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Fotografie

Der Berliner Jim Rakete, mit bürgerlichen Namen Günther Rakete, entwickelt schon früh ein Faible für die Fotografie. Er arbeitet zunächst als Fotojournalist für Tageszeitungen, Zeitschriften und Agenturen. Später wechselt er in die Musikszene, wird Manager verschiedener Bands, Leiter eines Kreativlabors, genannt die „Fabrik“ in Berlin-Kreuzberg und entwirft als Fotograf Plattencover. Die größten Musikikonen hatte er vor der Linse: Ray Charles, Jimi Hendrix, David Bowie oder Mick Jagger.
Ende der 1980er-Jahre erfolgt jedoch eine Zäsur: Die Porträtfotografie bestimmt fortan seine künstlerische Arbeit. Alle, die Rang und Namen in der Republik oder der internationalen Welt haben, hält er mit der Kamera fest: Stars und Sternchen aus der Film- und Fernsehbranche, Politiker aller Couleur, Sänger des klassischen Genre, Schriftsteller und viele mehr. Seit 2007 arbeitet Rakete eng mit dem Deutschen Filmmuseum in Frankfurt zusammen. Seine erste Ausstellung „1/8 sec. - Vertraute Fremde“ ist eine Hommage an die klassische Schwarz-Weiß Fotografie und die gute alte Plattenkamera. Mit der digitalen Fotografie steht der heute Sechzigjährige auf „Kriegsfuß“. Am Computer nachgearbeitete Fotos haben für ihn nichts mit der Realität zu tun; er hält der analogen Technik und der Dunkelkammer die Treue. Mit der aktuellen Ausstellung ist er jedoch diesen Vorsätzen untreu geworden, denn er fotografiert jetzt mit der Digitalkamera und in Farbe.

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Im Auftrag des Deutschen Filmmuseums lichtet Rakete von 2009 bis 2011 einhundert Filmschaffende ab – Autoren, Produzenten, Regisseure und Schauspieler. Ursprünglich als kleine Hall of Fame für das Museum gedacht, entwickelte sich die Porträtserie zu einer umfangreichen Schau.
Zu den Porträtierten gehören nicht nur die Urgesteine der deutschen Filmlandschaft wie Mario Adorf, Joachim Fuchsberger, Hanna Schygulla oder Maximilian Schell, sondern auch viele Nachwuchstalente. Entstanden sind sensibel komponierte Fotografien. Ohne Promistatus. Ohne Glanz und Gloria. Alle Protagonisten posieren entweder mit einer Filmrequisite oder mit einem für ihre Laufbahn wichtigen Gegenstand.

Einhundert Gesichter erzählen einhundert persönliche Erinnerungen. Eine kleine Auswahl: Volker Schlöndorff hat die Original-Blechtrommel aus seinem gleichnamigen Spielfilm dabei; Wim Wenders hält sein leuchtendes Michelin-Männchen aus dem Roadmovie „Im Lauf der Zeit“ im Arm, das in dem Film als Reklamefigur an einem Möbelwagen prangte.
Joachim Fuchsbergers Pfeife ist sein Markenzeichen in dem Edgar-Wallace-Film „Die Bande des Schreckens“ aus dem Jahr 1960. Er erinnert sich, dass für eine Filmszene ein Scharfschütze der Polizei ihm besagte Pfeife aus dem Mund schießen sollte. Der Polizist weigerte sich jedoch und meinte, eine Gummischleuder mit harten Erbsen als Munition sei weniger gefährlich. „Nach dem dritten Versuch gelang der Stunt – nur leider blieb ein Zahn an der Pfeife hängen. Das hat man davon, wenn man die Zähne aus Angst zu sehr zusammenbeißt.“

Iris Berben etwa, trägt den Trenchcoat, der bei den Dreharbeiten zu ihrem ersten Spielfilm „Die Detektive“ von 1968 immer dabei war. „Es gibt aber keine einzige Szene, in der ich ihn tragen durfte! Darum setze ich ihm hier ein Denkmal.“
Martina Gedeck überträgt zum Beispiel ihre Drehbuchtexte in kleine Bücher. „Ich schreibe das Drehbuch ab, nur die reinen Dialogsätze; die Fantasie soll frei sein. Dadurch verinnerliche ich den Text, schreibe ihn ein. Das Format muss in Hosen- oder Jackentaschen passen.“

Anna Maria Mühes Fellmütze aus „Novemberkind“ ist das Charakteristikum ihrer Figur Inga, die in einem kleinen Dorf in Mecklenburg aufwächst. Da sie in dem Film viel Motorrad fährt, sollte sie ursprünglich einen Helm tragen. „Aber da dieser nicht so schmückt, sind wir auf die Mütze gekommen! Außerdem war es schön warm am Kopf in dieser kalten Jahreszeit!“
Die Regisseurin Caroline Link gewann 2003 den Oscar für „Nirgendwo in Afrika“. Sie konnte nicht nach Los Angeles reisen und ihn persönlich in Empfang nehmen, denn ihr Baby war erkrankt. Heute steht die Trophäe in ihrem Wohnzimmer. „Für viele ist der Oscar das unerreichbare Ziel aller Träume. In mein Leben hat er vor allem Verwirrung gebracht. Ich erfreue mich an ihm, wenn er da so in meinem Wohnzimmer steht, aber irgendwie kann ich ihn auch nicht ganz ernst nehmen. Er sieht so irreal aus.“
"Soll isch dir dein Hirn pusten?", mit diesem Kultspruch ging Moritz Bleibtreu in unsere Filmgeschichte ein. In dem deutschen Roadmovie "Knockin' on Heaven's Door" von 1997 spielt er den einfältigen Möchtegern-Killer Abdul. Für das Foto schlüpft er noch einmal in die Filmrolle: Schwarze Gangster-Klamotten, mit einer Beretta in der erhobenen Rechten wirft er lässig das Magazin in die linke Hand aus. Sein cooler Blick hält den Fotografen fest im Visier.

Ulrich Tukur hat erneut den Mantel angezogen, den er in „John Rabe“ trägt. Rabe, ein deutscher Kaufmann, hatte 1937 in der chinesischen Hauptstadt Nanjing das Leben von über 200.000 Menschen vor den japanischen Truppen gerettet.
Hannelore Hoger, sinnend in einem Café vor dem leeren Kaffeebecher sitzend, trägt auf ihren roten Haaren die Melone aus Alexander Kluges Film „Die Artisten in der Zirkuskuppel“ von 1968. Sie spielt darin die Zirkusdirektorin Leni Peichert, die das Unternehmen in den Bankrott führt. Der Spielfilm gewann bei den Filmfestspielen in Venedig übrigens den „Goldenen Löwen“.
Das Foto von Bernd Eichinger erweckt traurige Erinnerungen. Er starb im Januar 2011 an einem Herzinfarkt in Los Angeles. Es ist das letzte Bild dieses großen deutschen Filmproduzenten, Regisseurs und Drehbuchautoren. Barfüßig im Nadelstreifenanzug auf einer nassen Kopfsteinpflasterstraße stehend, lässt er seine geliebten Turnschuhe über der Schulter baumeln.

Der Titel der Ausstellung ist übrigens eine Hommage an Wim Wenders’ „Der Stand der Dinge“ aus dem Jahr 1982, für den der Regisseur mehrere Auszeichnungen erhielt. Der Titel ist aber auch ein Symbol für den aktuellen Stand des deutschen Films, der national und international unglaublich an Renommee gewonnen hat.

„Jim Rakete Stand der Dinge – 100 Porträts für das Deutsche Filmmuseum“ ist ein Muss für alle Fans des Fotografen und für Cineasten, die den deutschsprachigen Film lieben. Die Panoramahängung der großformatigen Porträts ermöglicht ein vis à vis mit den Prominenten der Filmindustrie. Die Schau ist ein Panoptikum der deutschen Stars und Sternchen.


„Jim Rakete Stand der Dinge – 100 Porträts für das Deutsche Filmmuseum“
zu sehen bis zum 25. März 2012 im Willy-Brandt-Haus, 3. OG, Wilhelmstraße 140 / Stresemannstraße 28 in 10963 Berlin-Kreuzberg
Öffnungszeiten der Kunstausstellungen: Dienstag bis Sonntag 12.00-18.00 Uhr. Montag geschlossen.
www.willy-brandt-haus.de

Fotonachweis:
Header: Blick in die Ausstellung im Willy-Brandt-Haus. Foto: © Christel Busch
Galerie:
01. Anna Maria Mühe mit Fellmütze. NOVEMBERKIND (Deutschland 2007/2008; Regie: Christian Schwochow). © Jim Rakete / Deutsches Filmmuseum
02. Regisseur Wim Wenders mit Michelin-Mann. IM LAUF DER ZEIT (BR Deutschland 1975/1976). © Jim Rakete / Deutsches Filmmuseum
03. Moritz Bleibtreu mit Beretta. KNOCKIN' ON HEAVEN'S DOOR (Deutschland 1996/1997; Regie: Thomas Jahn). © Jim Rakete / Deutsches Filmmuseum
04. Martina Gedeck mit handschriftlichen Abschriften ihrer Drehbücher. © Jim Rakete / Deutsches Filmmuseum
05. Regisseurin Caroline Link mit Academy Award Oscar für Nirgendwo in Afrika (Deutschland 2001). © Jim Rakete / Deutsches Filmmuseum
06. Ulrich Tukur mit Mantel. JOHN RABE (Deutschland, China, Frankreich 2007-2009; Regie: Florian Gallenberger). © Jim Rakete / Deutsches Filmmuseum

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