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Fotografie

Peter Keetman (1916-2005) sei ein bescheidener, ernster Fotograf gewesen, erinnert sich Nachlassverwalter F.C. Gundlach in dem prachtvollen Katalogband von Steidl an seinen Freund und Kollegen. Einer, der sich „lediglich als Vermittler verstand zwischen der göttlichen Schöpfung, die das Licht sichtbar macht und die er als Fotograf nur aufzeichnet“. Ein Grund vielleicht, warum Keetman, der heute als einer der wichtigsten deutschen Nachkriegsfotografen gilt, immer noch so wenig bekannt ist. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass seine bildnerischen Konzepte, die „Subjektive Fotografie“ für die sein Name stand, von zu starker „Strukturitis“ dominiert war, wie bereits Kritiker Mitte der 1950er-Jahre mäkelten.
Sicher, Peter Keetman war ein stiller Fotograf, der formale Experimente über die Maßen liebte. Kein Provokateur, keiner, der schockieren wollte. Er fand noch in den kleinsten Nebensächlichkeiten ein interessantes Sujet, das sich lohnt abgebildet und vor allem verfremdet zu werden. Keetman war ein Meister der Verfremdung. Ein höchst sublimer Beobachter, der es mit schlafwandlerischer Sicherheit verstand, einfach alles – egal ob aus Technik oder Natur, auf die Kernaussage, auf die essenziellen Strukturen zu konzentrieren.

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Gleich links am Eingang, hängt ein kleines Bild, fast übersehbares Bild von einem völlig zusammengesunkenen Kriegsversehrten mit Krücken. Den Kopf auf dem einen Knie gestützt, das ihm blieb. „Gezeichnet“ heißt diese zutiefst anrührende, deprimierende Aufnahme, die Wolfgang Reisewitz von seinem Freund Keetman 1948 machte. Der Bankierssohn aus Elberfeld, der bereits als zehnjähriger zu fotografieren begann, hatte als Soldat an der Ostfront sein Bein und fast sein Leben gelassen. Doch ans Aufgeben dachte er nicht. Als Mitglied der legendären Gruppe „Fotoform“ setzte Keetman vielmehr alles dran, die Fotografie in der jungen Bundesrepublik neu zu positionieren. Stilistisch knüpfte er dabei an Albert Renger-Patzsch und anderen Vorbildern der Neuen Sachlichkeit an, die schon in den 1920er- und 1930er-Jahren die Schönheit der Schöpfung und aller menschlicher Errungenschaften in gestochen scharfen Aufnahmen vor Augen führten. Mit dem Unterschied, dass in Keetmans experimentelle Fotografien, so scheint es jedenfalls, die leidvollen Erfahrungen des Krieges unterschwellig hineinspielen. Kaum jemand hat die Welt so wunderbar fragil und flüchtig darzustellen vermocht wie dieser Fotograf, der mit Überblendungen, gezielter Unschärfe, Langzeit- und Doppelbelichtungen Bewegungen aller Art einfing. In seinen Bildern verschwimmen Menschen wie Mücken zu schemenhaften Schatten und flirrenden Lichtspuren. Seifenblasen, Wassertropfen oder ein paar Schilfhalme im Eis mutieren zu geheimnisvollen, kosmischen Gebilden und avantgardistisch anmutenden Architekturen. Spektakulär seine Aufnahmen von Kotflügeln und Stoßstangen 1953 bei VW, spektakulär auch die spiralförmigen Pendelbilder, abstrakte Grafiken aus puren Lichtlinien, die in ihrer metallisch wirkenden Körperlichkeit das fotografische Pendent zur kinetischen und kybernetischen Kunst der 50er- und 60er-Jahre darstellen und als zweckfreie formale Spielereien selbst alle Eigenschaften eines Kunstwerkes erfüllen.

Raffiniertes lineares Spiel und kühle Sachlichkeit zeichnen auch die rund 60 Arbeiten von George Hoyningen-Huene (1900-1968), Richard Avedon (1923-2004) und Irving Penn (1917-2009) aus, die in einem extra Raum hinter der Keetman-Retrospektive zu sehen sind. Diese drei Weltstars und Ikonen der Fotogeschichte führen mit ihren Porträts, Modeaufnahmen, Akten und Körperdetails eindrucksvoll vor Augen, welch unterschiedliche Konzepte Fotografen im Umgang mit Licht und Linien entwickelt haben – und wie meisterhaft sie damit umgehen konnten. Einmal abgesehen davon ist es einfach atemberaubend, die Lieblingsbilder von F.C. Gundlach hier versammelt zu sehen. Allein Irving Penns „The Hand of Miles Davis“ (1949/1950) – nur dieses eine Bild – lohnt schon den Weg in die Deichtorhallen.

„Peter Keetman – Gestaltete Welt“ und „The Concept of Lines“ im Haus der Photographie bis 12.2. 2017.
Ein umfangreiches Buch zu Leben und Werk begleitet die Ausstellung. Die deutschsprachige Ausgabe ist im Juni 2016 im Steidl Verlag Göttingen erschienen. Herausgegeben von der Stiftung F.C. Gundlach und dem Museum Folkwang. 304 Seiten, 29x24cm, Leineneinband mit Schutzumschlag. 48 Euro.
Sammlung Viehof in der Halle für Aktuelle Kunst und in der Sammlung Falckenberg bis 22. Januar 2017.
Alle Infos unter www.deichtorhallen.de

YouTube-Video zur Ausstellung:
Peter Keetman – Gestaltete Welt. Ein fotografisches Lebenswerk
Katalogansicht: Peter Keetman – Gestaltete Welt. Ein fotografisches Lebenswerk
Flickr-Fotos
Fotoansichten aus der Ausstellung


Abbildungsnachweis:
Header: Peter Keetman, Selbstbildnis, Stuttgrat 1948 (Detail)
Galerie:
01. Peter Keetman: Pendel-Schwingung, 1952 © Stiftung F.C. Gundlach
02. Peter Keetman: VW-Werk: Hintere Kotflügel, 1953. © Stiftung F.C. Gundlach
03. Peter Keetman: Baustelle Marienplatz, München 1954. In: Das Deutsche Lichtbild 1956 © Stiftung F.C. Gundlach
04. Peter Keetman: Wassertropfen, c. 1956. verwendet für Boehringer Ingelheim © Stiftung F.C. Gundlach
05. Peter Keetman: Rohre, 1958. © Stiftung F.C. Gundlach
06. Peter Keetman: Plastikflaschen, 1963. © Stiftung F.C. Gundlach
07. Peter Keetman: Graustufen, Schwarzwald 1980 © Stiftung F.C. Gundlach
08. George Hoyningen-Huene, 1900 – 1968, ohne Titel (Miss Sonia, Kleid von Madeleine Vionnet), September 1931, Silbergelatine, 15,4x20,1cm © Estate George Hoyningen-Huené Sammlung F.C. Gundlach/Haus der Photographie. Inv.-Nr. 001363
09. Richard Avedon, Nastassja Kinski and the serpent, Los Angeles, 1981, Printed 1982 © The Richard Avedon Foundation.
10. Irving Penn, The Hand of Miles Davis, New York, 1949-1950 © The Irving Penn Foundation.
11. Blick in die Ausstellung: Sammlung Viehof in der Halle für aktuelle Kunst. Foto: © Henning Rogge/Deichtorhallen.

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