Fotografie

Während des kurzen Gesprächs aber hat Hrushchak auf den Auslöser gedrückt. Da er anlog fotografiert hat, entdeckt er das Foto erst zu Hause. Er schickt es an das Kloster. Und erhält eine sehr dankbare Antwort. Das Bild sei das einzige Bild von dem Mönch. Er war kein Geistlicher. Er war ein sehr armer, kranker, einfacher Mann. Er war inzwischen verstorben. Durch dieses zufällige Bild aber bleibt ein Teil seiner Persönlichkeit in der Welt präsent. „Oft erstaunt es mich, wie viel mehr man von den Menschen auf einem Foto sieht“, entdeckt Hrushchak.

Ruslan Hrushchaks Fotos machen Kleinigkeiten groß. Sie geben dem flüchtigen Moment Zeit. Sie treffen den Schelm im Augenblick. Sie zeigen die Schönheit des Alltäglichen – und dass man für ihre Offenbarung manchmal nur die Perspektive oder den Fokus ein klein wenig verändern muss.

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Da werden Alltagsmomente zu nicht alltäglichen Momenten. Um das zu sehen, haben ihn unter anderem mehr als 1500 Leute auf Facebook abonniert. Auf ‚Instagram’ und bei ‚google+’ zeigt er seine Bilder auch.
Da liegt der Schatten einer Blume auf einem Teller mit Kuchen: Sonne, Zeit für einen
Nachmittagskaffee mit Kuchen und Tischdecke, Blumenduft und Vase. Für „Step by Step“ sind zwei Fotos übereinandergelegt: ein Treppenhaus von oben und Füße. Und schon lächelt man. Der Leipziger Uniriese hat einen Knick, die Pfütze ändert auch noch die Farben. Das Foto mit dem Mönch ist eines der Gewinnerfotos der ersten „Black-and-White Photo Competition“ 2014 auf „I Shot It“. Viele seiner Fotos sind prämiert. Und oft wurde Ruslan Hrushchak schon gefragt, ob er nicht Berufsfotograf werden wolle.

Er ist Informatiker. Er beschäftigt sich vor allem mit mobilen Technologien. Im vergangenen Jahr hat er die Firma ‚appPlant’ gegründet. Wenn er von seinen Projekten erzählt, vermitteln sich zusätzlich zum Inhalt Ruhe, Klarheit und Begeisterung. Er offenbart in seiner Haltung Leidenschaft für seinen Job – es scheint, er mache fast alles zwar bedacht doch mit Verve. Informatik hat er in Deutschland studiert. Da musste er sich erst durch exzellente Noten behaupten, denn in seiner
Heimat, der Ukraine, hatte er bereits ein Journalistik-Studium abgeschlossen. Doch für ihn ging nicht gut zusammen: verkaufen zu müssen, was man mit Leidenschaft tut.

Ähnlich ist es mit der Fotografie: „Es lässt nicht so viel Raum, sich künstlerisch zu entwickeln, wenn man davon leben muss.“ Die künstlerische Entwicklung aber ist es, die Ruslan Hrushchak derzeit vor allem sucht. Impulse dafür findet er auf unterschiedlichen Wegen: Sei es zum Beispiel durch eine „neue“, nämlich eine alte analoge Kamera – „Die Menschen lassen sich schneller darauf ein, mit so einer Kamera fotografiert zu werden!“ – oder sei es durch das Entwickeln der Filme –
„Seit diesem Jahr entwickle ich auch Farbfilme. Das ist viel komplizierter als schwarz-weiß. Ich habe mir extra ein Aquariumsthermostat gekauft, um die Temperatur konstant bei 38°C zu halten.“

Zur Zeit überlegt er, seine Bilder nicht so schnell zu zeigen. „Vielleicht passiert mehr, wenn man es erst mal weglegt. Wenn man es dann einige Wochen später wieder nimmt, bearbeitet oder anders neu macht.“ Denn Lob gibt es schnell. Und so schön das für ihn ist, es fehlt ihm doch Kritik. Eine Kritik, die das Motiv aufgreift, die ihm hilft, sich zu entwickeln. Die eine arbeitende Auseinandersetzung ist.
Die gemeinsame Arbeit, die Lust am Entstehen und das gegenseitige, einander inspirierende Überraschen sind es vielleicht auch, die ihn so sehr zum Jazz ziehen. Nicht nur zur Musik an sich, sondern auch zur Atmosphäre im Konzert – und dazu, dieses Konglomerat ins Bild zu bringen.

„Viele Jazz-Musiker mögen es, beim Konzert fotografiert zu werden. Und sie schönen sich nicht. Die mögen, wenn man die Konzentration im Gesichtsausdruck sieht und Schweißperlen.“ Jazz zu fotografieren – das könnte ihn doch noch verführen, vollberuflicher Fotograf zu sein. „Wenn ich da eine Chance bekäme, ich glaub, das würde ich sofort machen!“

Ruslan Hrushchak Haltung zu dem, was er macht und wie er es macht, regt immer auch zum Nachdenken an. So berichten zwar viele Fotografen, dass digitale Fotografie irgendwie kälter und gleichsam professioneller sei als analoge. Und dass die analoge dafür emotionaler wirke. Ruslan Hrushchak sagt das auch. Doch er beschreibt das Phänomen weiter: „Digital kann man, so wirkt es fast, unendlich viele Fotos machen. Man kann überprüfen, ob die Schärfe, der Ausschnitt und das Licht stimmen. Man kann das korrigieren. Analog macht man weniger Bilder, die sind besonderer.“

Darum hat er auch, wenn er mit seinem Sohn oder Freunden zusammen ist immer nur eine kleine analoge Kamera dabei. „Da bleibt man mehr im Moment. Man macht mal ein Foto. Und die anderen wissen das auch. Es stört die Situation nicht.“ Die Frage entsteht: Wann und wie fotografiere ich selbst? Suche ich, einen speziellen Moment festzuhalten? Oder knipse ich ständig und trete dafür andauernd aus der Situation heraus?

Die Geschichte um das Foto von dem Mönch offenbart einen wesentlichen Aspekt, den man auch bedenken muss in der Auseinandersetzung mit und der häufig anzutreffenden Angst vor Fotografie heute: Mit einem Foto kann ein Ausdruck der Person als Abdruck in der Welt bestehen bleiben.
Grade auch durch eine Aufnahme in einem unbemerkten Moment, vielleicht sogar durch einen Fremden.


Abbildungsnachweis: Alle Fotos © Ruslan Hrushchak
Header: Sakral (Mönch)
Galerie:
01. Sakral (Ausgang)
02. Frauen in der Bahn
03. Senioren mit Tauben
04. Heinrich Köbberling, Jazz Club Leipzig
05. Mateo, Saxophon
06. o.T.
07. o.T.