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Fotografie

Für ihre zwölfteilige Bildserie „Romanità“ hat Diehl in den Räumen von öffentlichen, einem breiten Publikum zugänglichen Institutionen monumentale Wandbilder, Statuen, Reliefs und Symbole fotografiert. Sie visualisieren die faschistische Ideologie und dienten der Diktatur auch als Legitimation und Propaganda. Allein der Titel der Bildreihe „Romanità“ weist auf die historische Genese des Faschismus hin, sah sich Mussolini doch in der Tradition antiker römischer Imperatoren. Der Mythos der Antike fand seinen Niederschlag nicht nur in der faschistischen Architektursprache, sondern auch in der politischen Ikonographie und der Rezeption militärischer und politischer Embleme. Dazu gehören Standarten und Feldzeichen sowie Faszes – von der sich der Name Faschismus ableitet. Letztere sind Rutenbündel mit Beil, die das Machtsymbol der Liktoren, der römischen Staatsbeamten waren. Als stilisierte Ornamente sind sie an Fassaden, Stelen und Reliefs angebracht.

In der Casa Madre dei Mutilati - von Kriegsinvaliden des 1. Weltkrieges Ende der 1920-er Jahre errichtet und 1936 von Benito Mussolini erweitert – sind die Räume mit Krieg verherrlichenden Reliefs und Wandmalereien dekoriert. Von Mario Sironi stammt das Fresko “Il Duce” aus dem Jahr 1938. Als Personifikation des neuen Regimes sitzt Mussolini (im Bild leider nicht erkennbar) auf einem schreitenden Pferd. Links unter ihm steht eine, ein Gewehr tragende Frau. Ihr gegenüber hält ein Soldat mit nacktem Oberkörper seinem Führer die Standarte, das ranghöchste Feldzeichen der römischen Legionen, entgegen. Hinter ihm ist ein stilisiertes Faszienbündel zu erkennen. Die im Zentrum stehende grün changierende Vase soll an die gefallenen Soldaten erinnern.

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Ein weiteres Wandbild befindet sich im Palazzo dei Congressi, ein von Mussolini um 1938 errichtetes Bankett- und Kongresszentrum. Über einem Eingang erhebt sich das Monumental-Fresko „Alle Wege führen nach Rom“ von Achille Funi. Es symbolisiert die Entstehung des antiken Roms. Rechts im Bild stehen vor einer idealisierten Stadtmauer drei römische Kaiser. Im Hintergrund sind antike Bauten wie das Pantheon oder die Trajansäule zu sehen.

Ein anderes Foto beinhaltet eine paradoxe Information. Im ehemaligen privaten Turnsaal des Duce im Foro Italico, einer von Mussolini errichteten riesigen Sportanlage, steht heute noch die antikisierende Statue eines überlebensgroßen, athletisch gebauten Sportlers.

Als Kontrast zu den Innenräumen versteht die Künstlerin ihre Architekturfotos der „Borghi“ im Hinterland Siziliens. „Borgo“ - italienisch: Dorf - heißt Diehls Fotoserie, die in den unteren Ausstellungsräumen zu sehen ist. Im Zuge der Agrarreformen von Mussolini entstanden rund zwanzig Idealdörfer. Neben den Wohnhäusern gab es eine komplette technische und soziale Infrastruktur, die der Landbevölkerung das Leben und Arbeiten erleichtern sollte. Aber, wie so oft bei indoktrinierten Anordnungen, gingen die Planungen schief. Die am Reißbrett entstandenen Orte sind, bis auf wenige Ausnahmen, von der Bevölkerung nicht akzeptiert worden. Sie wurden nie bezogen oder nach kurzer Zeit wieder verlassen.

Die Fotografin hat die Impressionen dieser Siedlungen in ihren Fotoarbeiten eingefangen. Kulissenartig, von Menschen entleert, sind Straßen und Häuser dem Verfall preisgegeben. Die marode Architektur mit den bröckelnden Fassaden wirkt atmosphärisch irreal, gespenstisch und unheimlich. Dennoch ziehen diese „architektonischen Porträts“ den Betrachter mit ihrer morbiden Ästhetik in den Bann: Es sind historische Dokumente, die den ruinösen Zerfall festhalten und den unausweichlichen Niedergang prophezeien.

Fünfzehn 38 x 48 cm große Einzelbilder sind zu einer typologischen Reihe geordnet. Die perfekt inszenierte Reihung zeigt einen fiktiven Ort mit Plätzen und Gebäuden, die dem Betrachter die Utopie einer Idealsiedlung implizieren soll.

Ihre Fotoserie „Displace“ entstand während eines Studienaufenthaltes auf Zypern. Diehl war nicht an den Schönheiten der Insel interessiert, sondern an den Folgen der ethnischen Säuberungen. Denn seit 35 Jahren ist die Insel geteilt in einen muslimisch-türkischen Norden und einen christlich-orthodoxen griechischen Süden. Sowohl im Nordteil als auch im Südteil finden sich verlassene Ortschaften mit ihren Gotteshäusern und Moscheen. Ihre Arbeit „Syrianochori/yayla“ im oberen Ausstellungsraum zeigt den desolaten Innenraum einer Kirche: Zur Stabilisierung des Raumes ist eine Eisenstange gespannt, die Fensterscheiben sind kaputt, eine behelfsmäßige Mauer verdeckt die Apsis mit ihren verschwundenen Wandmalereien und der von den Wänden gefallene Putz häuft sich auf dem Boden. Ein Bild der Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit.

Johanna Diehl versteht sich nicht als politische Fotografin, die mit erhobenem Zeigefinger auf die Ungereimtheiten unserer Gesellschaft hinweisen will, sondern als neutrale Beobachterin. Mit der objektiven Neugierde eines Fotografen ist sie an der Ästhetik des Verfalls interessiert und geht dabei der Frage nach: „Was passiert, wenn ….?“

Johanna Diehl (*1977) studierte Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Sie lebt und arbeitet heute in Berlin und Leipzig.


Die Ausstellung „Johanna Diehl – BORGO/ROMANITÀ“ läuft bis zum 24. Juni 2012 in der Overbeck-Gesellschaft, Königstraße 11, 23552 Lübeck
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 – 17 Uhr
www.overbeck-gesellschaft.de

Fotonachweis: Alle Johanna Diehl
Header: Borgo Bassi 4, 2011
Galerie:
01. Borgo Bassi 1, 2011
02. Borgo Bassi 3, Dyptichon, 2011
03. Borgo Bassi 6, 2011
04. Borgi Bonsignore 1, 2011
05. Borgo Fazio 1, 2011
06. Borgo Lupo 2, 2011
07. Borgo Rizza 1, Dyptichon, 2011
08. Borgo Pergusa 2, 2011
09. Palazzo degli Uffici I, 2012, 89x70cm
10. Palazzo Congressi I, 2012, 89x70cm
11. Foro Italico II, 2012, 89x70cm

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