Kultur, Geschichte & Management

Diese Ausstellung klebt am Text. Schrift, Schrift, Schrift – wohin das Auge blickt. Dabei ist doch gerade das Museum der Arbeit voller historischer Maschinen, Werkzeuge und Fotografien, die anschaulich belegen können, unter welchen Bedingungen die Menschen damals geschuftet haben und wie enorm die Kluft zwischen den Fabrikbesitzern, den Kapitalisten, und der besitzlosen Klasse der Arbeiter im Zeitalter der Industrialisierung war. Die prekären Arbeitsbedingungen, die unzumutbaren Wohnbedingungen in den Ballungsräumen der Großstädte, die allgemeine Verelendung des Proletariats, die Marx vor allem in London beobachtet hatte und die den Anstoß zu seiner „Kritik der politischen Ökonomie“ gab, hatte die MKG-Schau „Jugendstil, die große Utopie“ Anfang 2016 mit frühen Filmen aus Fabriken und Manufakturen eindringlich vor Augen geführt. Sinnliche Bilder wie diese fehlen hier, oder sind marginal klein zwischen den Bleiwüsten versteckt. Wenn jetzt das Argument kommen sollte, die Dokumentaraufnahmen entstanden erst 20, 30 Jahre später, ist das zwar richtig, doch unerheblich. Um die Auswüchse des Kapitalismus deutlich zu machen, die Marx anprangert, braucht es Eindrücke von Arbeitsfron und Ausbeutung, keine Pinnwände von verkopften Thesen, keine Karl-Marx-Spieluhren und auch kein Puppenhaus als Model, wo Marx in London lebte.

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Der Auftakt allerdings ist eindrucksvoll: Eine Rauminszenierung voller hochgetürmter Dosen mit Aufschriften wie „Brot, Reis, Kartoffeln, aber auch Liebe, Luft und Zeit. Dosen also, die den ersten Satz des „Kapital“ verdeutlichen: „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als seine Elementarform“.

Im Museum der Arbeit erscheint sie als eine ungeheure Textansammlung. Und so muss man reichlich Zeit mitbringen und guten Willens sein, sich in die Briefe, Buchauszüge, Plakate und Pinnwände zu vertiefen, sonst ziehen die Kapitel „Schreiben“, „Publizieren“, „Lesen“, „Begreifen“ und „Diskutieren“ einfach vorbei. Wieviel anschaulicher ist da doch „Karl Marx in Hamburg“, das Buch von Jürgen Bönig zum Produktionsprozess des „Kapital“. Auch Text, wohl wahr, doch reich bebildert und sehr lebendig beschrieben, wie mühsam dieses Schwergewicht entstand. Allein der Druck: Rund 1,9 Millionen Lettern haben die Leipziger Setzer bewegt - 3,2 Tonnen Blei.

„Karl Marx, Das Kapital“

Zu sehen bis zum 4. März 2018 im Museum der Arbeit
Weitere Informationen

Jürgen Bönig, „Karl Marx in Hamburg“, VSA Verlag, 19.80 Euro.


Abbildungsnachweis:
Header: Marx als Streetart, Neue Große Bergstrasse in Hamburg-Altona, Juni 2017. Foto Daniel Nide
Galerie:
01. links: Karl Marx, 1875. Foto: Karl Dietz Verlag. Rechts: Das Kapital. Erster Band, September 1867, Widmungsexemplar von Karl Marx an Johann Georg Eccarius
Antiquariat Inlibris Wien
02. Straßenschild der Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln, 2016. Foto: picture alliance, Sascha Steinach
03. Karl-Marx-Spieluhr, Leihgabe von Peter Hess. Foto: Wolfhard Struck, Museum der Arbeit
04. Rudi Dutschke und Das Kapital von Karl Marx, 1968. Foto: bpk Charles Wilp
05. Protestdemonstration zum G20-Gipfel in der Hamburger Innenstadt, 8. Juli 2017. Foto: Rafael Heygster
06. Performance anlässlich des G20-Gipfels in der Hamburger Innenstadt, 5. Juli 2017. Foto: Rafael Heygster
07. Demonstration mit Marx-Konterfei, Toronto 2012
08. Wheatpaste Karl Marx, Sao Paulo, 2016. Foto: picture alliance, ZUMA Press
09. Karl-Marx-Büste, Museum der Arbeit. Foto: SHMH, Elke Schneider
10. Buchumschlag: Jürgen Boenig, „Marx in Hamburg“