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Film

Jimmy will seine Tochter nicht verlieren, die wenigen Stunden mit der Kleinen sind für ihn unendlich kostbar. Wer die zwei gemeinsam am Motor des schrottreifen Trucks herumwerkeln sieht, versteht die Entscheidung des Protagonisten, alternative Maßnahmen ins Auge zu fassen. Ein gut getarnter Einbruch im großen Stil soll es sein, das prestigeträchtige NASCAR Rennen, der Coca-Cola Cup 600, bietet die perfekten Voraussetzungen. Viele Monate hat Jimmy in den unterirdischen Gewölben des Rennbahngeländes gearbeitet und kennt dort jeden Winkel. Sein Bruder Clyde (grandios Adam Driver) ist anfangs wenig angetan von diesem riskanten Plan. Der schwermütige Barkeeper hat im Irakkrieg die linke Hand samt Unterarm verloren, seit Generationen schon verfolgt die Logan-Sippe das Pech. Willkommende Gelegenheit für Skeptiker Clyde noch einmal genüsslich die schaurigen Missgeschicke und Schicksalsschläge aufzuzählen. Es ist wie ein Fluch. Überall stoßen die beiden Männer auf Gespött und Misstrauen.

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Auch bei dem berüchtigten Joe Bang: Nicht wieder zu erkennen Bond-Darsteller Daniel Craig als Macho-Muskelpaket mit platinblondem Bürstenhaarschnitt und einer Vorliebe für hartgekochte Eier. Leider sitzt der Experte fürs Tresore sprengen noch im Knast, er muss also erst befreit und nach dem Coup unauffällig wieder ins Gefängnis eingeschleust werden, eine logistische Hochleistung und atemberaubend komisch. Ganz bewusst spielt der Film auf den Gegensatz zum „Ocean”-Team an. Die Ära cooler Sonnenbrillen, VIP-Gehabe und smarter Pointen wird abgelöst von Overalls, Originalität und humorvoller Bodenständigkeit. Die Logans sind keine gerissenen professionellen Gangster, sie verfügen weder über finanzielle Mittel noch Technologien, müssen permanent improvisieren, sich ihr Knowhow für den ungewohnten Job hart erarbeiten. Genau das faszinierte Soderbergh (verantwortlich auch für Kamera und Schnitt) an jenem Drehbuch der unbekannten Rebecca Blunt. Hinter dem Namen soll sich übrigens seine Ehefrau Jules Asner verbergen.

In den Produktionsnotizen schreibt Blunt, dass Channing Tantum die Inspiration für ihren Protagonisten aus der Arbeiterklasse war: „Chan stammt aus einer Kleinstadt im amerikanischen Süden, er erhielt ein Football Stipendium, um in Florida anzutreten, erlitt aber eine schwere Knieverletzung unmittelbar vor dem Start der Saison, also verdiente er sich sein Geld als Stripper.” Die Drehbuchautorin versuchte sich vorzustellen, was wohl aus Channing geworden wäre, wenn er nicht als Stripper gejobbt, sondern nach Hause zurückgekehrt wäre. Sie mischt Fantasie mit konkreten Fakten: „Ich hatte von den Schlund-Löchern im Charlotte Motor Speedway gehört, der auf einer zugeschütteten Müllhalde errichtet worden war. Es wurden extra Minenarbeiter von außerhalb eingeflogen, um die Reparaturen vorzunehmen. Weil ich aus West Virginia stamme, schlägt mein Herz für Kumpel und Minenarbeiter.” Blunt/Asner ist als Julie Ann White eigentlich in Tempe, Arizona geboren, die Schauspielerin, mit 16 als Model entdeckt, teilte sich ein Zimmer mit Cindy Crawford in der Anfangsphase ihrer Karriere. Aber völlig unabhängig von Identität, Biographie oder Gossip, spürt der Zuschauer in diesem Hillbilly-Epos die Zuneigung und wirkliche Bewunderung der Filmemacher für ihre Underdog-Helden, die tapfer Widerstand leisten trotz aller Hindernisse, und von denen gibt es reichlich.

„Der Unberechenbare” wird Steven Soderbergh in Fachkreisen genannt. 2013 noch vor der Premiere seines Thrillers „Side Effects” hatte er sich offiziell vom Kino verabschiedet. Die Fokussierung der amerikanischen Filmindustrie auf Blockbuster vom Fließband zerstört den notwendigen künstlerischen Freiraum der Regisseure, da war für ihn kein Platz mehr, glaubte er. Doch nun ist der 54-jährige Rebell zurück, trickst die Hollywoodmaschinerie geschickt aus. Produziert hat der Oscar-Preisträger die farbenfrohe Screwball Comedy trotz Staraufgebot für moderate 29 Millionen Dollar, ob Trailer oder Marketingkampagne, die Kontrolle behielt er selbst, die non-theatrical rights, also Streaming, TV und DVD verkaufte Soderbergh für 20 Millionen an Amazon. Seine Strategie gleicht Jimmys 10-Punkte Plan für den unterirdischen Raubzug, einer davon heißt: „Wissen, wann Du abhauen musst”, ein anderer: „Nicht gierig sein”, genau dieser letzte Ratschlag führt zu einem der gelungensten Momente in der Geschichte legendärer Heist-Movies. „Logan Lucky” ist unschlagbar in Spannung, handwerklicher Präzision, verrückten Einfällen, trockenem Humor, voller Wärme und doch gänzlich unsentimental, eine hyperintelligente wie skurrile Robin-Hood-Variante, die manchmal in ihrer plötzlich düsteren Lakonie an Aki Kaurismäki erinnert.

Clyde mixt Martinis perfekt mit einem Arm. Die Logans können zuschlagen, wenn es sein muss oder ihnen ein Spruch zu blöd ist. Dann fließt auch mal Blut und ein teurer Schlitten geht in Flammen auf, aber das bleibt eine Ausnahme. Die tougheste der Familie ist Mellie Logan (Riley Keough), Friseurin mit immenser Kenntnis von schnellen Wagen und Motoren. Für Typen, die Automatik fahren, hat sie nur Verachtung übrig. Ihr Beruf lehrt sie alles Notwendige darüber, wie man den Gegner ablenkt oder austrickst. Soderbergh versteht sich darauf, die Spitzenpositionen im Film gegen ihr übliches Image zu casten. Allen voran Daniel Craig in seinem ridikülen schwarzweiß gestreiften Strampler, nur jene Selbstfälligkeit und Schwäche fürs weibliche Geschlecht sind 100prozentig noch James Bond. Joe Bang, der Name hält, was er verspricht in Bezug auf Tresore, als Gangster ist er nicht unbedingt der Hellste, aber seine jüngeren Brüder Fish und Bang sind an Einfältigkeit kaum zu überbieten, das weiß Joe Bang, doch ohne sie an seiner Seite hätte das Muskelpaket nie eingewilligt. Loyalität wird groß geschrieben in den Familien und gerechte Verteilung der Beute ist nicht verhandelbare Bedingung. So hält es auch Soderberg, 50 Prozent aus den Kartenverkäufen auf dem US-amerikanischen Markt geht an den Produzenten und seine Mitstreiter, alle sind direkt an den Gewinnen beteiligt. Eine Gaunerkomödie als revolutionäres Lehrstück. Doppeldeutigkeit ist Programm, im Hintergrund lauert Hilary Swank als frustrierte FBI-Agentin, die eine Niederlage nie akzeptieren wird.

Die Jungs sind alle herrlich unkultiviert, dadurch unterschätzt der Zuschauer sie permanent. Die Hillbilly-Komödie ist eine Hommage an den kleinen Mann, der auf Veränderung hofft, und den Trump so schändlich betrügt. Der Regisseur zeigt unerwarteten fast rührenden Patriotismus: die Jimmy Logans, es gibt sie, nur sie leben ganz bewusst völlig unauffällig, daran wird auch eine riesige Mülltüte mit Geld kaum etwas ändern. Soderbergh und sein Protagonist wissen, die Wahrheit bringt oft wenig. Natürlich hätte der Bulldozer-Fahrer in der Personalabteilung angeben müssen, dass er hinkt auf Grund einer alten Sportverletzung, beeinträchtigen tat es ihn nie bei seiner Arbeit, doch die Chance auf einen Vertrag wäre gleich Null gewesen. Die großen Träume hat Jimmy längst begraben, konzentriert sich nun ganz auf die kapriziösen Ideen der kleinen Tochter, ein Schönheitswettbewerb steht als Nächstes an. Ansonsten ist Schweigen seine Strategie, denn auch der unverzichtbare Joe Bang wäre nicht mit von der Partie, hätte er geahnt, dass es unvermeidbarer Teil des Coups ist, sich durch eine Art Müllschlucker fallen zu lassen. Manchmal muss man die Menschen zu ihrem Glück zwingen, denkt sich Jimmy, die Dinge beim Namen nennen, wozu? Soderbergh, der Kameramann taucht im Abspann als Peter Andrews auf, als Cutter nennt er sich Mary Ann Bernard.

In anderen Heist-Movies werden ausführlich Pläne geschmiedet, hier glaubt der Zuschauer nur (ebenso wie Joe Bang und Clyde Logan) zu wissen, was abgeht. Weit gefehlt, natürlich das Ziel ist bekannt, der Tresor. Durch ein ausgefeiltes Rohrpostsystem werden die Geldscheine von den verschiedenen Kassen dorthin transportiert. Ein faszinierender Anblick, zwar gibt es Bewegungssensoren, nur die sind ausgeschaltet während der Sanierungsarbeiten in den unterirdischen Gewölben. Seit ihrer Kindheit faszinierten Rebecca Blunt jene zylindrischen Behälter, die man in Druckluftröhren steckte und auf diese Weise verschickt. „Lucky Logan” erzählt eine Geschichte voll unerwarteter Wendungen, scheinbar unwichtige Details sind von entscheidender Bedeutung wie die unbezahlten Handy-Rechnung, Jimmy führt jeden hinters Licht, zu dessen eigenem Besten wohlgemerkt. Der rebellische Bulldozer-Fahrer ist eine Traumrolle für Channing Tatum („Magic Mike”, „Foxcatcher”, „Side Effects”), seine Melancholie versteckt er hinter der Zärtlichkeit für seine Tochter, für die Außenstehenden bleibt er ein Versager, nur der Zuschauer ahnt, wie hart er um alles kämpfen muss, auch die eigenen Kompromisse. Grade seine Unzulänglichkeit macht ihn zum Sympathieträger. Dieser Coup verändert sein Leben, Clyde ist schwer beeindruckt, wie sich der sonst eher unzuverlässige Bruder da reinhängt und starrt voller Bewunderung auf das selbstgebastelte Pappmodell der Rennbahn, es könnte nicht dilettantischer ausschauen, aber dahinter verbirgt sich ein Genie. Clyde hatte Jimmy, den berühmten Football-Spieler früher angehimmelt, seinetwegen ging er in den Irak, auch er wollte ein Held sein, das Scheitern der Brüder, ihre Enttäuschung ist symptomatisch für die USA, deren Politik und Wirtschaftssystem. Unzählige Schicksale und Kuriositäten formieren sich hier zu einem ungewöhnlichen facettenreichen Gesellschaftsporträt. Die betörende komödiantische Leichtigkeit des Films täuscht, Soderbergh meint es ernst. John Denvers Song „Take Me Home, Country Roads” gibt die Richtung an.

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Originaltitel: Logan Lucky
Regie: Steven Soderbergh
Darsteller: Daniel Craig, Channing Tatum, Adam Driver
Produktionsland: USA, 2016
Länge: 119 Minuten
Verleih: StudioCanal Deutschland
Kinostart: 14. September 2017

Fotos, Pressematerial & Trailer: Copyright StudioCanal Deutschland

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