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Film

Die Menschen leiden unter der Armut, aber mehr noch darunter, sich nicht wehren zu können. Für die Jugend der Umgebung ist der ehemalige Freiheitskämpfer ein Idol, ein Hoffnungsschimmer in ihrem tristen Alltag. Er selbst möchte eigentlich nur in Ruhe leben, sticht zusammen mit den Bauern Torf, anfangs fällt ihm die ungewohnte Arbeit noch schwer. Die Mädchen und Jungen betteln beharrlich: Sie wollen die Wiedereröffnung der Pearse-Connolly Hall, benannt nach den Anführern des Aufstands von 1916, gebaut von Jimmy und seinen Freunden. Das war bevor der Protagonist fliehen musste, alles zurückgelassen hat, auch seine große Liebe Oonagh (Simone Kirby). Die hat inzwischen geheiratet und zwei Kinder.

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„Jimmy’s Hall” erinnert an Ken Loachs Drama „The Wind That Shakes the Barley”(2006) über das erschütternde Schicksal zweier Brüder während des irischen Unabhängigkeitskrieges 1920/21. Der Regisseur wurde in Cannes dafür mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Der Film könnte fast ein Sequel sein, doch der Kampf ist hier ein anderer. Das Drehbuch schrieb wieder Paul Laverty, seit 1996 unverzichtbarer kreativer Mitarbeiter von Loach. Nach einigem Zaudern lässt sich Jimmy überreden zusammen mit Gleichgesinnten die verfallene Community Hall wieder herzurichten. Hier treffen sich von nun an Dorfbewohner aller Generationen, sie diskutieren, studieren zusammen, zeichnen, lesen, träumen vielleicht auch von einer besseren Welt. Jimmy hat aus den Staaten ein prachtvolles Grammophon mitgebracht und viele Schallplatten amerikanischer Jazzmusiker. Nicht nur die Tanzabende mit ihren Swing-Rhythmen empören die Vertreter der katholischen Kirche, sie brandmarken von jeher Fortschritt und freie Meinungsäußerung als kommunistisches Gedankengut, wollen absolute Kontrolle über das Leben der Bürger. Pater Sheridon (Jim Norton) lässt von seinen Helfern die Namen der Ortsansässigen notieren, die zur Einweihungsfeier des Kulturzentrums kommen, verließt sie den nächsten Sonntag von der Kanzel. Der Geistliche wettert gegen jene teuflischen Rhythmen aus dem „schwärzesten Afrika”, schimpft auf die „Los Angelization” der irischen Kultur und verdammt Jimmy wie seine Mitstreiter als Antichristen. So werden ungewollt Lindy Hop und Charleston zum Symbol des Widerstands.

Die Treffen in der Community Hall sind wahrlich nicht konspirativ, die Priester herzlich dazu eingeladen. Aber in fundamentalistischen wie totalitären Systemen kommt jeder Ansatz von Selbstverwirklichung schon einer Revolte gleich, darin liegt der universelle Aspekt des Films. Bildung sollte zu jener Zeit in Irland das Privileg der herrschenden Klasse bleiben, die Lehre alleiniges Recht der Kirche. Jimmy sucht den Dialog mit Pater Sheridon, er stößt jedoch auf absolutes Unverständnis. Nur wo der Druck wächst, wird auch der Widerstand stärker. Die Dorfbewohner erzwingen, dass ein von seinem Land vertriebener Kleinpächter auf das Gehöft zurückkehren kann. Sie lassen sich von den bewaffneten Hilfstrupps der Großgrundbesitzer nicht mehr einschüchtern. Thematisiert wird hier nicht wie sonst oft im Kino der Konflikt zwischen England und Irland, sondern der Klassenkampf, Unterdrückung in ihrer elementarsten Form. Ob jugendliche Kleinkriminelle („The Angels’ Share”,2012), Obdachlose („Cathy Come Home”, 1966), drogensüchtige Sozialhilfeempfänger („My Name is Joe”, 1998) , Ken Loach gibt jenen eine Stimme, die sonst keine haben, fern jeder Klischees oder Polemik. In seiner Welt existiert weder Gut noch Böse, sondern nur Opfer. Verblüffend, wie es Loach und Laverty immer wieder gelingt, realistische Milieustudien umzusetzen in ironische Komödien, packende Sozialdramen oder bewegende Liebesgeschichten: Unterhaltsam, manchmal fast heiter oder von grimmigen schwarzen Humor. Regisseur und Autor erliegen nie ihren eigenen Idealen, auch wenn sie Partei ergreifen. Der Zuschauer kann den Protagonisten seine Sympathie nur schwer verweigern, auch wenn er vielleicht im wirklichen Leben ganz anders denken mag.

Die Schönheit der Natur ist trügerisch wie der unbeschwerte Sound des Swing. Am Ende fallen Schüsse, die Gewalt eskaliert. Die Community Hall wird bei einem Brandanschlag völlig zerstört. James Gralton, genannt Jimmy, hat es wirklich gegeben. In Effernagh in der Grafschaft Leitrim erinnert eine Holztafel mit der Inschrift „Standort der Pearse-Connolly Hall” an den politischen Aktivisten. Er und seine Kameraden hatten 1921 ein Aktionskomitee gegen die Besitzrechte der großen Landeigentümer gegründet und griffen auch den rechten Flügel der IRA an. Der Saal wurde von Soldaten umzingelt und Jimmy flüchtete aus einem Fenster. Um der Verhaftung zu entgehen, emigrierte er in die USA und wurde amerikanischer Staatsbürger. So konnten ihn dann 1933 die irischen Behörden als „unerwünschten Ausländer” ausweisen. Jimmy kehrte nie wieder nach Irland zurück und starb 1945 in New York. Vieles im Film ist rein fiktiv, aber bestimmt nicht die gesellschaftlichen Strukturen, die Verquickung kirchlicher Hierarchie und wirtschaftlicher Macht. Paul Laverty hat vor Ort lange recherchiert, um jenem charismatischen Arbeiterführer gerecht zu werden. Er musste entdecken, dass die meisten Aufzeichnungen über Jimmys Verhaftung und Deportation auf mysteriöse Weise verschwunden sind. Der überzeugte Sozialist war kein dogmatischer Rädelsführer, sondern in erster Linie ein Mensch, der das Leben liebte, die Freiheit, seine Freunde, seine Heimat und natürlich Onagh. Wenn Barry Ward mit Simone Kirby tanzt, glaubt man für einen Moment, er könne die Welt aus den Angeln heben. Seine Courage, Fröhlichkeit, seine Zuversicht überträgt sich auf die Dorfbewohner und auch auf den Zuschauer. Es ist Ken Loachs hoffnungsvollster, warmherzigster Film, und falls es denn doch sein letzter sein sollte, will er uns noch einmal Mut machen, der Klassenkampf sei noch lange nicht verloren. Drehbuchautor und Regisseur zitieren immer gern in Interviews die amerikanische Friedensaktivistin Emma Goldman, die einst zu den Bolschewiken sagte: „Wenn ich nicht tanzen darf, will ich Eure Revolution nicht.” Laverty ergänzt: „Und der ermordete nigerianische Schriftsteller Ken Saro-Wira hat geschrieben: Tanzt eure Wut und Freude, tanzt gegen die Waffen der Soldaten, tanzt, um ihre dummen Gesetze auf den Müll zu werfen, tanzt, um die Unterdrückung und Ungerechtigkeit zu vernichten.”

Ken Loach drehte in der Grafschaft Leitrim, wo einst die Pearse-Connolly Hall niedergebrannt war, nicht nur weil diese Region der historischen Wahrheit am nächsten kommt, sondern auch weil es eine ziemlich unbewohnte Gegend ist, in der man kaum Spuren moderner Technik findet. Statt im Studio ließ der Regisseur den Tanzsaal an Ort und Stelle aufbauen. Die Landschaft war ihm wichtig wegen der Atmosphäre, ihr Einflusses auf die Bewohner, mit all ihren Sümpfen und dem Nebel. „Wenn man im Studio dreht, ist man immer versucht, die wahren Ausmaße zu verändern, doch die tatsächliche Größe des Schauplatzes erfordert ein bestimmtes Verhalten, das, wie ich meine, der Zuschauer als natürlich wiedererkennt,“ erklärt die Filmemacher in einem Interview. „Im Studio gibt es bewegliche Wände, und es entstehen Bilder, die so im wahren Leben nicht existieren.” Und deshalb wurde auch zum größten Teil nur mit natürlichem Licht gedreht. Ken Loach wird von Filmkritikern oft in höchsten Tönen gelobt, ist auf internationalen Festivals in Venedig, Cannes und Berlin immer wieder mit Preisen ausgezeichnet worden. Schwierigkeiten gab es eher daheim in England gerade wegen des viel gepriesenen Dramas „The Wind That Shakes the Barley”: Tim Luckhurt von der Londoner Times bezeichnete den Film „als vergiftende anti-britische Verfälschung historischer Fakten vom irischen Unabhängigkeitskrieg” und verglich Loach mit Leni Riefenstahl, der Regisseurin nationalsozialistischer Propagandafilme wie „Triumph des Willens” (1934) oder „Tag der Freiheit! – Unsere Wehrmacht”(1935). Später soll sich herausgestellt haben, dass der betreffende Journalist zu dem Zeitpunkt den Film überhaupt noch nicht gesehen hatte.

Ken Loach ist ein Regisseur, der stark polarisiert und in der Diskussion durchaus vor bissigen Kommentaren nicht zurückschreckt, genau wie Jimmy Gralton, der in einem Brief nach seiner Ausweisung schrieb: „Auch der Deckmantel der Religion kann nicht den imperialistischen Schurken dahinter verstecken.” Der Ton im Film dagegen ist moderat und der Regisseur bei seiner Arbeit um ein hohes Maß an Authentizität bemüht. Anstatt eines aufgezeichneten Soundtracks hat er die Musiker beim Spielen gefilmt. Eine durchgestylte Inszenierung der Tanzszenen wollte er unbedingt vermeiden. „Die Schauspieler haben die Tanzschritte gerade soweit gelernt, dass sie Spaß hatten und aus sich heraus gehen konnten,” sagt Loach. „Dann mussten wir die Kamerabewegungen und Bilder finden, die dazu passen. Meiner Meinung hängt alles vom Kamera-Blickwinkel und der Größe des Objektivs ab... Ich habe immer die „Danseuses” von Edgar Degas im Hinterkopf, die beim Betrachter den Eindruck erwecken, dass man sich in einer Theaterloge seitlich daneben befindet. Degas’ Blickrichtung verläuft nicht auf der Höhe des Orchestergrabens, von dem man die Bühne frontal sehen kann, sondern er richtet seinen Fokus leicht über den Tänzerinnen aus, so das man plötzlich nicht nur sie wahrnimmt, sondern auch die Kulissen. Man hat eine intimere Beobachterposition, kann ihre Gesichter lesen, man spürt ihre Freude, wenn sie sich unterhalten und scherzen.”

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Originaltitel: Jimmy’s Hall
Regie: Ken Loach
Darsteller: Barry Ward, Jim Norton, Simone Kirby, Andrew Scott
Produktionsland: Großbritannien, Irland, Frankreich, 2014
Länge: 106 Minuten
Verleih: Pandora Film GmbH & Co
Kinostart: 14. August 2014

Copyright Fotos & Video Pandora Film

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