Film
Sie wächst in ärmlichsten Verhältnissen auf. Die Mutter warnt sie jeden Tag vor den Männern, die alle „Schmutzfinken” sind, um dann plötzlich wieder zu heiraten. Violette glaubt sich verraten. „Ein Stiefvater ist ein künstlicher Vater. Ein Puppe, die die Augen aufmacht, die Augen zumacht, die sagt: In bin Papa,” schreibt sie später einmal voller Verachtung. Im Mädchenpensionat hat sie eine sexuelle Beziehung erst mit ihrer Mitschülerin Isabelle, dann mit einer Lehrerin, Hermine. Die beiden werden der Schule verwiesen und nehmen sich zusammen eine Wohnung in Paris. Später verliebt sich Violette in den schwulen Schriftsteller Maurice Sachs. Ihre Gefühle werden nicht erwidert, sie heiratet 1939 Jacques Mercier, nach wenigen Monaten trennen sich die beiden, Violette ist schwanger und entscheidet sich gegen das Kind.

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1942, während der deutschen Besatzungszeit bezieht sie mit Maurice Quartier auf einem abgelegenen Bauerngehöft in der Normandie. Um irgendwie nur seine Aufmerksamkeit zu erlangen, erzählt Violette ihm unaufhörlich von ihrer deprimierenden Kindheit. Als der Freund die Tiraden nicht mehr ertragen kann, empfiehlt er ihr, die Erlebnisse aufzuschreiben. Gedruckt hat er sie nie gesehen, Maurice stirbt gegen Kriegsende unter ungeklärten Umständen in einem Deportationslager bei Hamburg. Der Film ist in sechs Kapitel gegliedert, Provost war nicht an einem konventionellen Biopic interessiert, er konzentriert sich auf die entscheidenden Begegnungen der Künstlerin von Anfang der Vierziger Jahre bis zu ihrem literarischen Durchbruch 1964. Der Regisseur und Autor entwickelt ein differenziertes, ungeschöntes Bild seiner Protagonistin, die selbst auch immer mit unerbittlicher Brutalität um Wahrhaftigkeit gekämpft hatte. Das war was Simone de Beauvoir (Sandrine Kimberlain) später so an ihr fasziniert. Violette spioniert der eleganten Schriftstellerin nach. Diese Frau verkörpert alles, wonach sie sich sehnt, Schönheit, Erfolg, Kultur, Talent, Intelligenz. Mit der für sie typischen Unerschrockenheit drängt Violette der Fremden ihr Manuskript auf, der Titel „L’ Asphyxie“ („Das Ersticken”). Simone de Beauvoir ist hingerissen, wird ihre Mentorin, sorgt dafür, dass der Roman bei Gallimard erscheint, in einer Reihe, die Albert Camus betreut.

Hemmungslos schleudert Violette Leduc den Lesern ihre Gefühle entgegen. Sie klagt, aber klagt nicht an. Sie macht sich selbst zum Sujet ihrer Romane, wird zur Pionierin feministischer Literatur. Schmerz und Einsamkeit quälen sie, sind aber auch Ursprung ihrer Imagination, einer Kreativität ohne stilistische Skrupel. Konventionen bricht sie, als es noch nicht obligater Trend war aus den Feuchtgebieten zu berichten und sich als Selbstinszenierung zu vermarkten. Zwanghaft zerrt sie Erlebtes hervor, mit unglaublicher Sprachgewalt erzählt sie von der unehelichen Geburt, der quälenden Scham ob der eigenen Hässlichkeit, den sexuellen Sehnsüchten, der Hassliebe zur Mutter, den immer wieder kehrenden Erniedrigungen auf der Jagd nach Liebe, der Abtreibung. Leben ein Synonym für Leiden. Ihrer Umwelt macht sie Angst, löst fast bei jedem einen Fluchtreflex aus. Sie klammert sich wie eine Ertrinkende an die Objekte ihrer Begierde. Ablehnt zu werden ist ihr Schicksal. Sie kennt keine Rücksicht, nicht sich noch den Anderen gegenüber. Das ist nicht Sehnsucht, das ist Verlangen in seiner exzessivsten Form, erbarmungslos und ohne Gnade für sich selbst als den Leidenden. Nichts ähnelt hier den erotischen Offenbarungen unserer Tage, die modisch-eklig um Aufmerksamkeit buhlen. Violette kämpft um Wahrhaftigkeit. Kompromisslos, ein viel strapazierter Begriff, hier trifft er zu, sie hadert mit den künstlerischen wie sozialen Konventionen, kennt kein Tabu. Sie steht im Widerspruch zu allem und jedem.

Violette verliebt in Simone, wieder eine unerfüllte Leidenschaft. Auch der nächste Roman „L’Affamée” („Die Verhungernde”) wird nur ein mäßiger Erfolg. Die Anerkennung ihrer berühmten Kollegen tröstet Violette nicht. Sie verzweifelt: “Ich bin eine Wüste, die mit sich selbst spricht.” Derweil wird „Le Deuxième Sexe” („Das andere Geschlecht”) von Simone de Beauvoir ein Welterfolg, macht seine Autorin zu einer der bekanntesten Intellektuellen Frankreichs. Le Monde setzt es an elfter Stelle der 100 wichtigsten Bücher des Jahrhunderts. Violette ist eitel, kapriziös auf eine wahnwitzige Art, sie kleidetet sich extravagant, obwohl sie kaum das Geld für die Miete hat. Ihre Romane auf das Skandalöse zu reduzieren, heißt ihre Bedeutung verkennen. Der Regisseur macht den Prozess des Schreibens körperlich nachvollziehbar, ein fast sinnliches Erlebnis. Es entsteht ein hypnotischer Sog, wenn die Feder über die Seiten kratzt. Darüber funktioniert die Identifikation, nicht über Empathie, sondern das tiefe Verstehen des Wunsches nach Selbstbefreiung. Die eigene Existenz ist Inspiration und ein Kunstwerk in sich. Martin Provost geht behutsam mit seiner Protagonistin um, er zeigt ihre Widersprüche, sie ist atemberaubend wie unerträglich. Der Film könnte um vieles spektakulärer sein, das Material dazu liefert Violette selbst in ihren Texten. Aber sie, die so oft verletzt wurde, soll nicht noch einmal missbraucht werden. Ein Denkmal? Vielleicht eher Mahnmal für die Generationen unterdrückter Frauen. Erst 1969 erhielten sie in Frankreich das Recht ohne offizielle Genehmigung ihres Ehemannes einen Beruf auszuüben oder ein Bankkonto zu eröffnen. Und so ist dieses Paris kein romantisch pittoreskes wie bei Woody Allen, sondern eine kühle Nachkriegsmetropole, Grautöne, ausgewaschene Farben bestimmen die Ästhetik (Kamera: Yves Cape). Die Innenräume sind dunkel, karg ausgeleuchtet, Schatten dominieren den Film wie das Leben der Protagonistin.

Auch wenn Simone de Beauvoir die Gefühle Violettes nicht erwidern kann, so ist sie ihr doch das ganze Leben lang eine verlässliche Freundin, auch wenn sie selbst in Abrede stellt, dass man überhaupt mit Violette befreundet sein kann. Sie ermuntert die bis dahin so wenig Erfolgreiche immer wieder, zwingt sie zum Schreiben, sorgt dafür, dass sie von Gallimard ein monatliches Salär erhält, das Geld kommt aus ihrer eigenen Tasche, aber das verschweigt sie dezent. Auch Jean Genet und vor allem der Kunstsammler und Mäzen Jacques Guérin unterstützen Violette , stehen ihr als Freunde zur Seite, natürlich verliebt sie sich in den homosexuellen Guérin. Rein, unberührt ist in diesem Film nur die Natur, 1951 wandert Violette allein auf den Spuren Van Goghs durch die Provence. Hier hat die Einsamkeit nicht Schreckliches mehr. 1955 veröffentlicht Gallimard den Roman „Ravages” („Verwüstungen”), doch der Verlag streicht die ersten 150 Seiten über ihre lesbische Beziehung zu Isabelle. Violette bricht zusammen. Sie leidet unter Depressionen, Verfolgungswahn. Den Klinikaufenthalt bezahlt Simone de Beauvoir. In der Abgeschiedenheit von Faucon findet Violette zu sich selbst, schreibt die Autobiographie „Die Bastardin”. Es ist das Ende der Abhängigkeit von ihrer Mutter und von der Ersatzmutter Simone de Beauvoir. 1964 der literarische Durchbruch. Sie, die sich in der Nachkriegszeit mit üblen Schwarzmarktgeschäften durchschlagen musste, hat zum ersten Mal Erfolg, Geld, kann das mondäne Leben führen, von dem sie immer geträumt hatte.

Der 57jährige Regisseur Martin Provost bewundert seine Protagonistin, ihren Mut, der ihm vielleicht manchmal fehlte, aber er sieht deutlich die Parallelen, die stoische Treue gegenüber den eigenen Ideen, die Zähigkeit die es braucht als Künstler durchzuhalten, ohne zu wissen, wohin der Weg einen führt. Auch er hatte seinen Erfolg erst spät, 2008 wurde er für sein Filmporträt der Malerin Séraphine Senlis mit sieben Césars ausgezeichnet. Auch sie eine Außenseiterin, die heute zu den bedeutendsten Vertretern naiver Kunst gehört.

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Originaltitel: Violette
Regie/Drehbuch: Martin Provost
Darsteller: Emmanuelle Devos, Sandrine Kiberlain, Oliver Gourmet, Catherine Hiegel
Produktionsland: Frankreich, Belgien
Länge: 139 Min.
Verleih: Kool Filmdistribution
Kinostart: 26. Juni