Film

Die Handlung von "Das Bourne Vermächtnis" knüpft unmittelbar an die vorhergehende Story um den CIA-Agenten Jason Bourne an: Dieser hatte im Kampf um sein Leben geheime Informationen über ein Ausbildungsprogramm der CIA für Geheimagenten publik gemacht. Um den Schaden durch die Veröffentlichung möglichst klein zu halten, beschließt der amerikanische Geheimdienst daraufhin, ein zweites Programm, das Methoden des genetischen Engineerings an Spionage-Agenten erprobt und starke personelle Überschneidungen zu dem von Jason Bourne offenbarten Programm aufweist, zu eliminieren. Doch der Versuch alle am Projekt beteiligten Wissenschaftler und Agenten auszuschalten, misslingt: Die das Tötungskommando überlebende Wissenschaftlerin Dr. Marta Shearing (Rachel Weisz; My Blueberry Nights) und der Spezialagent Aaron Cross (Jeremy Renner; Mission Impossible) verbünden sich daraufhin, um gemeinsam vor den Schergen des CIAs zu flüchten – eine spannende Verfolgungsjagd, welche die beiden Protagonisten bis auf die Philippinen führt, beginnt.

Galerie - Bitte Bild klicken
Das temporeich inszenierte und bildgewaltige Action-Epos fesselt nicht nur durch spektakuläre Stunts und wilde Verfolgungsjagden durch die kanadische Wildnis oder die Slums von Manila. Tony Gilroy hat mit seiner Arbeit einen sehr modernen Actionfilm vorgelegt, der sich zwischen Zeilen auch immer wieder mit hoch brisanten ethischen und moralischen Fragestellungen rund um die Möglichkeiten der modernen Biowissenschaften beschäftigt. Vor dem Hintergrund der diffusen Bedrohung, wel-cher sich die Protagonisten ausgesetzt sehen, rückt die für das Genre typische Frage nach einem Gegner oder Feind in den Hintergrund. Nicht zuletzt in dieser Komplexität und Vielschichtigkeit des Szenarios spiegelt sich unsere heutige Zeit.

Kultur-Port-Redakteur Daniel Hirsch traf Regisseur Tony Gilroy zum Interview in Berlin.

Daniel Hirsch (DH): Herr Gilroy, Ihr neuer Film thematisiert Versuche zu genetischem Engineering an Menschen – ist Das Bourne Vermächtnis ein Science-Fiction Film?

Tony Gilroy (TG): Ich denke nicht, dass es irgendeine Sache in diesem Film gibt, die man sich nicht auch in unserer Gegenwart vorstellen könnte. Natürlich hatte das filmische Szenario kein konkretes Vorbild, aber ich denke, dass genetisches Engineering in den nächsten Jahren ein großes Thema werden wird. Im Juli zu den Olympischen Spielen habe ich einen Artikel im Wall Street Journal gelesen, in dem die große Befürchtung geäußert wurde, dass nach Steroid- und Blutdoping in den nächsten Jahren nun genetisches Doping zum großen Problem im Profisport werden könnte. Was im Film thematisiert wird, ist also viel näher an der Realität, als man vielleicht auf den ersten Blick glaubt. Seit dem Ersten Weltkrieg gab es immer wieder Versuche, den Menschen leistungsfähiger zu machen. Ritalin soll heute unsere Konzentrationsfähigkeit verbessern, Prothesen fehlende Gliedmaßen ersetzen – ich bin mir sicher, dass wir auch noch den Siegeszug des genetischen Dopings erleben werden. Das sind akzeptierte Tendenzen in unserer Gesellschaft, diese Versuche, den menschlichen Körper auf eine höhere Leistungsfähigkeit zu trimmen.

DH: Sie schreiben seit 2002 die Drehbücher zur Jason-Bourne-Reihe – die Regie führen Sie bei Das Bourne Vermächtnis zum ersten Mal. Ist es für einen Regisseur einfacher, sein eigenes Drehbuch zu verfilmen oder macht das die Sache vielleicht auch manchmal komplizierter?

TG: Nein, ich denke es ist auf jeden Fall einfacher, sein eigenes Drehbuch zu verfilmen. Filme sind einfach stärker, wenn aus ihnen die Stimme eines einzigen Autors als starke Vision spricht. Zumindest hat bei allen meinen Lieblingsfilmen der Autor auch gleichzeitig Regie geführt. Für den Regisseur ist es eine große Chance, sein Skript auch genau so umgesetzt zu sehen, wie er es erdacht hatte. Und es gestaltet sich auch bei den Dreharbeiten einfacher – zum Beispiel, wenn während der Dreharbeiten etwas spontan im Handlungsverlauf angepasst werden muss. Da ist es wesentlich einfacher, wenn der Regisseur gleichzeitig der Autor ist. Es darf nicht darum gehen, das Skript möglichst puristisch umsetzen zu wollen und jede noch so kleine Änderung zu vermeiden – der Autor, der aus diesem Grund Regisseur werden möchte, wird wahrscheinlich keinen so guten Film abliefern.

DH: Wie suchen Sie sich denn Ihre Projekte aus – warum die Bourne-Reihe?

TG: Ich wollte immer einen großen Film machen, bevor ich zu alt für so etwas werde. Das war eine Erfahrung, die mir immer sehr wichtig war. Leider sind viele große Filme häufig nicht besonders interessant. Außerdem darf man auch nicht vergessen, dass ein Film in dieser Größenordnung schlichtweg zwei Jahre seines Lebens in Anspruch nimmt. Alleine deswegen sollte man den Film schon mögen, an dem man arbeitet. Als ich also die Gelegenheit bekam, an den Bourne-Filmen zu arbeiten, war das eine tolle Sache für mich: Denn ich fand die Story und die Figur des Protagonisten Jason Bourne sehr spannend und hatte auch das Gefühl, dass der Film ein großes Publikum begeistern würde. Für diesen Film würde ich mich niemals entschuldigen, ich bin sehr stolz auf meine Arbeit. Außerdem darf man auch nicht vergessen: Wenn man mit seinen Geldgebern offen kommuniziert, die Abgabefristen nicht überschreitet und das Budget nicht aus dem Ruder läuft, dann hat man auch gute Chancen, genau die Vision eines Films umzusetzen, die man sich selbst ausmalt.

DH: Fast könnte man meinen, nach so vielen Drehbüchern für die Bourne-Reihe werde das Filmemachen zur Routine. War dieser Film noch eine Herausforderung für Sie?

TG: Unbedingt! Die größte Herausforderung war es, einen Nachfolger für Matt Damon zu finden, dessen Gesicht ja bisher untrennbar mit den Jason-Bourne-Filmen verbunden war. Die Aufgabe war es daher, einen eigenständigen neuen Charakter zu entwickeln, der das Erbe dieser Serie glaubhaft weitertragen kann, ohne Matt Damon dabei zu kopieren. Alle anderen Dinge in einem Drehbuch sind Fleißarbeit – worauf es wirklich ankommt, ist eine gute Hauptfigur, denn sie muss den Film tragen, mit ihr steht und fällt der ganze Film. Insgesamt mehr als zwei Wochen habe ich zu Beginn der Arbeiten am Drehbuch nur damit verbracht, die Figur des Aaron Cross zu entwickeln.

DH: Man hätte natürlich auch nach dem James-Bond-Prinzip versuchen können, die Figur des Jason Bourne durch einen anderen Schauspieler weiterleben zu lassen…

TG: Ich glaube nicht, dass das funktioniert hätte. Das Studio hat bestimmt darüber nachgedacht, das zu tun oder ein Prequel zur Reihe zu drehen. Aber das hätte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren können – man kann Jason Bourne nicht einfach ersetzen. Diese starke Figur, die Matt Damon über die Jahre hinweg aufgebaut hat, kann man nicht einfach von einem neuen Schauspieler spielen lassen.

DH: Ist das etwas, das Ihre Arbeit grundsätzlich auszeichnet, diese Liebe zu den Figuren? Ist es nicht die Story, die Sie zu einem Film reizt?

TG: Nein, es ist immer der Charakter, mit dem man mich kriegt. Das war auch bei meinem Thriller Michael Clayton, den ich 2007 mit George Clooney gedreht habe, so. Wenn du einen guten Charakter hast, dann fällt es dir nicht schwer, ein Dutzend gute Handlungen zu überlegen – auch als ich das Drehbuch zu "Das Bourne Vermächtnis" schrieb, hatte ich bestimmt 20 verschiedene Ideen für den Handlungsverlauf. Der Film muss sich ganz natürlich um den Hauptcharakter herum entwickeln.

DH: Wo sehen Sie denn die Hauptunterschiede zwischen dem Charakter von Jason Bourne und Aaron Cross?

TG: Der Hauptunterschied ist die fundamental unterschiedliche Ausgangsbasis der Figuren. Jason Bourne leidet ja unter Amnesie und entdeckt nach und nach seine furchtbare Vergangenheit, was zu einem starken inneren Konflikt führt, da er sich selbst als guten Menschen begreift. Bei Aaron Cross ist von Anfang an klar, dass diese dunkle Seite seiner Tätigkeit als Geheimagent Teil seiner Persönlichkeit ist. Insofern ist Aaron Cross auch ein Stück weit ein düsterer Charakter als Jason Bourne.

DH: Ist es komplizierter, eine Rolle zu besetzen, wenn man seine Figur so sorgfältig entwickelt hat, oder macht es die Sache unkomplizierter?

TG: Also im Fall von Jeremy Renner, der die Hauptrolle des Aaron Cross im Film spielt, war es sehr schwer. Ich dachte ehrlich gesagt nicht, dass es so kompliziert werden würde, den perfekten Schauspieler für die Rolle zu finden. Wir haben diesen ganzen Hollywood-Casting-Zirkus durchgezogen, was sehr zeitaufwändig ist. Als Regisseur will man es sich natürlich auch mit keinem Schauspieler verscherzen – da muss man dann schon auch jedem eine Chance zum Vorsprechen geben, auch wenn man ihn als Regisseur nicht unbedingt in der Rolle sieht. Man weiß ja nie, ob man seinen nächsten Film nicht gerade mit diesem Schauspieler drehen möchte. Und da wäre es natürlich unvorteilhaft, wenn der einen als Regisseur in schlechter Erinnerung behalten hätte. Jeremy Renner hatten wir für die Rolle lange Zeit überhaupt nicht auf dem Schirm, er stand nämlich durch andere Engagements gar nicht zur Verfügung. Als er dann aber doch für das Projekt Zeit hatte und wir uns in Berlin zu einem Kennenlernen getroffen hatten, wusste ich, dass Jeremy unser Mann sein würde.

DH: Jeremy Renner hat schon in vielen actionlastigen Filmen mitgespielt. Was macht ihn für diese Rollen so attraktiv?

TG: Jeremy ist einfach ein wahnsinnig guter Schauspieler – gleichzeitig gibt es in dem Film zahlreiche Stuntszenen, die große körperliche Ausdauer und Kraft verlangen. Dem ist Jeremy einfach gewachsen. Es war uns sehr wichtig, möglichst viele Szenen mit den Schauspielern direkt zu drehen und nur wenig mit dem Computer oder mit Stuntmen zu simulieren. Außerdem wollten wir einen neuen Hauptdarsteller, den das Publikum noch nicht so sehr auf eine Rolle festgelegt hatte. Jeremy Renner ist natürlich kein unbekannter Schauspieler, aber er muss in seiner Rolle als Aaron Cross auch nicht gegen ein bestimmtes Image beim Publikum anspielen.

(ca. 4.57 Min.) B-Roll von den Dreharbeiten.


Das Bourne Vermächtnis
Regie: Tony Gilroy
Drehbuch: Tony und Dan Gilroy
Verleih: Universal Pictures International
Kinostart: 13.09.2012

Bildnachweise/Videos: © alle Universal Pictures International
Header: Regisseur Tony Gilroy (r.) mit Schauspieler Jeremy Renner (l.)