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Wer war Erich Mühsam?
Am 6. April 1878 als Sohn eines jüdischen Apothekers in Berlin geboren, wuchs er mit drei Geschwistern in Lübeck auf. Es waren keine fröhlichen und unbeschwerten Kindertage, sollte Mühsam in seinen Erinnerungen schreiben. Der Vater, Siegfried Seligmann Mühsam, übernahm die St. Lorenz-Apotheke am Lindenplatz, brachte es zu Ansehen und Wohlstand und zum Mitglied der Lübecker Bürgerschaft. Die jüdische Herkunft spielte im Familienleben keine Rolle. „Das Feiern des Weihnachtsfestes mit Christbaum und Geschenken war selbstverständlich.“ Die Kinder nahmen zwar am jüdischen Religionsunterricht teil und auch die großen jüdischen Feste wurden gefeiert, aber in Glaubensfragen gab sich die Familie liberal. Der Apotheker Mühsam – der zeitlebens den Kaiser-Wilhelm-Bart trug –, war ein national-konservativer Preuße von dominierender Persönlichkeit. Er führte ein strenges, autoritäres Familienregiment. Es herrschte Zucht und Ordnung. „Zu der erwähnten Zucht gehörte ein an seinem Stuhl aufgehängter Rohrstock, der bei Tisch krumme Rücken aufzurichten bestimmt war. An seinem Bett hing stets der Degen, den er im Feldzug 1866 getragen hatte.“ Der junge Erich galt als Taugenichts und Schulversager. Er rebellierte gegen die preußisch-soldatische Erziehung des Vaters, die Obrigkeit und das Spießertum des Kleinbürgers, gegen bürgerliche Traditionen. Er rebellierte mit „Widerspenstigkeit, Faulheit und Beschäftigung mit fremden Dingen“. Der Sohn fühlte sich zur Dichtkunst hingezogen, liebte die Kunst und Freiheit. Seine ersten Dichtversuche, die weder im Elternhaus noch in der Schule Anerkennung fanden, wurden im Gegenteil „als Ablenkung von der Pflicht betrachtet.“ In seinen Erinnerungen besinnt sich Mühsam auf die Züchtigungen des Vaters, auf seine Schläge und Bestrafungen. „Es steigt etwas wie Haß in mir auf, wenn ich daran zurückdenke, wenn ich mir die unsagbaren Prügel vergegenwärtige, mit denen alles, was an natürlicher Regung in mir war, herausgeprügelt werden sollte“, schrieb er 1910.

 

 

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Wegen „sozialistischer Umtriebe" wurde der Achtzehnjährige vom humanistischen Gymnasium, dem Katharineum zu Lübeck, verwiesen – er hatte schulinterne Vorgänge im Lübecker Volksboten veröffentlicht.Seinen Abschluss zur Untersekunda machte er in Parchim/Mecklenburg. Der Vater zwingt ihn zur Apothekerlehre, die er in der Lübecker Adler-Apotheke absolviert. Der Kampf zwischen Vater und Sohn ging auch nach dessen Tod weiter. Erichs Erbe war an zwei Bedingungen geknüpft: Der Sohn sollte Apotheker werden und eine Jüdin heiraten. Beides erfüllte Erich Mühsam jedoch nicht.

 


Nach dem Tod der Mutter und nach der Lehrzeit ging er nach Berlin. Hier arbeitete er zunächst als freier Schriftsteller, betätigte sich als Kabarettist und schloss sich der anarchistisch-kommunistischen Kommune „Neue Gemeinschaft“ um Gustav Landauer an. Er bewohnte ein Zimmer mit seinem Lebenspartner Johannes Nohl, einem Schriftsteller und Anarchisten. Er knüpfte Kontakte zu anderen Literaten, wie Hans-Heinz Ewers, Johannes Schlaf und John Henry Mackay. Und zur Berliner Boheme. Er arbeitete als Publizist und Redakteur bei anarchistischen Wochenschriften wie „Der arme Teufel“, kämpfte gegen bürgerliche Normen und staatliche Zwänge und träumte vom Aufstand des Proletariats. Den Marxismus lehnte er dagegen ab. Im Singer Verlag Berlin erschien 1903 sein Aufsatz „Die Homosexualität. Ein Beitrag zur Sittengeschichte unserer Zeit", ein Jahr später der erste Gedichtband „Die Wüste“. 1907 veröffentlichte Mühsam sein wohl berühmtestes Gedicht „Der Revoluzzer“ – Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet –, eine politische Satire auf den Reformismus der SPD. Mühsam schrieb noch zahlreiche Werke, darunter Lyrik und Prosa, Dramen, Schriften und Unpolitische Erinnerungen. Nur, einen Verleger oder gar einen Verlag für die Publikationen zu finden, gestaltete sich als äußerst schwierig. „Einigen war das Werk zu wenig, andern mein Name zu politisch, keinem das Geschäft sicher genug.“
Mit seinem Partner Johannes Nohl begab sich Erich Mühsam auf vierjährige Wanderschaft durch die Schweiz, nach Norditalien, nach Paris und Wien.

 


Ab 1909 verlegte er seinen Wohnsitz nach München-Schwabing. Schwabing vor dem Ersten Weltkrieg: Das waren die Maler, Bildhauer, Dichter, Huren und Modelle, die Umstürzler und ewigen Studenten, die Lebensgierigen und Lebensmüden, welche den Stadtteil zum Kultbegriff machten. „Schwabing! Ich denke an zahllose Stunden der Vergnügtheit, der Besinnung und des künstlerischen Genusses. Ich denke an Faschingsnächte von maßloser Ausgelassenheit und an Menschen von seltsamen Gehaben, aber genialer Beweglichkeit des Geistes […] Ich denke an die trefflichen Schwabinger Mädchen, die Leben und Liebe vorurteilsfrei und unbefangen zu nehmen und zu geben verstanden. Ich denke an die freie seelische Luft, die Schwabing durchwehte und den Stadtteil zu einem kulturellen Begriff machte“, schwärmte er später.

 


Der Exzentriker mit den wirren Haaren und dem Rauschebart wurde rasch zum Mittelpunkt der Schwabinger Bohème. Er war befreundet mit Heinrich Mann, Frank Wedekind, Lion Feuchtwanger, Joachim Ringelnatz, Fanny zu Reventlow, Max Nonnenbruch, der Puppenbildnerin Lotte Pritzel und vielen anderen. Treffpunkt der Bohème waren das „Café Stefanie“, das „Café Luitpold“ und die Künstlerkneipe „Simplicissimus“ der Wirtin Kathi Kobus. Hier trug Mühsam für ein Mittagessen Schüttelreime und Balladen vor, Frank Wedekind sang Bänkellieder, Joachim Ringelnatz reimte Verse.

 


Neben seinem zügellosen Leben, den ständigen Geldsorgen vergaß Mühsam seine politischen Ideale nie. „Dichtung und soziales Engagement, Bohème und anarchistische Weltanschauung gehörten für Erich Mühsam zusammen.“ Er gründete die dem Sozialistischen Bund angehörenden Gruppen „Tat“ und „Anarchist“ zwecks Agitation des Lumpenproletariats für den Anarchismus. Nach einer Bombenexplosion 1910 wurde Mühsam zu Unrecht verhaftet und wegen Geheimbündelei angeklagt – der Prozess endete mit einem Freispruch. Er setzte sich weiterhin für die Schwachen der Gesellschaft ein, gab die anarchistische Zeitschrift „Kain. Zeitschrift für Menschlichkeit“heraus. Er prangerte darin die imperialistische Politik des Kaiserreiches an und den Militarismus, die Profitgier des Großkapitals, die staatliche Willkür und Zensur. Er attackierte die deutsche Sozialdemokratie, die nach seiner Meinung, das Ziel einer sozialistischen Revolution aufgegeben hatte.

 


Mit Beginn des Ersten Weltkrieges stellt Mühsam die Zeitung ein. Er schrieb: „In dieser Stunde, wo es um das Schicksal aller geht, gibt es außerdem nichts Wesentliches und nichts, was eine Zeitschrift für Menschlichkeit angehen könnte“. Das Kriegsgeschehen ließ ihn erschauern. „Alles Fürchterliche ist entfesselt. Seit einer Woche ist die Welt verwandelt. Seit drei Tagen rasen die Götter. Wie furchtbar sind diese Zeiten! Wie schrecklich nah ist uns allen der Tod!“ Er verliert den Boden unter den Füßen, nimmt Kontakte zu Pazifisten und linken Sozialdemokraten auf, um einen Aktionsbund gegen den Krieg zu gründen. Er beteiligte sich an Hunger- und Protestdemonstrationen, propagierte die revolutionäre Beendigung des Krieges. Aber weder die linken Sozialdemokraten noch die Pazifisten waren zu einer gemeinsamen Kriegsgegnerschaft mit den Anarchisten bereit. Der Erste Weltkrieg endete für Mühsam mit einer sechsmonatigen Festungshaft in Traunstein, wegen Verstoßes gegen das politische Betätigungsverbot und der Weigerung, am „Vaterländischen Hilfsdienst“ teilzunehmen.

 


Im September 1915 heiratete Mühsam die Bauerntochter Kreszentia Elfinger, genannt Zenzl, die ihren Sohn Siegfried mit in die Ehe brachte. „Diese Frau hat mir der Himmel geschickt“, schrieb er über Zenzl. „Sie ist mir das, was ich von meiner Geliebten am tiefsten ersehne: Ersatz der Mutter.“

 


Mit der Novemberrevolution Ende 1918 wurde er Mitglied des Revolutionären Arbeiterrats und befürwortete mit seinen Kampfgenossen die Absetzung des Königs und die Ausrufung des Freistaates Bayern in eine bayerische Räterepublik. Bei dem Putschversuch wurde er verhaftet und wegen Hochverrats von einem Münchner Standgericht zu 15 Jahren Haft verurteilt, von denen er fünf Jahre absaß.
Nach der Haftentlassung auf Bewährung 1924 zog er nach Berlin und nahm seine politischen Aktivitäten wieder auf. Er war Herausgeber der anarchistischen Monatszeitschrift „Fanal".In seinen Artikeln sowie auf Vortragsreisen warnte er vor dem Aufstieg der NSDAP (Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei) und einer drohenden Kriegsgefahr. Er arbeitete mit dem jungen Herbert Wehner zusammen, engagierte sich in der Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe Deutschlands. 1933 erschien seine programmatische Schrift "Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat – Was ist kommunistischer Anarchismus?“ als letzte Veröffentlichung zu seinen Lebzeiten im Fanal-Verlag.
Im selben Jahr, in der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er verhaftet und zunächst im Gefängnis Lehrter Straße, dann im KZ Sonnenburg, im Gefängnis Plötzensee und im KZ Brandenburg inhaftiert und gefoltert. Ein Jahr später erfolgte die Verlegung in das Konzentrationslager Oranienburg, wo ihn am 10. Juli 1934 Angehörige der SS-Wachmannschaft zu Tode prügelten und seine Leiche aufhängten. Die nationalsozialistische Presse meldete: „Der Jude Erich Mühsam hat sich in der Schutzhaft erhängt“. Erich Mühsam fand auf dem Waldfriedhof Berlin-Dahlem seine letzte Ruhestätte.


Die Erich-Mühsam-Gesellschaft e. V

im Buddenbrookhaus, Mengstraße 4, 23552 Lübeck

pflegt das Andenken des anarchistischen Schriftstellers Erich Mühsam. Dazu gehören die Verbreitung seines Werks und die Förderung von Bestrebungen, die im Sinne Erich Mühsam für Frieden, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit eintreten.

 

Weitere Informationen

 

 

 

 

 

Abbildungsnachweis:
Alle Fotos, wenn nicht andere Quellenangabe: Erich Mühsam-Gesellschaft, Lübeck
Galerie:
01. Familienblid mit der Mutter und den Geschwistern um 1885
02. Jugendbild von 1897
03. Kostümfest in Schwabing, rechts Erich Mühsam mit Tes und Pfeife, um 1907
04. Erich Mühsam um 1910
05. Kain – Zeitschrift für Menschlichkeit, Jg. 1, Heft 1., April 1911. Quelle: Bayerische Staatsbibliothek München
06. Erste Ausgabe von Fanal, die von Erich Mühsam herausgegeben wurde, 1926. Quelle: Wikipedia
07. Erich Mühsam als Insasse des KZ Oranienburg, 1934
08. Oranienburg, Berliner Straße, Gedenkstein für Erich Mühsam. Quelle: Wikipedia CC BY-SA 3.0

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