
Das ist zu befürchten. Die Realität scheint mir eine Art Rosengarten im Vergleich zu den düsteren Mehlhornschen Jammertälern.
Ich sage ihr am Telefon, dass ich die Sprache Ihrer Bücher sehr bewundere, die Handlung jedoch schrecklich finde. Sie antwortet: „Das kann ich gut verstehen. Ich finde sie selbst schrecklich.“

Natürlich erwarte ich eine hagere, hohlwangige Person, ganz in Schwarz gekleidet, mit Dauerhusten durch’s nervöse Kettenrauchen.
Was ich beim Interviewtermin antreffe, ist eine bildhübsche junge Frau mit fröhlich leuchtenden braunen Augen, langem, silberblondem Haar, lachlustigem Mund und Grübchen.
Sie trägt ein kirschrotes Hemd über dem außerordentlich runden Bauch: in der letzten Juliwoche soll ihr zweiter Sohn kommen, auf den sie sich riesig freut*. Benjamin, der erste, ist ihr ganzes Glück. Sie bewohnt ein hübsches Haus in idyllischer Umgebung, gemeinsam mit ihrem ‚phantastischen Mann’, wie sie selbst sagt, der nach der Geburt seinerseits ‚Elternzeit’ nehmen wird, damit sie ihren Job an der Hamburger Uni gleich wieder aufnehmen kann.
Ich hab das Gefühl, im falschen Film zu sitzen. Wo ist hier denn nun die Verzweiflung?

Nikola Anne Mehlhorn (NAM): Ja, jetzt im Moment bin ich davon tatsächlich weit entfernt. Augenblicklich ist mein Leben wahrscheinlich als glücklich zu bezeichnen, soweit das überhaupt möglich ist. Glück ist doch die Deckungsgleiche von Anspruch und Wirklichkeit und da ist bei mir sogar jetzt immer noch eine Diskrepanz. Früher, als ich jünger war, bin ich mit dem Leben allerdings furchtbar schlecht zurecht gekommen. Das hat sich erst so vor zwei, drei Jahren geändert.

Dagmar Seifert (DS): Woran lag das in erster Linie?

N.A.M.: Am Jobwechsel zum Beispiel.

D.S.: Sie sind eigentlich Musikerin, Sie haben Musik studiert und als Orchesterhornistin gearbeitet – ich hab gelesen, zusammen mit Jehudi Menuhin, Justus Franz und José Carreras. Das ist doch großartig?

N.A.M.: Ach, gar nicht. Das waren doch keine Solo-Auftritte, da war ich immer nur kleines Rädchen im großen Orchester. Das ist ja das schlimme am Musiker-Beruf: am Anfang stehen unglaubliche Ansprüche und dann stellt sich heraus, dass es für eine Solokarriere nicht reicht, vielleicht noch nicht mal für den Platz in einem Orchester. Fünfzig Prozent aller Musiker stranden irgendwo, im schlimmsten Fall geben sie Privatunterricht. Im Grunde war Musik auch nie das Richtige für mich. Ich finde, sie ist die emotionalste der Künste und da ich ein sehr rationaler Mensch bin, ist mir das eigentlich fremd. Jetzt hab ich einen Schlussstrich gezogen und beschlossen, mein Instrument zu verkaufen.

D.S.: Warum sind Sie denn dann überhaupt Musikerin geworden?

N.A.M.: Meine Eltern sind beide Musiker und ich wurde sehr früh in diese Richtung – ja, gedrängt wäre noch sanft ausgedrückt. Sicher war’s gut gemeint, das ist es ja immer, mein Bruder hat – nicht übertrieben! – zwanzig Instrumente gespielt. Meine Schwester ist früh von der Schule genommen worden und hat täglich sechs bis acht Stunden Geige geübt. Mein Mann ist übrigens ebenfalls Musiker, er spielt Posaune. Bei dem war das ganz ähnlich, er stammt auch aus einer Musikerfamilie und wurde auch von klein auf in diese Richtung geschoben, also er kennt das genau.

D.S.: Jetzt wollen Sie nur noch schreiben?

N.A.M.: Und natürlich meinen wunderbaren Job in Hamburg machen.

D.S.: Was genau machen Sie da?

N.A.M.: Ich arbeite für die Akademische Musikpflege in der Universität, ich hab ja Musik und Medienmanagement studiert. Ich bin die Assistentin von Universitätsmusikdirektor Professor Bruno de Greve und der ist ein einmaliger Chef – wir kommen hervorragend miteinander aus. Er liebt auch meinen kleinen Sohn Benjamin und er freut sie auf mein zweites Baby. Professor de Greve ist für den künstlerischen Teil zuständig, er dirigiert Konzerte und erstellt Programme. Er ist ja bekannt dafür, Innovationen mutig durchzusetzen. Ich bin zuständig für die gesamte PR-Arbeit und alles Redaktionelle, auch die Internet-Redaktion. Außerdem mach ich fast die gesamte Organisation – ich kann recht gut organisieren. Es macht sehr viel Spaß.

D.S.: Kommen Sie denn nebenbei auch noch zum Schreiben?

N.A.M.: Schon. Aber dann bin ich auch wirklich gut ausgelastet – mit zwei Kindern.
Ich komme in der letzten Zeit schon sehr wenig zum Lesen und das fehlt mir. Früher hab ich geradezu exzessiv gelesen. Ich werde es bestimmt wieder mehr aktivieren, wenn die Kinder größer sind.

D.S.: Ihre Lieblingsautoren?

N.A.M.: Günter Grass beispielsweise, überhaupt die Vertreter des Magischen Realismus’, Márquez und Allende. Und natürlich Goethe, den bewundere ich über alle Maßen. Ja, Literatur war für mich immer eine Art Lebenshilfe.

D.S.: Nur die gelesene oder auch die selbst geschriebene?

N.A.M.: Die erst recht. Ich wollte schon ganz früh Schriftstellerin werden. Erzählt hab ich seit jeher. Bei den Nachbarskindern war ich fast gefürchtet, weil ich derart drastische Gruselgeschichten erzählt habe, dass sie schreiend davon gelaufen sind. Wahrscheinlich hat mich das damals schon gerettet und im seelischen Gleichgewicht gehalten. Schreiben ist für mich so etwas wie Druckausgleich, eine Therapieform. Meine ‚Trilogie Nord’ war ein Befreiungsschlag, das sehe ich jetzt, mit Abstand. Das musste raus. Jetzt ist der schlimmste Druck weg.

D.S.: Und was schreiben Sie jetzt?

N.A.M.: Ich bin mitten in meinem vierten Buch und das wird etwas ganz Anderes. Ich kann inzwischen gesteuerter oder gezielter, mit mehr Distanz schreiben. Es ist eigentlich die Geschichte einer Emanzipation. Eine Frau, die es schafft, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Ein Entwicklungsroman, der aber auch Elemente des Kriminalromans enthält. Das Ganze spielt rund um den Milleniumswechsel und übrigens in Hamburg – das ländliche Milieu ist jetzt ausgereizt.

D.S.: Und die Heldin ist nicht mehr ganz so verzweifelt?

N.A.M.: Sagen wir mal, auf modernere Art verzweifelt. Nicht mehr diese rustikalen Probleme, mehr so, dass man beruflich nicht den Erfolg hat, den man sich erträumt. Es handelt sich um eine Pianistin, die zwar einige Schüler hat, davon aber nicht leben kann – das wird nämlich wirklich desaströs bezahlt – weshalb sie abhängig ist von ihrem Lebensgefährten der, sehr nüchtern, in der Baubehörde in Hamburg arbeitetet.

D.S.: Wird das wieder so ein schmaler Band?

N.A.M.: Nein! Meine bisherigen Bücher haben sich durch ihren geringen Umfang selber geschadet. Dies soll sprachlich ausgedehnter werden, mehr das Detail berücksichtigen. Ich hab die starke Hoffnung, dass das fertige Buch um zweihundert Seiten stark sein wird. Nach wie vor möchte ich nicht nur die Realität abzubilden, sondern auch das unter der Oberfläche liegende zutage fördern. Mein Anspruch ist, dass man nach der Lektüre des Buches bereichert zurück bleibt. Für mich ist Kunst die Möglichkeit, der kargen Realität etwas hinzu zu fügen. Ich empfinde Realität immer als so entbeint und entkernt und fade. Kunst ist eine Bereicherung oder besser Anreicherung der Wirklichkeit.

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* Der kleine Jonathan ist am 28.7.2010 angekommen, Kultur-Port.De gratuliert!



Abbildungsnachweis:
Foto: privat

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