NewsPort - Kunst & Kultur aktuell

Kultur, Geschichte & Management

Julius Rodenberg jedoch kam eindeutig zu früh nach Sylt. „Keine Musik, kein Tanz, keine Gesellschaft“ beschwerte sich der Schriftsteller im Jahre 1859, vier Jahre nach Eröffnung des ersten Seebades auf Sylt, über das „höchst monotone“ Badeleben und kam zu dem Schluss: „Nein, ein Modebad ist Westerland nicht und wird es auch schwerlich werden."

Galerie - Bitte Bild klicken
Wir wissen es besser! Innerhalb weniger Jahre stieg Westerland zum mondänen Badeort auf – und zum fortschrittlichsten der damaligen Zeit: 1902 lockerte das Dorf als erster deutscher Badeort die strickte Geschlechtertrennung und richtete ein Familienstrand ein. Kampen zog bald nach. Auch das mag dazu beigetragen haben, dass die Insel schon lange vor dem 1927 eröffneten Hindenburgdamm außerordentlich beliebt war und Persönlichkeiten aus Kunst, Großbürgertum wie Adel anlockte. Die größte Attraktion aber war und bleibt die unvergleichliche Natur, die mittlerweile rund eine Millionen Touristen jährlich auf die Insel spült: Die Luft, das Meer, den weißen Strand und endlosen Horizont. Auf keiner anderen Nordseeinsel ist die Landschaft so beeindruckend und vielfältig. Man denke nur an die spektakuläre Dünenlandschaft und das Rote Kliff, die verwunschene Braderuper Heide oder das „grüne Herz der Insel“ zwischen Tinnum, Keitum und Morsum.
Die Kollektion historischer Postkarten aus der Sammlung Werner Bokelberg, die nun in einer Auswahl neu auflegt wurden, zeugt von dem illustren Strandleben jener Zeit, als die Insel an der Schwelle vom abgeschiedenen Eiland zum mondänen Urlaubsort stand. Schon damals drängten sich die typischen Sylter Strandkörbe dicht an dicht vor der imposanten Kulisse des 1897 erbauten Westerländer Kurhauses. Elegante Damen flanierten in bodenlangen Gewändern und Schnürstiefelchen über die Holzstege, die Herren spazierten in Gehröcken und mit Prinz-Heinrich-Mützen am Meer entlang und die Kinder - Jungen in Matrosenanzügen und Mädchen in weißen Spitzenkleidchen - buddelten mit Eimern und Schaufeln im Schlick.
Die feine Gesellschaft traf sich zum Austernessen im Lister „Alten Gasthof“, zum Bummeln in der damals noch recht verträumten Westerländer Friedrichstraße – oder vergnügte sich beim Bau abenteuerlicher Burgen aus Treibholz und Strandgut.
Damals war Sylt noch wirklich exklusiv – denn Urlaub war ein Luxus, den sich nur die Oberschicht leisten konnte. Die rumänische Königin Elisabeth beispielsweise, der Tenor Richard Tauber, die Schriftsteller Stefan Zweig und Carl Zuckmayer. Nicht zu vergessen Marlene Dietrich, Gret Palucca und Thomas Mann, der nach einer Liebesaffäre mit einem 17jährigen Jüngling aufgewühlt im Gästebuch seiner Kampner Künstlerpension „Kliffende“ notierte: „An diesem erschütternden Meere habe ich tief gelebt“.

Die historischen Aufnahmen lassen aber auch erahnen, wie es auf der Insel ausgesehen haben mag, bevor die Badegäste Geld und Glamour brachten. Als das Leben hier eintönig, gefährlich und entbehrungsreich war. Noch im 18. Jahrhundert war die Insel bitterarm. Die Einwohner lebten vom Walfang und der Schafzucht, nicht wenige von der See- und Strandräuberei. Die malerischen Postkarten von Keitum mit seinen urigen Reetdachhäusern und der markanten Mühle erwecken diese Zeit zum Leben. Insbesondere die Aufnahme einer Landschaftsszene mit Magd, die eine Kuh über die Landstraße treibt. Kein Mensch weit und breit. Der reetgedeckte Hof mit seinem markanten Giebel, an dem sie vorbeigeht, liegt wie ausgestorben und am Horizont ragt die stolze Keitumer Seefahrerkirche St. Severin, ein spätromanischer Bau aus dem frühen 13. Jahrhundert, wie ein Fingerzeig Gottes empor.

Auch die Fotografie des Alt-Westerländers in friesischer Tracht erzählt von jenen Tagen, als die Eisfahrer ihr Leben riskierten, um die Post ans Festland zu bringen und Pidder Lüng, der Sylter Freiheitsheld, lieber tot sein wollte als von den Dänen versklavt. Die Geschichte vom unbeugsamen Fischer gehört ins Reich der Märchen und Legenden, doch sie passt zu dem stolzen Friesenvolk, dessen Wahlspruch auch heute überall auf der Insel zu finden ist: „Rüm Haart, klaar Kimming“ – weites Herz, klarer Blick.

Werner Bokelberg „Unser Sylt vor 100 Jahren“
48 Postkarten (17x11cm) mit Motiven von der Nordsee-Insel Sylt in einer attraktiven Weißblech-Box (18x12cm) gibt es für 19,80 Euro im Buchhandel oder direkt online im Bokelberg-Shop.
ISBN 4260241480405


Abbildungsnachweis: Bokelberg.com
Header: Weißbleck-Box von oben. Sylt
Galerie: Inselansichten

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.