NewsPort - Kunst & Kultur aktuell

Fotografie

Isabelle Hofmann (IH): Herr Zint, auf dem Kiez sind Sie eine Berühmtheit, in Kiel muss man Sie wohl erst noch vorstellen.

Günter Zint (GZ): Das ist nicht so ganz richtig. Ich kriege mittlerweile Fanpost aus ganz Deutschland, was mir schon peinlich ist. Man kämpft zwar sein Leben lang um Anerkennung, aber wenn sie dann kommt, kriegt man doch rote Ohren.

IH: Im Gegensatz zu den Promi-Journalisten Stefan Aust und Henryk M. Broder, mit denen Sie Anfang der 1970er-Jahre die St. Pauli Nachrichten machten, ging es bei ihnen im Leben nicht immer bergauf. Woran lag das?

GZ: Das lag an mir. Das habe ich nicht anders gewollt. Ich sage stolz: Jeder Feind, den ich habe, den habe ich mir mit Bewusstsein selbst geschaffen. Vieles, was ich aufgebaut habe, habe ich dadurch wieder eingerissen.

IH: Sind Sie ein schwieriger Mensch?

GZ: Nein, ich glaube eher, dass die Lebensumstände schwierig sind. Ich bin kein Mensch, der hinter dem Geld herläuft. Ich bin kein Kapitalist. Nie gewesen. Auch nie geworden. Ich habe mehr oder weniger nach dem Lustprinzip gelebt.

IH: Also ein Künstler?

GZ: Nein, ich bin kein Feingeist. Ich inszeniere meine Bilder nicht, ich dokumentiere. Ich bin ein bekennender Bilderdieb. Ein Handwerker. Ich arbeite mit Muskelkraft. Hier, dieser linke Finger hat mit der Fotografie fünf Kinder großgezogen.

IH: Sie sind ein unerhört vielseitiger Fotograf. Ihr Name wird jedoch vor allem mit dem legendären Star-Club verbunden, den frühen Jimi-Hendrix- und Beatles-Aufnahmen.

GZ: Für die einen bin ich der Anti-AKW-Fotograf, für die anderen der Kiezfotograf oder der Bullenfotograf. Jeder steckt mich in eine andere Schublade. Das ist auch okay. Deshalb habe ich meine Agentur Panfoto genannt. Pan heißt allgegenwärtig und überall.

IH: Die schönste Anekdote aus den 60er-Jahren: Sie haben John Lennons Haare für 5.000 D-Mark an die Bravo verkauft.

GZ: Ich war damals Standfotograf bei den Bendestorfer Filmstudios. Bei den Dreharbeiten zu „Wie ich den Krieg gewann“ in der Lüneburger Heide musste John Haare lassen. Ich habe sie aufgehoben und gesagt: „Unterschreib mir, dass das deine Haare sind, ich brauch ein neues Auto“. Er hat mir einen Vogel gezeigt, aber brav unterschrieben. Die Bravo machte ein Preisausschreiben und ich hatte einen BMW.

IH: 1968 gründeten Sie dann die St. Pauli Nachrichten.

GZ: Als linkes, kritisches Boulevardblatt. Wir wollten die Bildzeitung lächerlich machen. Ein reines Sexblatt war nie meine Intention, deshalb habe ich es dann verkauft.

IH: Sie sagten einmal, Gott sei Dank, dass wir die Revolution nicht gewonnen haben, sonst wäre Horst Mahler heute Innensenator.

GZ: Der verherrlicht jetzt die NPD und sitzt im Knast. Ich bin immer noch links, aber ich habe im Laufe meines Lebens leider durch bittere Enttäuschungen erlebt, dass die Linken nicht die besseren Menschen sind. Ich bin von Linken mehr betrogen worden als von Rechten - bei der Arbeit, aber auch bei Buchhonoraren.

IH: Ein gutes Stichwort: Demnächst erscheint Ihr Bildband über Domenica beim Verlag Dölling und Galitz. Die „Hure mit den traurigen Augen“, die als Medienstar und Künstlermuse für die Rechte der Prostituierten kämpfte und in den 90er-Jahren als Streetworkerin arbeitete, wurde „fast zu Tode fotografiert, gefilmt und beschrieben“. Das schreiben Sie. Warum also noch ein Bildband?

GZ: Das Buch ist im Grunde genommen ihr Buch. Domenica wollte ihre Memoiren schreiben, gemeinsam mit Alice Schwarzer. Das ergab sich aber nicht, und sie fragte dann mich – doch es blieb uns keine Zeit, sie starb zu früh. Deshalb wird es jetzt eine Betrachtung über sie. Ein Bilderbuch, mit Fotos von mir und auch von vielen Kollegen.

IH: Domenica Niehoff war erst 63 Jahre alt, als sie 2009 an den Folgen einer Lungenentzündung starb. Hatte sie ihren Tod kommen sehen?

GZ: Nein. Sie hat nicht geglaubt, dass sie stirbt. Eine Woche vor ihrem Tod habe ich sie gefragt, ob sie ein Testament gemacht hat. Ihre Antwort war: „Bist Du wahnsinnig! Du bist vor mir dran, du bist zehn Jahre älter.“ Sie ist immer sehr lässig mit ihrer Gesundheit umgegangen. Sie war ja zuckerkrank, hat aber nur nach Gutdünken Insulin gespritzt. Und selbst noch auf der Intensivstation hat sie noch geraucht wie ein Schlot.

IH: „Ich war nicht schön, ich war schlimmer“ – den Buchtitel haben Sie einem Domenica-Zitat entliehen. Was machte sie denn so unwiderstehlich?

GZ: Es war ihre Offenheit. Domenica hat es fertig gebracht, auf der Straße mit wildfremden Leuten zu plaudern und diese Leute behaupten heute, sie waren mit ihr gut befreundet. So ein Gefühl konnte sie einem vermitteln.

IH: Sie bezeichnen sie als „Herzmenschen“, sehr weich und äußerst liebebedürftig. Das zeigt sich auch in ihrer immensen Kitsch-Sammlung, die Sie jetzt im Museum verwahren. Wie passte das zu ihrer Rolle als Domina?

GZ: Sie hat die Herrin nur gespielt. Die Peitschen geschwungen haben ihre Zofen. Sie konnte niemandem wehtun.

IH: Domenica und Domina – klingt ja fast identisch...

GZ: Dieses Missverständnis hat sie mitgemacht, denn es war gut fürs Geschäft. Dabei heißt Domenica Sonntag und ist tatsächlich ihr Taufname. Sie war ein Sonntagskind.

IH: Domenica hat lange in der Herbertstraße gearbeitet, Sie haben ihr das Haus 7b vermittelt.

GZ: Eine Klientin meines Steuerberaters hatte es geerbt und wusste nicht, was sie damit machen sollte. Wir rieten ihr, es an eine Frau zu verpachten. Domenica machte das erste „Frauenhaus“ daraus. Ich habe direkt daneben jetzt eine Domenica-Gedächtnis-Lounge eingerichtet.

IH: Wurden die Frauen nicht massiv von Zuhältern unter Druck gesetzt?

GZ: Einige dreiste Herren haben es versucht. Sie forderten eine „Ablösesumme“ – angeblich für eine Heizung im Keller, doch den Keller gab es gar nicht. Die Forderung lief dann ins Leere und Domenica wurde zum Glück nicht weiter belästigt. Sie hat Zuhälter gehasst.

IH: Wie sieht es heute auf dem Kiez aus?

GZ: Nur ein paar Frauen an der Davidstraße haben noch ihre „Manager“. Das Geld reicht doch gar nicht mehr aus. Durch die EU-Öffnung sind die Preise in den Keller gegangen. Die Luden fahren heute Fahrrad. Der Zuhälter stirbt aus.

IH: Domenica hat sich dafür eingesetzt, Prostitution zu legalisieren. Seit 2002 ist sie eine normale Dienstleistung. Was hat sich dadurch verändert?

GZ: Vor allem das Selbstbewusstsein der Frauen. Früher brauchten sie Beschützer, um das Geld einzutreiben, wenn die Freier nicht freiwillig zahlten. Schulden waren nicht einklagbar. Heute können sie die Polizei rufen. Aber es sind immer noch viel zu wenige krankenversichert.

IH: In dem Bildband, den Sie herausgeben, sieht man Domenicas ganzes Leben gespiegelt – und immer wieder Aufnahmen mit Prominenten. Mitte der 1980er war das Haus 7b offenbar auch Künstlertreff.

GZ: Sie hatte dort ein Klavier stehen und es wurde viel Musik gemacht. Viele Prominente gaben sich die Klinke in die Hand. Vince Weber spielte da, Gloria von Thurn und Taxis kam, Tomi Ungerer wohnte mehrere Wochen dort, während er an seinem Buch „Schutzengel der Hölle“ zeichnete.

IH: In dieser Zeit wurde Domenica von den Medien regelrecht hofiert. Diese Medienpräsenz betrachten Sie heute durchaus kritisch.

GZ: Ja, solange sie schön war, wurde sie oft eingeladen, in Talkshows, auf alle möglichen Events. Die Medien schmückten sich mit ihr und sie spielte mit. Aber als sie zum Schluss nicht mehr schön war, als sie durch das Kortison sehr aufgedunsen war, da haben sie alle gemieden.

IH: Sie haben Domenica jahrzehntelang begleitet – privat und beruflich. Sie gehören jedoch nicht zu dem Typ Fotograf, der in jeder Situation auf den Auslöser drückt.

GZ: Wenn ich mir so verschiedenen Kollegen in der Pressefotografie anschaue, bin ich nicht stolz auf diesen Berufsstand. Der pinkelnde Fußballstar auf der Autobahnraststätte ist nicht mein Objekt. Das ist ein Journalismus, an dem ich nicht teilhalben will. Man muss nicht alles aufnehmen und aufschreiben, was man erlebt. Aber von Domenica habe ich auch mein Fett weg gekriegt. In ihrem Tagebuch steht: „Günter Zint, der Voyeur, der beim Spazierengehen sein Geld verdient“.


Günter Zint wurde 1941 in Fulda geboren. In den 60er Jahren arbeitete er u.a. als „Hausfotograf“ des Hamburger Star-Club, 1968 gründete er die „St. Pauli Nachrichten“. Später fotografierte er für den Spiegel, den Stern und die Zeitschrift konkret. Eine enge Freundschaft und jahrzehntelange Zusammenarbeit verbindet ihn mit Günter Wallraff, dessen Undercover-Reportagen er bebilderte. Seine umfangreiche Sammlung über St. Pauli ist die Grundlage des von ihm ins Leben gerufenen St. Pauli Archivs und des St. Pauli Museums.

Günter Zint (Herausgeber) DOMENICA "Ich war nicht schön - ich war schlimmer"
1. Aufl. 10.2011, kartoniert, 80 S., Maße: 32,0 x 24,0 cm, Dölling & Galitz Verlag, ISBN: 978-3-86218-016-5

Fotonachweis:
Headerfoto: Isabelle Hofmann

Kommentar verfassen
(Ich bin damit einverstanden, dass mein Beitrag veröffentlicht wird. Mein Name und Text werden mit Datum/Uhrzeit für jeden lesbar. Mehr Infos: Datenschutz)

Kommentare powered by CComment


Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.