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Als Denkmal verewigt, sollte Kaiser Wilhelm I. Jahrhunderte überdauern und späteren Generationen vom Ruhm seiner Heldentaten künden. Doch das Kaiserreich ist längst untergegangen. Preußens Glanz und Gloria sind vom Sturm der Geschichte verweht. Wer war dieser Kaiser, der als einfacher preußischer Prinz nach der Niederschlagung der 1848er-Revolution noch als „Kartätschenprinz“ und „Schlächtermeister, Prinz von Preußen“ verhöhnt, 1871 zum Kaiser des Neuen Deutschen Reiches avancierte?

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Wilhelm I., am 22. März 1797 als zweiter Sohn von Friedrich Wilhelm III. und seiner Frau Luise in Berlin geboren, war von Jugend an für die militärische Laufbahn bestimmt. Sein Leben veränderte sich, als Wilhelm nach dem Tod seines Bruders 1861 König von Preußen wurde. Ein Jahr später ernannte er den 47 Jahre alten Otto von Bismarck zum preußischen Ministerpräsidenten. Die unter dem militärischen Oberbefehl des Königs siegreichen Kriege von 1864 (Deutsch-Dänischer Krieg), 1866 (Deutsch-Österreichischer Krieg) und 1870/71 (Deutsch-Französischer Krieg) hatten im Volk Begeisterungsstürme hervorgerufen und seinen Ruhm als erfolgreicher Feldherr gefestigt.

So wundert es nicht, dass der Vierundsiebzigjährige – dank der Hilfe seiner politischen Vasallen Otto von Bismarck, Albrecht von Roon und Helmuth von Moltke – nach der Kapitulation des „Erzfeindes Frankreich“ im Spiegelsaal von Schloss Versailles im Januar 1871 zum Deutschen Kaiser Wilhelm I. proklamiert wurde.

Aufgrund seiner Verdienste um die Reichseinigung, genoss der greise Monarch als „Wilhelm der Große“ in der Bevölkerung eine ungeheure Popularität. Obwohl Wilhelm I. sich zu Lebzeiten gegen jegliche Ehrung in Form eines Denkmals ausgesprochen hatte, setzte nach seinem Tod am 9. März 1888 und der Beisetzung im Mausoleum des Charlottenburger Schlosses eine kultartige Verherrlichung ein. Eine Denkmalflut, sprich: Denkmalwut, erfasste deutsche Städte und Gemeinden. Sie wetteiferten um das Privileg, Wilhelm I. mit einem Denkmal zu ehren.

So auch die Freie und Hansestadt Hamburg: Getragen von einer patriotischen Verehrung, von der Treue zu Kaiser und Reich, beschlossen Senat und Bürgerschaft bereits zwei Wochen nach dem Tod des Monarchen die Errichtung eines Ehrendenkmals. Doch die politischen Vertreter taten sich schwer. Es gab Streitigkeiten wegen der Denkmalform und wegen eines adäquaten Standorts. Nach jahrelangen Sitzungen und Diskussionen, wurde endlich im April 1898 ein Beschluss gefasst: das Kaiserdenkmal, ein Reiterstandbild nach dem Entwurf des Dresdner Bildhauers Johannes Schilling, ergänzt mit Gestaltungselementen von Carl Garbers und Ernst Barlach, sollte auf dem Rathausmarkt errichtet werden.

Wie das gesamte Kunstleben, stand auch die Denkmalkultur für den verstorbenen Kaiser unter der persönlichen Kontrolle seines Enkels Wilhelm II. Die posthume Erhöhung seines Großvaters zu „Wilhelm der Große“ und zum Nationalhelden des Reiches, fand ihren Niederschlag auch in den Denkmälern. Jeder Entwurf, egal ob für eine Kirche, ein Gebäude oder ein Denkmal, musste seiner Majestät vorgelegt, von ihm geprüft und genehmigt werden. Ohne sein Plazet ging gar nichts! Inwieweit Wilhelm II. auf die Hamburger Denkmalplanung Einfluss genommen hat, ist unklar.

Jedenfalls erfolgte erst fünf Jahre später, am 20. Juni 1903 in Anwesenheit Kaiser Wilhelm II. die feierliche Enthüllung des Denkmals auf dem Hamburger Rathausmarkt. Die Kosten für die Einweihungsfeier und für das Denkmal beliefen sich auf über eine Million Mark. Eine enorme Summe. Die Finanzierung dürfte dennoch kein Problem gewesen sein, denn seit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches profitierte die Hansestadt von einer expandierenden Wirtschaft und dem Überseehandel mit den neuen deutschen Kolonien in Afrika.

Das Kaiserdenkmal umfasste ein rund 80 mal 30 Meter erhöhtes, gegenüber dem Rathaus liegendes Areal. Zwei getrennte, viertelkreisförmige, mit bronzenen Vasen bekrönte Steinbalustraden rahmten den Platz zur Stadtseite ein. Die Innenseite der Balustraden schmückten Bronzereliefs, welche die Reichsgründung von 1871, die Kaiserproklamation in Versailles und den Empfang der heimkehrenden Soldaten in Hamburg thematisierten. Vier vor den Ecken der Balustraden stehende allegorische Assistenzfiguren ergänzten die Reliefs. Sie symbolisierten die in der Regierungszeit Wilhelms I. von Reichskanzler Otto von Bismarck eingeführten Gesetze: das einheitliche Reichsgesetz und die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom Oktober 1879, das Gesetz für ein einheitliches Maß- und Münzwesen, die Invaliditäts- und Altersversorgungsgesetze sowie den internationalen Weltverkehr mit neuen Kommunikationen. Vorgelagerte Bänke boten die Möglichkeit zur Betrachtung des Standbildes und des 1897 unter dem Architekten und Baumeister Martin Haller vollendeten Hamburger Rathauses.

Das mittig auf dem Platz angeordnete Reiterstandbild war dem Rathaus und dem Eingangsportal zugewandt: Den sechs Meter hohen Granitsockel zierten vier seitliche Voluten. Am Sockel waren vorne die Insignien kaiserlicher Macht, die Kaiserkrone, das Reichsschild und Reichsschwert, angebracht. An den Seiten versinnbildlichten bronzene Reliefs die Reichseinigung, die Rückseite schmückten ein Lorbeerkranz und das Datum der Einweihung. Über dem Sockel erhob sich das fast sechs Meter hohe Standbild aus Bronze: ein ruhig verharrendes Pferd trug Kaiser Wilhelm I., angetan mit offenem Mantel, einfacher Uniform mit Pallasch und Pickelhaube.

Zwei rund 30 Meter hohe Flaggenmasten mit ornamentierten Bronzesockeln flankierten das Ensemble. Zur rechten Seite des Kaisers stand der Mast für die Flagge des Kaiserreiches, bekrönt mit der Silhouette eines Kriegsschiffes. Seine Sockelreliefs thematisierten die Reichseinigung und die Annexion Elsass-Lothringen. Zu seiner Linken positionierte Schilling den mit einem Segelschiff geschmückten Mast für die Hamburger Flagge. Die Reliefs zeigten das von Löwen gehaltene Wappen Hamburgs. Allegorische Figuren verwiesen auf den Aufstieg der Hansestadt, von einer kleinen Hafenstadt zur größten Handelsmacht im Kaiserreich.

Beide Flaggenmasten stehen übrigens noch heute auf dem Hamburger Rathausmarkt und werden bei feierlichen Ereignissen beflaggt.

Dem Hamburger Kaiser-Wilhelm-Denkmal erging es wie anderen Kaiser-Denkmälern nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg und dem Untergang des Deutschen Kaiserreiches im Jahr 1918: Es wurde degradiert und demontiert. Der damalige Oberbaudirektor Fritz Schumacher verlegte mit einer Verordnung von 1928, im Jahr 1930, Teile des Denkmals vom Rathausmarkt vor das Ziviljustizgebäude am Sievekingplatz. Im Zuge der Internationalen Gartenausstellung in Planten un Blomen 1963, wurde das Reiterstandbild in den Wallanlagen am Johannes-Brahms-Platz (damals: Karl-Muck-Platz) 1961 aufgestellt. Seit Ende der Neunzigerjahre ergänzen die inzwischen restaurierten Assistenzfiguren wieder das Reiterdenkmal. Andere Teile, wie die Bronzereliefs am Denkmalsockel und der Balustrade gelten heute als verschollen.

Ewas verloren steht das Reiterstandbild heute auf dem hohen, tristen Betonsockel, umbraust vom tosenden Verkehr. Glanz und Gloria sind vorbei. Pferd und Reiter haben Patina angesetzt. Die kaiserliche Kostümierung wirkt auf den Betrachter etwas befremdlich; sie ist nicht mehr en vogue. Nur die das Denkmal umgebenden Assistenzfiguren erinnern noch an die Verdienste Wilhelm I. Die Entwürfe von Johannes Schilling symbolisieren entscheidende Gesetze der neuen Reichsverfassung vom 16. April 1871 – eingebracht vom Reichskanzler Otto von Bismarck. Das Deutsche Kaiserreich umfasste neben dem Reichsland Elsass-Lothringen, 25 Staaten, darunter die Freien und Hansestädte Bremen, Lübeck und Hamburg. Die einheitliche Gesetzgebung setzte damit die Gesetze der einzelnen Bundesstaaten außer Kraft. Allerdings heißt es in der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Oktober 1879: „Die Stadt Hamburg und das mit derselben verbundene Gebiet bilden unter der Benennung "die Freie und Hansestadt Hamburg" einen selbständigen Staat des Deutschen Reiches“ (Artikel 1).
Eine weibliche Figur verkörpert die Gesetzgebung: In ihrer rechten Hand hält sie das neue Gesetzbuch, in ihrer Linken das Reichszepter. Ein sitzender Knabe stapelt die ungültigen Gesetzbücher. Ein wichtiges Gesetz war das einheitliche Maß- und Münzwesen, dargestellt durch einen an die Münzpresse gelehnten Münzmeister und einen Knaben, der seinen Fuß mit dem neu eingeführten Meter misst. Nicht minder wichtig war das Invaliditäts- und Altersvorsorgegesetz, versinnbildlicht durch eine alte Frau und einen jungen Arbeiter. Der internationale Weltverkehr wird dargestellt durch einen Globus und den technischen Fortschritt im Post- und Telefonverkehr.

War Kaiser Wilhelm I. wirklich „der Große“ wie er von seinem Enkel Wilhelm II. und der deutschen Bevölkerung verherrlicht wurde? „Der Große? Das paßt vielleicht nicht ganz: aber ein Ritter war er, ein Held“, sagte Otto von Bismarck über den verstorbenen Monarchen.
Kaiser Wilhelm-Denkmal
Hamburg, Wallanlagen, Holstenwall/Johannes-Brahm-Platz


Abbildungsnachweis:
Header: Kaiser-Wilhelm-Denkmal in den Großen Wallanlagen in Hamburg-Neustadt, ursprünglicher Standort war der Rathausmarkt. Quelle: Wikipedia
Galerie:
01. Georg Koppmann, Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Rathausmarkt, 1903, Foto SHMH Hamburg Museum
02. Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Rathausmarkt, 1903. Foto aus der Sammlung Johann und Heinrich Hamann. Das Foto wurde auch als Vorlage für eine handkolrierte Postkarte benutzt. Quelle: https://win2014.de/wp-content/uploads/2015/01/rathausplatz.jpg
03. Lageplan des Denkmals auf dem Rathausmarkt, 1903. Quelle: Monument und Nation: das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal - zum Verhältnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871-1918
04. Kaiser-Wilhelm-Denkmal (188-1903), freigestellt. Quelle:
Wikipedia
05. Kaiser-Wilhelm-Denkmal heute, in den Wallanlagen. Foto: Jan Wiemann
06. Emaille-Tafel mit Beschreibung am Denkmal. Foto: Jan Wiemann.