Kultur, Geschichte & Management

Lübecks historische Altstadt – 1987 von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt – bietet einen Einblick in alle geschichtlichen Epochen. Kirchen, das ehemalige St. Annen Kloster, Rathaus, Holstentor, die Stiftungen, Gänge und Höfe sowie die historischen Häuser belegen ein breites Spektrum lübscher Baugeschichte. Je nach Zeitgeist umgebaut oder verändert, sind hier alle architektonischen Stilrichtungen vertreten: Häuser mit gotischen Treppengiebeln, geschweiften Barockgiebeln sowie klassizistische Bürgerhäuser mit schlichten Fronten schmiegen sich aneinander. Doch wie lebten die Menschen hinter diesen bürgerlichen Fassaden? Welche Wohnkultur entwickelte sich über die Jahrhunderte in der Stadt? Fragen, die die Ausstellung in den oberen, neugestalteten Räumen des St. Annen-Museums beantwortet. Das Obergeschoss – in 25 Räume mit teilweise recht kleinen Kabinetten aufgeteilt – widmet sich deshalb dem gesellschaftlichen Leben der Hanseaten. Prächtige, geschnitzte oder mit Intarsien geschmückte Möbel, Stühle, Kamine, Geschirr, Stockelsdorfer Fayencen, silberne Pokale, Kleidung, Spielzeug, Gemälde, Musikinstrumente und viele andere Objekte, zeichnen ein luxuriöses Leben des gehobenen Bürgertums.

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Eine technische Besonderheit ist der Multimediaraum "Zeitreisen". Über Touchscreen und Monitore werden ausgewählte Informationen zur Lübecker Zeitgeschichte in Bild, Text und Ton vermittelt. Ein weiterer Terminal erklärt am Beispiel des Passionsaltars von Hans Memling virtuell das Bildprogramm und die Ikonographie des mittelalterlichen Flügelaltars. Für die jungen Besucher gibt es einen Comic über die Passion Christi.

Folgt man dem Ausstellungsparcour durch die nummerierten Räume – zu jedem Raum liefert ein Audioguide detaillierte Erläuterungen – empfangen den Besucher "Die Säulen der Gesellschaft", die Honorationen der lübschen Gesellschaft: Ratsherren, Senatoren und reiche Kaufleute. Im Mittelpunkt steht das großformatiges Gemälde von Hans von Hemßen aus dem Jahr 1625, welches eine Gerichtssitzung im Audienzsaal des Rathauses zeigt. Bedeutungsschwer ist auch die Ahnengalerie des Kaufmanns und Ratsherrn Heinrich Köhler (†1563). Vor allem die Portraits der Damen protzen mit luxuriöser Kleidung, kostbaren Geschmeiden und edlen Accessoires.
Eindrucksvoll sind Wohnräume, Dielen, Kammern, Dornsen (beheizbare Räume) und Festsäle in Szene gesetzt, die einen Einblick in die Wohnkultur und das Alltagsleben geben. Darunter befinden sich eine Diele mit Küche, ein Saal im englischen Stil, ein Raum mit niederländischen Gemälden und ein Gartensaal für Hauskonzerte. Aus der Sammlung historischer Musikinstrumente beeindruckt der Großbaßpommer, ein 2,70 Meter langes Blasinstrument. Dietrich Buxtehude (1637-1707), Lübecks prominentester Kirchenmusiker, kaufte das Instrument 1682 einem reisenden Musiker für sein Kirchenorchester ab.
Neu konzipiert ist ebenfalls die Spielzeugsammlung aus dem 19. Jahrhundert. "St. Annen Kinder" gibt auf rund 200 Quadratmetern Ausstellungsfläche Einblicke in die Spielzimmer von Kindern gehobener Kreise: Puppen und Puppenhäuser, Papiertheater, Holzspielzeug, Dampfmaschinen und anderes Spielzeug, auch zum Anfassen und Erleben.

Ein Highlight des Museumsquartiers sind und bleiben die sakralen Schätze im Erdgeschoss. Die teilweise noch original erhaltenen Klosterräume und der mit Kreuzrippen gewölbte Kreuzgang beherbergen unschätzbare Kostbarkeiten: Madonnen- und Heiligenfiguren, Skulpturen, Retabel und Flügelaltäre aus dem Mittelalter. Flügelaltäre, die den Ikonoklasmus, Bildersturm, der Reformationszeit überlebt und in den Räumen des ehemaligen St. Annen Klosters eine neue Bleibe gefunden haben. Sie standen entweder auf dem Hochaltar oder in den Kapellen Lübecker Kirchen und Klosterkirchen. Stifter dieser Kleinode waren reiche Bürger oder Bruderschaften. Das gemalte oder geschnitzte Bildprogramm erzählt Geschichten aus dem Alten und Neuen Testament oder Heiligenlegenden. Zum Inventar des Museum, das die größte Sammlung mittelalterlicher Flügelaltäre in Deutschland besitzt, gehören unter anderem der Maria Magdalenen-Altar der Bruderschaft der Schneider, der Passionsaltar von Hans Memling, aus dem Besitz der Lübecker Kaufmannsfamilie Greverade oder der Neuerwerb des Gavnø Altars von Jacob Claesz van Utrecht des Ratsherrn und Bürgermeisters Hermann Plönnies.

Das St. Annen-Museum war ein zu Beginn des 16. Jahrhunderts im spätgotischen Stil errichtetes Kloster der Augustinerinnen. Es diente der Unterbringung und Versorgung lediger Töchter Lübecker Bürger. Nach der Reformation geschlossen, fungierte es später als Armenhaus und Zuchthaus. Nachdem im Jahr 1843 die Kirche und Teile der Klostergebäude niederbrannten, erfolgte nur die Restauration der Klosteranlage. Der Senat der Hansestadt beschloss 1912 den Umbau des Klosters zum Museum, das 1915 öffnete. Auf den Ruinen der Klosterkirche entstand 2003 die Kunsthalle St. Annen, ein moderner Neubau, der mit der mittelalterlichen Klosterarchitektur hervorragend harmonisiert und zeitgenössische Kunst präsentiert. Die Sonderausstellung "Helmut Rieger. Afrika in mir" stellt daher zur Eröffnung expressionistische Arbeiten des Münchner Malers und Grafikers Helmut Rieger vor. Sie stehen in Dialog zu afrikanischen Artefakten der Lübecker Völkerkundesammlung und Plastiken aus der Sammlung von Lothar und Christel Fischer.

Der Realisierung des ehrgeizigen Projektes "Museumsquartier St. Annen" ging eine lange Planung voraus. Fakt war: Von den rund 15 Millionen Tagesgästen in Lübeck besuchten weniger als ein Drittel die Lübecker Museen. Vor allen Dingen das St. Annen-Museum und die Kunsthalle St. Annen im Aegidienviertel erfuhren nur eine geringe Wertschätzung. Mit einem neuen Konzept, einer zeitgemäßen Präsentation und technischen Innovationen sollen jetzt beide Museen aus ihrem "Dornröschenschlaf" erweckt werden. Als weitere Besucherattraktion wird im Sommer ein Café im Innenhof, dem ehemaligen Klostergarten eingerichtet.

Ein wichtiges Argument für die Modernisierung ist das neue Europäische Hansemuseum, das zur Zeit in der nördlichen Altstadt entsteht und die erfolgreiche Geschichte der Hanse, explizit die Stellung Lübecks als "Königin der Hanse" dokumentieren wird. Mit ihren unterschiedlichen Ausstellungskonzepten sollen künftig beide Häuser als museale Ergänzung verstanden werden.
Bleibt abzuwarten, wie das über drei Millionen teure Museumsquartier St. Annen von Lübeckern und Touristen angenommen wird und ob sich die Erwartungen der Kulturpolitik erfüllen.

Die Verschmelzung der Kunsthalle St. Annen und des St. Annen-Museums zum Museumsquartier St. Annen ist jedenfalls hervorragend gelungen.

Die Öffnungszeiten sind vom 01.01. bis 31.03. Dienstag-Sonntag von 11-17 Uhr und ab 01.04. bis 31.12. Dienstag-Sonntag von 10-17 Uhr.
Museumsquartier St. Annen
St. Annen-Straße 15
23552 Lübeck
www.museumsquartier-st-annen.de

Fotonachweis:
Header:
Eingangsbereich Museumsquartier St. Annen. Foto: Hansjörg Wittern
Galerie:
01. Museumsquartier St. Annen, Lübeck. Foto: Bernard Mende
02. und 03. Eingangsportal Museumsquartier St. Annen, © die LÜBECKER MUSEEN
04. und 05. Raumplan Museumsquartier St. Annen Erdgeschoss und Obergeschoss
06. Museumsquartier St. Annen, innen. Foto: Hansjörg Wittern
07. St Annen-Museum. Foto: Michael Haydn
08. Museumsquartier St. Annen, innen. Foto: Hansjörg Wittern