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Fotografie

Michelangelo Antonioni (1912-2007) ist ein Name, bei dem die Cinephilen der Welt heute noch andächtig aufseufzen: Ohne Frage gehört der Regisseur zu den wichtigsten Filmemachern des italienischen Kinos, der das europäische Kino der Nachkriegszeit mit seinem eigenen, unkonventionellen Stil prägt und die Grenzen des filmischen Erzählens immer wieder neu auslotet. Die seelische Zerrissenheit seiner Protagonisten, ihre Vereinsamung und Entfremdung, die ihn immer wieder beschäftigt, übersetzt Antonioni in visuell eindrückliche Bildkompositionen; die Gemütslage seiner Figuren findet ihre Entsprechung in der Landschaft: in den leeren Straßenzügen der Stadt, einsamen Feldern im Nebel, trostlosen Industriekomplexen, brachliegenden Flächen. Schwermut, Stille, Stillstand – so verdichtet sich die Handlung atmosphärisch auf das Momenthafte, in dem die Verlorenheit der Charaktere in der Welt noch deutlicher zutage tritt.

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So auch in „Il deserto rosso“ (1964): Dieser Film, den Michelangelo Antonioni in die verödete Industrielandschaft des norditalienischen Ravenna verortet, zeigt die an ihrer lieblosen Ehe verzweifelnde Giuliana und ihr Unvermögen, nach einem Selbstmordversuch und Krankenhausaufenthalt wieder in ihr alltägliches Leben zurückzufinden. Ihre Umgebung erscheint ihr nur noch kalt und leblos; Angstzustände und Wahnvorstellungen plagen sie. Giulianas fragile Verfassung spiegelt sich im Bedrückenden und Bedrohlichen ihrer Umgebung. Zwischen Fabrikhallen und Hafenkränen zeigt sich das brutale Eindringen des Menschen in die Natur: Schlote blasen giftigen Rauch in den Himmel, Abwässer laufen in die Wiesen, Wälder verrotten langsam, und dennoch arbeiten die Maschinen in einem schmerzlich-quietschenden, stetig reibenden und stampfenden Rhythmus voran. Antonioni versucht sich hier das erste Mal an einem Farbfilm und setzt die grell-synthetischen Farben der Chemieindustrie gegen die karge, langsam verblassende Landschaft. Gebrochenes Licht und stumpfe Grautöne treffen dann wieder die beinah beunruhigende Buntheit der Dinge. Um den ästhetischen Effekt dieser Unnatürlichkeit noch stärker hervorzuheben, lässt Antonioni nachhelfen: Ganze Grasflächen werden abgebrannt, ein Pinienwald weiß getüncht, eine Straße grau gestrichen; und umgekehrt wird ein Abwasserkanal schwefelgelb gefärbt, ein Kessel in fauligem Rot angemalt.

Dass sich der Film als Inspirationsquelle für neue visuelle Auseinandersetzungen anbietet, liegt also gar nicht so fern; und die Kölner Ausstellung „Il deserto rosso now“ zeigt, wie das im Medium Fotografie funktionieren kann. Zu sehen sind die Arbeiten von über 30 Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit Antonionis Film auseinandergesetzt und zum Ausgangspunkt ihrer eigenen fotografischen Arbeiten gemacht haben. Beteiligt an dem deutsch-italienischen Kooperationsprojekt waren sowohl Studierende der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig als auch die Initiativen „Linea di Confine“ in Rubiera und das „Osservatorio Fotografico“ in Ravenna. Im Oktober letzten Jahres hat die Gruppenausstellung daher schon in Rubiera Station gemacht; nun ist sie leicht modifiziert in der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln zu sehen.

„Die Idee hierzu hatten wir vor vier Jahren“, erzählt Professor Joachim Brohm aus Leipzig. Gemeinsam mit den ersten Projektteilnehmern begab er sich bereits 2013 auf die Spuren Antonionis, besuchte Drehorte in und um Ravenna, das nach wie vor von Industriearealen geprägt ist. Wieso die Wahl überhaupt auf den Film „Il deserto rosso“ gefallen sei, ließe sich leicht erklären, so Brohm: „Zum einen hat der Film damals gerade sein 50-jähriges Entstehungsjahr gefeiert, das kann man nicht ignorieren. Zum anderen ist Michelangelo Antonioni ein unkonventioneller Regisseur, der mit ungewöhnlichen Schnitten, mit einer eigenen Bildsprache arbeitet. Ich würde ihn fast als Künstler-Regisseur bezeichnen, der seine Impulse auch aus der Bildenden Kunst gezogen hat.“

Entstanden ist eine bemerkenswert facettenreiche Ausstellung, der es glücklicherweise gelingt, sich vom erwartbaren „Ins-Bild-Übersetzen“ der audiovisuellen Vorlage zu lösen und so tatsächlich ganz neue Bezugspunkte eröffnen kann. „Die Arbeiten gehen natürlich auf den Film ein, aber wir sehen hier keine illustrative Ausstellung, keine Nacherzählung des Films“, stellt Brohm klar. Stattdessen arbeiten die meisten Künstlerinnen und Künstler assoziativ, die Verbindung zum Film solle vom Betrachter erst nachgespürt, quasi entdeckt werden.

Allegra Martin zeigt uns zum Beispiel in seiner Reihe „Come nulla posso sapere della tua fame“ (Wie ich von deinem Hunger nichts wissen kann) bruchstückhafte Eindrücke des Orts: darunter das Portrait einer blassen Frau, vom grellen Sonnenlicht geblendet; abgesplitterte rote Farbe einer Wand; Rohre und Schienen, wieder von der Natur überwuchert; zuletzt ein einsames Reh, das, wie wir erfahren, ursprünglich im Pinienwald gegenüber der Fabrik angesiedelt wurde, um über die Umweltbelastung durch die Industrie zu monitorisieren.

Die Bilder von William Guerrieri beschäftigen sich dagegen allgemeiner mit öffentlichen Orten von trostloser und trister Leere, die aber gleichzeitig durch ihr komplementärfarbiges Arrangement eine geradezu erzwungene Fröhlichkeit ausstrahlen: Ein leeres Wartezimmer, darin rote Stühle vor einer grasgrünen Wand, ähnlich eine U-Bahn-Haltestelle, ein verlassenes Restaurant. Es sind die Nicht-Orte unseres Alltags: „The identity of the space remains an open question“, erklärt Guerrieri dazu selbst. Den „Farbanstrich“ der Natur, von Bäumen und Pflanzen, wie ihn Antonioni für „Il deserto rosso“ vornehmen ließ, thematisiert dagegen Mako Mizobuchi; sie verweist damit auf den metaphorischen Gehalt der Farbe, die der Film nutzt, um die Handlungsunfähigkeit der Protagonisten auszurücken.

Die Industrielandschaft Ravennas in nehmen sich gleich mehrere Arbeiten zum Vorbild: Bei Guido Guidi sehen wir die heruntergekommene Hafenanlage, in deren ebenso monumentaler wie bereits verrosteter und brüchiger Konstruktion ein Arbeiter gänzlich verloren scheint. Dagegen positionieren Jakob Argauer und Dana Lorenz beinah ironisch ihre beiden Foto-Stative so ins kahle Feld, dass die darauf platzierten Fastfood-Trinkbecher die dahinterliegenden stillgelegten Kühltürme vollständig verdecken. Und in Luca Capuanos treffen Bild und Tonspur aufeinander: Das Gelände der petrochemischen Anlage ANIC wird mit dem Kommentar zum Dokumentarfilm „Il gigante di Ravenna“ von Fernando Cerchio unterlegt.

Überhaupt schaffen es die audiovisuellen Arbeiten der Ausstellung eine besondere Eindrücklichkeit. Hier sticht Christoph Brückners Projekt heraus: Seine Videoinstallation hat aus dem Originalfilm sämtliche Dialogszenen herausgeschnitten; zu sehen sind nur noch die Landschaftsaufnahmen, menschenleer und kontextlos, die nun aneinandergereiht auftauchen – dazu, übergroß projiziert, Filmzitate der Hauptdarstellerin Giuliana. Oder die Filmaufnahme von Dana Lorenz: „Ursprünglich wollte ich die Filmszene ‚Una favola a Budelli‘ (Die Fabel vom einsamen Kind) aus dem Film nachspielen lassen, in der Giuliana ihrem Sohn eine Fabel erzählt“. Die Künstlerin entschied sich aber stattdessen, einen Ausschnitt der Szene mit der Darstellerin Muna Mussi maximal zu verlangsamen: So entsteht ein langsames Kreisen um die schwarze Protagonistin, deren Blick sich zugleich in den Betrachter bohrt, untermalt von sphärischen Klängen, die bis in den eigenen Körper nachvibrieren.

Die Vielfalt der größtenteils wirklich gelungenen Arbeiten von deutscher und italienischer Seite in „Il deserto rosso now“ macht Spaß und fordert dazu heraus, sich noch einmal mit dem Film auseinanderzusetzen. Im Nebenraum ist dann noch eine weitere fotografische Ausstellung zu sehen: Francesco Neri zeigt hier in „Trophy and Treasure“ persönliche Aufnahmen seiner Familie, der Auseinandersetzung mit dem Tod, den seit Generationen tradierten Berufen des Mediziners und Jägers, die nun von keinem der Kinder mehr angenommen werden wollen. Der Bezug zur Antonioni-Ausstellung kann hier höchstens mit einigem verklausulierten Zurechtbiegen gefunden werden, was tatsächlich versucht wird, aber eigentlich schade ist, denn hier wie dort stehen die Fotografien besser für sich. Immerhin kann der Besucher am Ende dann mit gleich drei schönen Ausstellungskatalogen nach Hause wandern.

„Il deserto rosso now“
Zu sehen bis 28. Januar 2018 bei Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur, Köln
Weitere Informationen

Begleitprogramm:
Montag, 18. September, 19 Uhr: Filmscreening „Il deserto rosso“ / Die rote Wüste, von Michelangelo Antonioni (1964),
im Kino Filmpalette, Lübecker Str. 15, Köln

Donnerstag, 12. Oktober, 19 Uhr: Vortrag „Ein Blick zurück auf ‚Die rote Wüste‘. Die Leere als zentrales Motiv bei Antonioni und Pasolini“, von Prof. Christina Natlacen, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig.

Blick in die Sammlung: Francesco Neri „Trophy and Treasure“
Zu sehen bis 17. Oktober und vom 9. November 2017 bis 28. Januar 2018
Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur, Köln
Weitere Informationen


Abbildungsnachweis:
Header: Johannes Ernst: Statement of Place, 2017. © Johannes Ernst
Galerie:
01. und 02. Aushangphotographie, 1964, handcoloriert, zum Film Michelangelo Antonioni: Il deserto rosso; Cervi Produzione / Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main
03. Guido Guidi: Millenovecentonovanta-duemilasei, 1990–2006 (01). © Guido Guidi, 2017
04. Fabrizio Albertini: 95’, 2016. © Fabrizio Albertini
05. Mariano Andreani: Al tuo posto (An Deiner Stelle), 2016. © Mariano Andreani
06. Daniele Ansidei: Life is somewhere else, 2016. © Daniele Ansidei
07. Jakob Argauer / Dana Lorenz: McDesert, 2015. © Jakob Argauer, Dana Lorenz
08. Christoph Brückner: Adaption / Disorder, 2015. © Christoph Brückner
09. Luca Capuano: Es war, als ob sie die Wüste vorbereiteten (Sembrava che preparassero il deserto), 2016. © Luca Capuano
10. Danny Degner / Vera König: o. T., Kinga, Suse, Anna, 2016. © Danny Degner, Vera König
11. William Guerrieri: Public Spaces, 1991–1993. © William Guerrieri
12. Alexander Rosenkranz: Sierra Leone II, 2016. © Alexander Rosenkranz
13. Anna Voswinckel: Wenn wir auch manchmal wie getrennt sind, 2016. © Anna Voswinckel.
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