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Nussbaum ist 26 Jahre alt, als er 1930 "Die Sargträger" malt. Das Thema von Sterben und Tod hat hier eine düstere, geradezu prophetische Bedeutung. Über einer weißen, zum Bildvordergrund abgewinkelten Mauer ragen sieben Galgen empor. Sechs Gerippe in schwarzem Anzug und Zylinder tragen einen Sarg. Zu Füßen der Mauer liegen Skelettreste und ein halb skelettierter Leichnam, ein Bein lässig übergeschlagen. Ratten nagen an den Knochen. Eine Motivik, die er in seinem Spätwerk "Triumph des Todes" von 1944 erneut übernehmen soll. Aber warum beschäftigt er sich bereits 1930 mit dieser Thematik?

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Felix Nussbaum, am 11. Dezember 1904 in Osnabrück geboren, wächst unbeschwert mit seinem älteren Bruder in einem liberalen jüdischen Elternhaus auf. Schon früh erkennt der Vater die künstlerische Begabung seines Sohnes Felix und unterstützt seinen Wunsch Maler zu werden. Nach der Schule beginnt der junge Mann ein Kunststudium. Zunächst studiert er an der Staatlichen Kunstgewerbeschule in Hamburg, später in Berlin an der Hochschule für freie und angewandte Kunst. Hier lernt er die polnische Künstlerin Felka Platek kennen und lieben. Beide beziehen 1929 ein gemeinsames Atelier. Zu seinen Frühwerken gehören unter anderem Selbstportraits, Portraits der Eltern und von Zigeunern sowie ein Bild mit zwei Juden im Inneren einer Synagoge. Sein Gemälde "Erinnerung an Norderney" von 1929 symbolisiert den Abschied von seiner Jugendzeit. Auf Norderney verbrachte die Familie gemeinsam die Ferien. Vor die Fassade des weißen Hotels "Villa Nordsee" hat der Maler eine überdimensionierte Postkarte mit einer fröhlichen Badegesellschaft gestellt, durch die sich der Mast eines Kutters bohrt. Segelschiffe ziehen am Horizont des grünen Meeres dahin. Ein Rad mit zerbrochenen Speichen rollt den Kai entlang. Auf der Terrasse liegt ein Tierschädel mit ausgebrochenen Zähnen. Das Vanitas-Motiv lässt die ambivalente Seite seiner Seele erahnen: Nussbaum leidet an Ängsten und Depressionen, die er mit seinen Bildern zu kompensieren versucht. Orientiert er sich in den frühen Gemälden noch an Vorbildern wie Vincent van Gogh, Henri Rousseau, Giorgio de Chirico, Lovis Corinth oder Paul Cézanne, findet der Maler ab den 30er-Jahren seine individuelle Bildsprache, voller Symbolik und Allegorien.

Seit 1927 ist er in der Berliner Kunstszene erfolgreich mit kleineren Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten. Mit "Der tolle Platz" gelingt ihm der endgültige Durchbruch. Das 1931 entstandene Gemälde thematisiert ironisch die Kunstsituation um 1930. "Da ist der Pariser Platz, da ist die Akademie. Die Herren Professoren, durch ihre Bärte vor Zugluft geschützt, von Englein behütet, wallen auf kostbarem Teppich in das Akademiehaus, während das Jungvolk [gemeint ist Felix Nussbaum mit seinen Malerfreunden] mit all den frisch gemalten schönen Bildern hübsch draußen zu bleiben hat", beschreibt der Kunstkritiker Paul Westheim das Bild. Max Liebermann, Präsident der Akademie der Künste, der auf seinem zerbröckelnden Haus steht und sein Selbstportrait malt, soll humorvoll gesagt haben "Der wird mal beinah so jut wie ick selber."

Nussbaum erhält ein Stipendium an der Villa Massimo in Rom. Im Oktober 1932 geht er in die italienische Hauptstadt. Ein halbes Jahr später wird er wegen Streitigkeiten mit einem anderen Studenten entlassen. Er bleibt in Italien. Wegen der politischen Verhältnisse in Deutschland wird er nie wieder in seine Heimat zurückkehren – die Nationalsozialisten haben im Januar 1933 die Macht ergriffen und bald darauf jüdischen Künstlern Berufsverbot erteilt. Ihre Kunst gilt als ‚entartet’. Im Jahr 1935 emigriert er mit Felka Platek zunächst nach Ostende, später nach Brüssel. Ihr Antrag auf eine belgische Identitätskarte wird abgelehnt. Von innerer Unruhe getrieben malt er weiter. Selbstporträts von bedrückender Intensität entstehen: "Selbstbildnis mit Apfelblüte", "Don Quichotte und die Windmühlen", "Selbstbildnis vor Häuserfront", "Selbstbildnis in surrealer Landschaft". Mit Einmarsch der deutschen Truppen in Belgien wird Nussbaum im Mai 1940 verhaftet und im Lager Saint Cyprien in den Pyrenäen interniert, von wo er im September allerdings fliehen kann. Er kehrt nach Brüssel zurück, lebt mit seiner Frau Felka bei Freunden im Untergrund. Die Lagererfahrungen verarbeitet er in erschütternden Bildern "Kauernder Gefangener", "Lagersynagoge". Seine wohl bekanntesten Selbstbildnisse entstehen 1943: "Selbstbildnis mit Judenpass" und "Selbstbildnis an der Staffelei".

Kurz vor seiner Deportation vollendet er sein letztes Gemälde "Triumph des Todes", in dem er die Motivik der Gerippe aus "Die Sargträger" wieder aufnimmt. Er malt darin den Tod – auch seinen eigenen – und den Untergang der abendländischen Kultur, deren Reste zerstört als Schutt auf dem Boden liegen. Alles ist vernichtet. Malerei, Architektur, Theater und Dichtung, Technik und Forschung sind dem unmenschlichen Wahn zum Opfer gefallen. Nur die Musik triumphiert in Form der musizierenden Skelette, die lärmend zum Totentanz aufspielen. Der Orgelmann im Bildzentrum trägt Nussbaums verwesende Gesichtszüge. Die am Himmel aufsteigenden Papierdrachen blicken den Betrachter an. Selbst die Farbe des in ein fahles Braun getauchten Bildes ist erloschen. Auf einem abgerissenen Kalenderblatt steht ein Datum, der 18.4.1944. An einer Treppe lehnt Nussbaums Zeichenmappe. "Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben, stellt sie aus", soll er zu seinem Brüsseler Freund Dr. Grosfils gesagt haben, als er ihm seine Arbeiten übergibt.
Im Juni 1944 werden Felix Nussbaum und seine Frau Felka Platek denunziert, einen Monat später mit dem Zug über Mechelen in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Die belgischen Behörden datieren ihren Todestag auf den 9. August 1944.

Anfang der 1990er-Jahre ist die Nussbaum-Sammlung des Kulturgeschichtlichen Museums Osnabrück auf über 160 Exponate angewachsenen. Das Museum hatte Raumprobleme. Ein Neubau erschien immer dringlicher. Doch woher sollte die Stadt das Geld nehmen? Der finanzielle Grundstock für den Bau des Felix-Nussbaum-Hauses wurde mit dem Verkauf der Sammlung an die Niedersächsische Sparkassenstiftung gelegt, welche die Bilder anschließend dem Museum als Dauerleihgabe überließ. Den 1994 ausgeschriebenen Wettbewerb gewann der im polnischen Lodz geborene amerikanisch-jüdische Architekt Daniel Libeskind. Wer an ein Wohlfühlmuseum mit modernen Glasbauten und lichtdurchfluteten Räumen gedacht hatte, sah sich enttäuscht. Der Architekt hatte sein Projekt von Anfang an als "Museum ohne Ausgang" bezeichnet. Inspirierend für seine Architektur ist Nussbaums Gemälde „Faltbuch" von 1933 gewesen. Er plante einen Bau, der auf der einen Seite die Verstörtheit, das Entsetzen und die Irritation der Nussbaumschen Bilder in Architektursprache umsetzt. Auf der anderen Seite sollte ein Erinnerungsbau entstehen, der sein Leben von der behüteten Kindheit, die Zeit der Flucht, seine Heimat- und Ausweglosigkeit sowie die Katastrophe des Holocaust widerspiegelt. Unterschiedliche Materialien wie Holz, Sichtbeton, Stahl und Zinkplatten symbolisieren daher den emotionalen Lebensweg des Künstlers.

Im Jahr 2011 erhielt das 1998 eröffnete Haus einen dreieckigen Anbau, der als Eingang, Foyer und Bibliothek dient. Von hier gelangt der Besucher durch einen verglasten, kreuzförmigen Gang zum Felix-Nussbaum-Haus. An dessen Ende steht rechter Hand ein Turm ohne Fenster, hier geht es nicht weiter. Linker Hand öffnet eine schwere, automatische Stahltür den Zugang zum Haus. Ein langer, fensterloser an eine schräge Rampe erinnernder Korridor aus Sichtbeton führt zu den asymmetrischen Ausstellungsräumen im Erd- und Obergeschoss. Deren Außenwände schmücken schiefe, schmale Fensterschlitze, die kaum Tageslicht in den Raum lassen. In die Fußböden sind Metallgitter eingelassen, unter denen sich der Abgrund des Untergeschosses auftut. Im großen Ausstellungssaal zerschneiden spitze Mauerwinkel den Saal. Andere Bereiche enden im Nichts; sie machen ein Entkommen unmöglich. Beklemmend fragt man sich wo der Ausgang ist. Es gibt keinen. Nur ein Fahrstuhl oder das Treppenhaus führen hinaus. Die Luftaufnahme des Museums verdeutlicht am besten das architektonische Konzept. Ineinander verschachtelte Solitärbauten umklammern den historischen Museumsteil. Der Haupttrakt weist in Richtung "Alte Synagogenstraße", der lange Architekturkörper auf die Villa Schlikker, das ehemalige Quartier der NSDAP. "Die jüdische Erfahrung der Ortlosigkeit ist eine fundamentale Erfahrung, die in meine Architektur eingegangen ist", so Libeskind zu der inszenierten Architektur des Hauses. Nussbaums Wunsch "Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben, stellt sie aus" haben die Osnabrücker mit der kongenialen Architektur von Daniel Libeskind erfüllt.

Also nicht nur für Kunst-, sondern auch für Architekturliebhaber lohnt sich ein Besuch im Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück.

Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück
Lotter Straße 2
49078 Osnabrück
Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 11–18 Uhr, Samstag/Sonntag 10–18 Uhr
www.osnabrueck.de/fnh

Fotonachweis:
Header: Außenansicht Anbau Felix-Nussbaum-Haus. Foto: © Hermann Pentermann
Galerie:
01. Felix Nussbaum: Bildnisgruppe 1930. Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Schenkung Witwe Dr. Sigmund Wassermann, Tel Aviv. (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2013
02. Mann mit Blume, 1938. Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Dauerleihgabe der Felix Nussbaum Foundation. (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2013
03. Flüchtling (Europäische Vision), 1939. Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe Irmgard und Hubert Schlenke. (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2013
04. Selbstbildnis mit Judenpass, um 1943. Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2013
05. Triumph des Todes, 1944. Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Leihgabe der Niedersächsischen Sparkassenstiftung. (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2013
06. Innenansicht. Großer Sall im Felix-Nussbaum-Haus. Foto: © Christian Grovermann
07. Außenansicht Felix-Nussbaum-Haus. Foto: © Stadt Osnabrück Presse- und Informationsam
08. Außenansicht. Durchgang Felix-Nussbaum-Haus. Foto: © Uwe Lewandowski
09. Luftaufnahme. Felix-Nussbaum-Haus / Kulturgeschichtliches Museum. Foto: © Gert Westdörp.

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