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Und während angesichts der frappierenden Schönheit des Baus die Querelen um seine Entstehung so langsam zu verblassen beginnen, sorgt ein stattliches Buch dafür, dass in Erinnerung bleibt, wie sich Hamburg zu seinem neuen Konzerthaus durchgerungen hat. Es heißt schlicht „Elbphilharmonie“. Geschrieben hat die Texte Joachim Mischke, langjähriger Musikkritiker und Kulturchefreporter beim „Hamburger Abendblatt“. Er hat die Entstehung des Baus von den ersten Ideen an elektrisiert verfolgt, hat sich als vehementer Fürsprecher des Projekts profiliert und die Baugeschichte samt ihren politischen und finanziellen Turbulenzen bis in die Kapillargefäße recherchiert. Und in sieben übersichtlichen Kapitel aufgeschrieben.
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Nichts fehlt – von den Ideengebern Alexander Gérard und Jana Marko und ihrem langen Weg, das Projekt in den entscheidenden Köpfen der Stadt zur verankern, über das Baseler Architektenteam Herzog und de Meuron, die 2001 den ersten Entwurf mit leichter Hand skizzierten. Mischke erzählt, wie man in der Stadt Gefallen daran fand und sowieso einen neuen „Leuchtturm“ für die Hafencity brauchte, nachdem die Bewerbung um Olympia 2012 im Jahr 2003 gegen Leipzig ins Wasser gefallen war. Wie die Stadt das Projekt für sich reklamierte und zu bauen anfing, bevor die Pläne fertig und durchkalkuliert waren.

Von der Skandalbaustelle zum weltweit beachteten Image-Verstärker
Wie es kam, dass die Elbphilharmonie irgendwann im selben Atemzug mit dem Berliner Pannen-Flughafen-Neubau genannt wurde. Und wie sie sich nach einer teuren Neuordnung wie der Phönix aus der Asche erhob und vom skandalumwitterten Prestigeprojekt zum weltweit beachteten Imageverstärker für Hamburg wurde – noch bevor der erste Ton im großen Konzertsaal erklungen war. Und wie man nach und nach entdeckte, welche inhaltlichen Implikationen das Vorhaben für das Musikleben Hamburgs haben würde und für das Stadtmarketing, für das Musicals bisher der Gipfel an Kulturerleben waren.

Staunend folgen wir dem Autor durch den Bau und seine Besonderheiten, für die Zahlen nur ein unzulängliches Maß sein können. Dass die Plaza auf 37,2 Meter Höhe liegt, dass sie gleichzeitig von 1200 Menschen besucht werden kann. Dass der Bau ca. 200.000 Tonnen wiegt, die auf 1.111 alten und 634 neuen Gründungspfählen lasten. Dass der höchste Punkt des Hauses 110 Meter über NN liegt, der niedrigste Punkt des Daches 32 Meter darunter. Dass von den 125.512 Quadratmetern Fläche im Haus gut 30.000 den Konzertbereich ausmachen mit Großem und Kleinem Saal und den Kaistudios. Dass das Hotel mit seinen 244 Zimmern über 27.000 Quadratmeter verfügt, das Parkhaus mit 520 Plätzen über 22.700 und die Wohnungen über 12.800 Quadratmeter. Dass das Dach mit 5800 Pailletten aus Aluminium belegt ist und 700 Tonnen wiegt, dass der Große Saal etwa 25 Meter hoch ist und auf 362 Federpaketen ruht, um akustisch vom Bau entkoppelt zu sein. Dass die Bühne 270 Quadratmeter groß ist. Und dass der Saal mit ca. 10.000 unikaten, mit knapp einer Million 3D-gefrästen Schallrillen versehenen Gipsfaserplatten akustisch optimiert wurde. Dass die Fassade mit ca. 2.200 Glaselementen verkleidet ist, von denen knapp 600 gebogen wurden. Dass die Orgel im Großen Saal 4863 Pfeifen enthält und 65 Register aufweist, dass die Stadt für die Elbphilharmonie 789 Millionen Euro bezahlen muss und wie sich die aufgliedern, und..., und..., und...

Futuristische Noblesse, die in jedem Detail zu spüren ist
Das alles aber macht nicht den Zauber des Jahrhundertbauwerks aus. Es ist die futuristische Noblesse, die in jedem Detail der Elbphilharmonie sicht- und spürbar wird. Während der Autor da ans geschriebene Wort gefesselt ist, kann der Fotograf Michael Zapf das ganz sinnlich darstellen. Er ist bekannt als einer, der das besondere Auge fürs Besondere hat. Der einzigartige Perspektiven findet, märchenhafte Lichtsituationen, Achtsamkeit fürs Detail und für Stimmungen. An seinen Fotos erst wird erfahrbar, was für ein Juwel sich Hamburg da spendiert hat und in welchem städtebaulichen Umfeld die neue Elbphilharmonie ihre gewaltige Wirkung entfaltet.

Mischke beschreibt neben den handelnden Personen auch die Geschichte der Musikstadt Hamburg, ihre Protagonisten vom Barock bis zu den Beatles, und die früheren Hamburger Konzertorte. Bei Zapfs Fotos, die bis zu den ersten Orchesterproben des NDR Elbphilharmonie Orchesters vor wenigen Wochen reichen, wird schnell klar, dass dies nicht nur einfach ein neues Haus ist, sondern dass es ganz neue Forderungen an das Musikleben stellt: Es ist ein Premium-Rahmen, eine einmalige Chance, die ein Premium-Programm ermöglicht und verlangt, das weltweit Beachtung finden kann. Hamburg punktet also künftig mit Kultur. Das öffnet neue Perspektiven, bringt Unerhörtes zum Klingen und will die Menschen in der Stadt für die Auseinandersetzung mit Hörerlebnissen begeistern, von denen sie bisher nichts ahnten. Es ist ein Haus für ein neues Zeitalter der Musikkultur.
Schön, dass im Buch auch der große Satz des Dirigenten Christoph von Dohnányi bei einer Anhörung im Rathaus nicht vergessen wurde. Dohnányi antwortete auf die Frage, ob es denn einen Bedarf für ein solches Konzerthaus gebe, ganz lapidar: „Gab es ein Bedürfnis nach Beethovens Neunter oder nach Coca-Cola?“

Elbphilharmonie. Joachim Mischke (Text), Michael Zapf (Fotos)
240 Seiten. Edel Books.
Deutsche Ausgabe 29,95 €, englische Ausgabe 39,95 €


Abbildungsnachweis:
Alle Fotos: © Michael Zapf
Header: Paroramafenster
Galerie:
01. Buchumschlag
02. Dach
03. Fassaden-Detail
04. Plaza
05. und 06. "Tube", Rolltreppe
07. und 08. Foyer zum Großen Saal
09. Decke des Konzertsaals
10. Konzertsaal
11. Orgel des großen Konzertsaals
12. Kleiner Saal
13. Kai-Studio

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