Film

Der Film beginnt mit dem Tod J. Edgar Hoovers – 48 Jahre lang war er Chef des Federal Bureau of Investigation und einer der mächtigsten Männer des Landes, gefürchtet sein Archiv, hier hortete er Informationen und Gerüchte in gigantischem Ausmaß. „Alle ihre Geheimnisse sind sicher bei uns”, beruhigt sein Stellvertreter Mark Felt die eintreffenden Gäste. Ein Satz grade von ihm, der Ironie nicht entbehrt, aber alles Kompromittierende wurde längst fachgerecht entsorgt oder verschwand für jeden offiziellen Zugriff unerreichbar. USA, Sommer 1972, die politische Atmosphäre ist durch Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung bereits aufgeheizt, als die Nachricht vom Einbruch im Watergate-Hotel, dem Hauptquartier der Demokratischen Partei, wie ein Bombe einschlägt. In der Nacht zum 17. Juni waren die Eindringlinge überrascht worden, als sie versuchten, Abhörwanzen zu installieren und Dokumente zu fotografieren. Washingtons Journalisten rätseln, wer dahintersteckt.

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Die Kamera bleibt immer an der Seite von Mark Felt. Integrität, Loyalität sind Qualitäten, die ihn auszeichnen, der er sich selber rühmt. Seine Widersacher belächeln Treue gehässig als ideale Eigenschaft für einen Jagdhund nicht für den Chef des FBI. Neuer Direktor wird Patrick Gray (Marton Csokas), ein Captain der Navy mit keinerlei Erfahrung in Sachen Geheimdienst. Weshalb Richard Nixon sich für ihn entschieden hat? Er braucht einen schmierigen Ja-Sager vor Ort, der ohne Gegenfragen jeden auch noch so unmoralischen Befehl ausführt, dessen Priorität ansonsten der Golfsport ist. Während die FBI-Beamten auf Hochtouren ermitteln, verkündet der Gefolgsmann des Präsidenten das Ende der Untersuchung, die Akte Watergate ist in zwei Tagen zu schließen. Es gibt keine lauten Wortgefechte über die Schreibtische hinweg, Mark Felt trägt seine emotionalen Kämpfe allein mit sich selbst aus. Hinter souveräner, ruhiger undurchdringlicher Miene verbirgt Schauspieler Liam Neeson Zorn und Enttäuschung, die innere Zerrissenheit und das Gefühl unendlicher Einsamkeit. Nach all dem Action-Glamour kann er endlich wieder Talent im Subtilen beweisen, alles wird nur angedeutet, selbst die Melancholie.

Die Entscheidung sich gegen die Regierung zu stellen, kann unser Held nur allein fällen, sie verändert seine Existenz und sein Selbstbild von Grund auf. Ob zum Wohle des Landes und dem Erhalt der Demokratie, viele werden später ihm jeglichen Altruismus absprechen, behaupten, das Motiv sei gekränkte Eitelkeit, weil man ihn übergangen habe als Nachfolger Hoovers. Auch das gilt es einzukalkulieren, zu rechtfertigen vor sich selbst, von nun an wird Watergate immer als dunkles Geheimnis auf ihm lasten. Der FBI-Beamte muss Werte verraten, an die er jahrzehntelang bedingungslos geglaubt hat, riskiert Karriere, die Zukunft, seine Sicherheit. Doch der Verdacht, wer hinter dem Einbruch steckt, ist zur bitteren Gewissheit geworden. Mark Felt kontaktiert Bob Woodward (Julian Morris) von der Washington Post und einen Journalisten vom Time Magazine (Bruce Greenwood), versorgt sie von nun an geschickt mit geheimen Informationen, deren Quelle unmöglich aufzuspüren ist, das Weiße Haus aber steht immer im Schussfeld. Autorenfilmer Peter Landesman („Parkland”, „Concussion”) brilliert darin, politische Fakten und persönliche Gefühle auf virtuose Weise unauffällig miteinander zu verflechten. „The Secret Man” ist ein Kreuzritter im dunklen Anzug, nach ihm beginnt die Ära des modernen Zynismus, ein Gefühl, das unserem zurückhaltenden Bürokraten völlig fremd war. Nixon taucht nur kurz als Protagonist der Fernsehnachrichten auf, eine grinsende verzerrte Fratze wie aus einem schaurigen Horrorfilm, doch neutrales Archivmaterial.

Gray unterschätzt Mark Felt als Gegner, dessen Erfahrung, Ausbildung, sein Know-How. Der versierte Geheimagent gehörte während des Zweiten Weltkriegs zur Spionageabteilung der Inlandsaufklärung, wo er die Kunst der Fehlinformation perfektionierte. Seine Aufgabe: den Feinden der USA mit Hilfe ausländischer Agenten, dem FBI und anderen Diensten der Alliierten falsche Dokumente und Nachrichten zuzuspielen. Davon erfährt der Zuschauer im Film nichts, aber es erklärt die Perfektion mit der „Deep Throat” agierte. Im Grunde unterschätzt ihn selbst Audrey (Diane Lane), seine Ehefrau, wie soll sie diesen meist abwesenden Gatten auch kennen, er darf ihr nie etwas anvertrauen, umgekehrt muss er auf völlige Loyalität zählen: Siebzehn Versetzungen, oft bleibt Audrey mit den beiden Kindern allein zurück, wenn Mark plötzlich in eine neue Stadt transferiert wird, den Freunden präsentiert sie ihren Mann als den „Hüter des ‚Amerikanischen Traums’”. Peter Landesman: „Audrey war wunderschön, kokett, kompliziert, Alkoholikerin und sehr wahrscheinlich manisch-depressiv... Sie war wie ein Feuervogel, den er liebte, aber nicht kontrollieren konnte.” In diesem Moment bricht ihre ganze Verbitterung hervor. Ähnlich wie in Tomas Alfredson Thriller „Dame, König, As, Spion” hinterlassen Abschottung und der Zwang zur Geheimhaltung Verwundungen, führen zwischen den Partner zur Entfremdung. Audrey behauptet, dieses Dasein unter der allgegenwärtigen Herrschaft Hoovers nur ertragen zu haben in der Gewissheit, eines Tages würde er, Mark, Chef des FBI sein. Als wäre ihr gemeinsames Leben nun wertlos, weil Gray diesen Posten ergattert hat. Sie fleht ihren Mann an, den Job hinzuwerfen. Er weigert sich.

Peter Landesman schrieb als Kriegsberichterstatter und investigativer Journalist über die Konflikte in Ruanda, im Kosovo und in Afghanistan/Pakistan nach dem 11. September. Seine Themen: Waffenhandel, Flüchtlingskrise, Sklaverei, Straßengangs in L.A. Er hat ein besonderes Gespür für Atmosphäre, Details, wie Menschen untereinander agieren. In diesem Drama über Verlust und Schmerz entsteht oft eine wundervolle Sprachlosigkeit fern der angestrengt unterhaltsamen Serien wie „House of Cards” oder dem Hollywood Pathos engagierten Kinos. Liam Neeson blickt uns an (oder durch uns hindurch), raucht eine Zigarette, wir versuchen seine Gedanken zu enträtseln, während er über den nächtlichen Pool blickt oder im Büro auf seine Mitarbeiter, die durch ihn in Verdacht geraten. Sie ahnen nicht, was er getan hat, er, der doch eher angepasste, konservative Bürger, Kirchgänger, Verkörperung der Moral, den Hoover losschickte, um seine Außenstellen zu kontrollieren. Er ein Saboteur, Rebell, Whistleblower? Niemals. „The Secret Man” ist ein suggestives Szenario der Verschwörung, karg, spröde in wundervoll düsterem Blautönen, vieles bleibt im Dunkel verborgen, die Dialoge oft nur Wortfetzen. „All the President’s Men” war ein heroischer David-gegen-Goliath-Kampf, junge Reporter stellen ihre Tauglichkeit als furchtlose Kerle unter Beweis. Dieses ist keine glamourösere Welt, wenig Grund besteht zum Triumphieren für die Demokratie, wo einer zum Verräter werden muss, um sie zu bewahren. Landesman träumte von einem Film, „schön und schwindelerregend” zugleich wie ein Edward-Hopper-Gemälde.

Privates wird nur am Rande gestreift in „The Secret Man”. Mark Felts Tochter Joan (Maika Monroe) ist seit langem untergetaucht, sie kommt mit Audrey nicht klar, nach exzellenten Examina driftete sie ab in die alternative Szene. Der unglückliche Held schreibt unzählige Briefchen in alle Bundesstaaten, sie alle kommen zurück, mit einer Ausnahme. Der Agent glaubt, sie hätte sich einer Terrororganisation angeschlossen wie dem „Weather Underground“. Er wollte sie auf jeden Fall aufspüren, bevor das FBI es tat. Joan zu finden war für ihn genauso wichtig wie das Land vor Nixons Korruption zu bewahren, so der Regisseur. Während die Motivation hinter Felts Aktivitäten als „Deep Throat” darin bestand, den illegalen Einbrüchen und der Überwachung der Regierung ein Ende zu setzen, wurde er ironischerweise später selbst für die Autorisierung ganz ähnlicher Operationen gegen den „Weather Underground“ angeklagt und verurteilt. Landesman sieht darin keinen Widerspruch: „Nixon handelte im Namen von Gier, Macht und Kontrolle. Doch Felt tat, was er tat, weil er befürchtete, den Krieg gegen terroristische Organisationen zu verlieren. Er hätte alles dafür getan, Leben zu retten.” Audrey erschoss sich 1984 mit dem Dienstrevolver ihres Mannes. Felt selbst wohnte bis zu seinem Tode bei Joan und ihrer Familie. Sie war es auch, die ihn bestärkte, sich in der „Vanity Fair“ als der mysteriöse Whistleblower zu outen. (Nicht unerheblich das Honorar, dringend benötigt für die Studiengebühren der Enkel.) Die Spekulationen über die Identität von „Deep Throat” hatten nie aufgehört, manche behaupteten, es wäre eine reine Erfindung.

„Als Mark Felt sich zu erkennen gab, konnte man die Atmosphäre der Zurückhaltung spüren, sie grenzte geradezu an Enttäuschung”, schreibt Landesman in seiner Director’s Note, „Felt war nicht sexy. Er war keine Berühmtheit. Zeit seines Lebens FBI-Agent, Handlanger des Gesetzes. Ich hatte niemals von ihm gehört, aber eines wusste ich ganz sicher: die scheinbare Banalität der wahren Identität „Deep Throats“ war letztendlich genau der Grund dafür, dass Felt zu einer der großartigsten Stories unserer Zeit wurde.” Den Spitznamen „Deep Throat“ mit der Anspielung auf den legendären Porno hatte der Whistleblower übrigens gehasst.

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Originaltitel „Mark Felt: The Man Who Brought Down The White House“
Regie / Drehbuch: Peter Landesman
Darsteller: Liam Neeson, Diane Lane, Marton Csokas
Produktionsland USA, 2017
Länge: 103 Minuten
Kinostart: 2. November 2017
Verleih: Wild Bunch Germany

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright Wild Bunch Germany