Film
 
Wenn Kultregisseur Wes Anderson einen Film dreht, muss ein ganzes Universum kreiert werden: es hat seine ureigene Zeitrechnung, Geschichtsschreibung, Sprache, Philosophie, Architektur und Dekor. Selbst die Natur erinnert weniger an die Realität als an Caspar David Friedrichs Felsenschluchten: In Zubrowka, einer fiktiven osteuropäischen Alpenrepublik, liegt hoch in den Bergen Nebelsbad, ein ebenso fiktiver Kurort. Dort auf dem Gipfel steht in rosaroter, opulenter Pracht das Grand Budapest Hotel. Um seine chronische Schreibblockade zu kurieren sucht ein Schriftsteller (Jude Law) 1968 Zuflucht in dem einst so luxuriösen Treffpunkt der internationalen High Society. Bei einem Dinner im menschenleeren tristen Speisesaal erzählt ihm der geheimnisvolle Besitzer des Hotels, Zeró Moustafa (F. Murray Abraham), wie er vom Pagen zum Eigentümer aufstieg: Anfang der Dreißiger Jahre logieren hier reiche verwöhnte Exzentriker mit höchsten Ansprüchen. Dass die Gäste sich wohlfühlen, dafür sorgt Gustave H. (Ralph Fiennes), der legendäre Concierge des Grand Budapest Hotel. Wie ein allmächtiger Herrscher regiert er mit rigidem Perfektionismus über das Personal. Für ihn zählen noch Diskretion, Ehre und Etikette. Zeró Moustafa (jetzt: Tony Revolori) hat grade als Lobby-Boy angefangen, seine rührende Ernsthaftigkeit verblüfft Monsieur Gustave, er nimmt den staatenlosen Flüchtling unter seine Fittiche und bald schon wird der Junge Vertrauter wie Verbündeter im Kampf gegen die Verderbtheit der neuen Zeit.
 
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Besondere Aufmerksamkeit widmet Monsieur Gustave dem Wohl seiner weiblichen Gäste wie der 84jährigen Witwe Madame Céline Villeneuve Desgoffe (gespielt von Tilda Swinton, bei Jim Jarmusch grade noch ein androgyn verführerischer Vampir, nun nach vier Stunden in der Maske, mit hängenden Backen und Falten eine überzeugende Greisin). “Ich habe schon ältere gehabt”, gesteht er Zeró. Madame D. stirbt, sie wusste die sexuelle Zuwendung zu schätzen und hinterlässt dem Concierge ein unschätzbar wertvolles Bild. Besorgt, dass ihm sein rechtmäßiges Erbe verwehrt wird, entwendet Monsieur Gustave das Renaissance Gemälde und zieht sich damit den Zorn von Dimitri (Adrien Brodi) dem geldgierigen Sohnes der verblichenen Madame D. zu. Der Protagonist wird des Mordes verdächtigt und landet hinter Gittern. Sein treuer Page will ihn befreien, Unterstützung bekommt er von Mithäftlingen und der geheimen internationalen Bruderschaft der Concierges. Aber die Polizei und Dimitris blutrünstiger Scherge bleiben ihm weiter auf den Fersen. Wilde Schießereien, amüsante Verfolgungsjagden erinnern an Ernst Lubitsch und Fritz Lang. Es geht quer durchs Land: Schlösser, Klöster, verschneite Wälder, per Zug, auf dem Schlitten und am Ende über eine Skisprungschanze in den Abgrund. Ein märchenhaftes, doch schon traumatisiertes Europa, ein zweiter Weltkrieg steht kurz bevor, die Barbaren sind auf dem Vormarsch. Es geht um Geschichte, aber genau die wird vermieden. Mussolini, Hitler, Stalin, ihre Namen tauchen nicht auf, aber die Furcht vor ihnen, der Zerstörung, die sie hinterlassen werden. Die witzige Fassade des Films wird brüchig, der Humor wird schwärzer und die Stimmung melancholischer.
 
Die Welt schrumpft zum Puppenhaus, gibt den Blick frei auf die Vergangenheit. Wie einst Ernst Lubitsch in “Sein oder Nichtsein”(1942) setzt Anderson in seiner bizarren Kriminalkomödie Humor als Waffe ein, der Lächerlichkeit können sich weder Täter noch Opfer entziehen, die Helden werden nie etwas Anderes sein als tragisch komisch. Robert Yeoman (Fotographie) und Adam Stockhausens (Production Design) verbinden Farce und Fantasie zum elegant skurrilen Dekor, filigran, fein ziseliert. Es geht um die Welt von gestern, die Kunst des Erzählens, des Erinnerns, also auch um den Regisseur selbst. Es ist sein achter Spielfilm und er übertrifft sich selbst. Ein unvergleichlicher Ideenreichtum. Jede Einstellung dieser Miniatur-Allegorie der Vorkriegszeit ist ein delikates Kunstwerk für sich. Ob Patisserie, brutale Faschisten, falsche Mönche, die unschuldige erste Liebe, Geldgier, Mord, alles verschmilzt zum 'andersonesken' Kosmos, einer wunderschönen Schneekugel. Vergangener Ruhm hat Wes Anderson nach eigenen Worten immer schon fasziniert. Hier verkörpert der Concierge das Gefühl von Verlust. Er lebt in einer Zeit, der Belle Epoque, die längst vergangen ist, aber er hält die Illusion davon aufrecht mit großer Anmut. Dafür bewundert ihn Zeró Moustafa. Er, der staatenlose Flüchtling aus dem Mittleren Osten bewahrt die alten Werte auch in jener neuen klassenlosen Gesellschaft als würdiger Nachfolger von Monsieur Gustave und schläft noch als Hotelbesitzer in der kleinsten kargen Dienstbotenkammer. Die Farbe Rosa täuscht Zuckerwerk nur vor, Andersons Akribie für Perfektion wird von ihm selbst gebrochen, jedes Detail hat seine ureigene Berechtigung, zusammen wird es zur Message, ob der ungelenk aufgemalter Bart des Jungen, eine blutige Nase oder ein Muttermal im zarten Mädchengesicht, er verfremdet Makel wie Schönheit, setzt sie gezielt ein, gibt ihnen eine neue Bedeutung. Manche Kritiker rebellieren, nichts rechtfertigt den, ihrer Meinung nach, naiven Umgang mit der Historie, zu glatt, zu prätentiös, ein kitschiges Bilderbuch mit Farben statt Gefühlen. Doch das ist das Geheimnis, die Magie der Schneekugel, sie sind nicht Dekor, erzählen die Geschichte auf ihre Weise. Aber Slapstick mit Nazis oder dandyhafter Weltschmerz mit röhrendem Hirsch sind nicht jedermanns Sache.
 
Ralph Fiennes (“Coriolanus”, “Der englische Patient”) zeigt als Gustave grandioses komödiantisches Talent. Ein Charakter voller Widersprüche charmant, manchmal pathetisch, berechnend, der geborene Verführer, aber eigentlich unsicher, verletzlich. Er ist streng mit sich und anderen, penibel, duldet keine Fehler. Er bellt seine Befehle, versucht seine Sentimentalität, Frustrationen zu kaschieren, Gefühle erlaubt er sich kaum. Manchmal bleibt er stecken in seinen poetisch kunstvoll antiquierten Wortketten. In solchen Momenten flucht er, ist aber selbst im Gefängnis noch auf Etikette und untadelige Manieren bedacht. Ein Querkopf, ein Unangepasster, Ausgegrenzter, dem Freund gegenüber von großer Loyalität, eine wirkliche Vaterfigur. Seine Akribie wird zur Obsession, das verbindet ihn mit Wes Anderson: die altruistische Hingabe für Schönheit, Perfektion bis ins kleinste Detail. In “Moonrise Kingdom” schleppte das Mädchen seine Lieblingsbücher mit sich herum. Das Cover hatte der Filmemacher extra gestaltet und auch die Textpassagen geschrieben. Hier gibt es jenes Gemälde, “Junge mit Apfel” der Madame D, um das so hart gekämpft wird. Der englische Maler Michael Taylor hat es gemalt. Wes Anderson und sein Team haben ein Kind gecastet, das Modell stehen sollte, haben ein Kostüm schneidern lassen und Taylor suchte sich eine Kirche aus, in der er das Porträt malen wollte. Dass der Regisseur seine Visionen so kompromisslos umsetzen kann, verdankt er nicht zuletzt seinem Förderer und Mäzen dem Milliardär Steven Rales.
 
Anderson ist ein Meister des Erinnerns, der Kunst die Vergangenheit neu zu beleben. Seine Mutter war Archäologin, als er acht Jahre alt war, ließen sich seine Eltern scheiden, die drei Brüder lebten von nun an bei der Mutter. In den Schulferien nahmen sie die Jungen mit zu ihren Ausgrabungen. Der 44jährige Amerikaner ist einer der unaufhörlich forscht, sucht, recherchiert, etwas ausgräbt, so entdeckte er in Görlitz das habsburgisch anmutende Jugendstilkaufhaus, das zum Grand Budapest Hotel wurde.  Auch der Zuschauer wird begierig zu wissen, was sich verbirgt in dieser magischen Schneekugel. Der Gefängnisausbruch erinnert an Jean Renoirs “La Grande Illusion” (1937) oder vielleicht Robert Bressons “Ein zum Tode Verurteilter ist entflohen” (1956). “Ärger im Paradies” (1932) von Ernst Lubitsch gehört zu den Lieblingsfilmen des Regisseurs, Alfred Hitchcock ist sein Lehrmeister in Sachen Suspense. Er verfremdet Europäische Geschichte und vermischt sie mit den Kinomythen jener Zeit. Fünf Kapitel auf drei Zeitebenen: Jede Ära hat ihr eigenes typisches Bildformat, Cinemascope, 1.85: 1 und für die fiktiven 1930er-Jahre 1.37:1, das sogenannte Academy Ratio. Ein Thema taucht in seinen Filmen immer wieder auf: Familie und ihre Bindungen, wie entflieht man ihnen, wie schafft man neue oder wie ersetzt man sie, so wie es Monsieur Gustave tut, wenn er die Vaterrolle für seinen Lobby Boy übernimmt. Manche sagen Wes und seine Freundin hätten keine Kinder, aber seine Schauspieler wären seine Familie. Bis in die kleinste Nebenrolle ist sein Film hochkarätig besetzt, Bill Murray und Wilson Owen als Concierge, Adrien Brody als rachsüchtiger Sohn von Madame D., Tony Revolori, der Neuzugang, erinnert an Rushmore's Max Fischer, Saoirse Ronan als Patisserie Lehrling, Jeff Goldblum als unnachgiebiger Familienanwalt, Willem Defoe als blutrünstiger Handlanger mit Schlagring, Edward Norten militärischer Chef der Polizei, Harvey Keitel als kahler tätowierter Knastbruder und effizienter Fluchthelfer. Am liebsten möchte der Zuschauer manchmal den Film anhalten, noch mal zurückspulen, man hat so viel gesehen, kann nicht auf jedes Detail gleichzeitig achten, aber will nichts verpassen von dieser wunderschönen, verspielten, unendlich traurigen Welt.
 

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Originaltitel: The Grand Budapest Hotel
Regie/Drehbuch: Wes Anderson       
Darsteller: Ralph Fiennes, Tony Revolori, F.Murray Abraham, Jude Law, Adrian Brody, Mathieu Amalric, Willem Dafoe, Jeff Goldblum, Harvey Keitel, Bill Murray, Saoirse Ronan, Jason Schwartzman, Tilda Swinton, Léa Sedoux, Owen Wilson, Florian Lukas, Karl Markovics, Bob Balaban  
Produktionsland: USA, 2013 
Länge: 100 Min.
Kinostart: 6.März 2014    
Verleih: Fox Deutschland 

Fotos & Trailer: Copyright TWENTIETH CENTURY FOX OF GERMANY