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Film
Als erste Künstlerin erhielt sie eine Diamantene Schallplatte. Lisa Azuelos („LOL”) gelingt mit „Dalida” das scheinbar Unmögliche, eine Annäherung an den Mythos. Die französische Regisseurin und Drehbuchautorin zeigt ihre Protagonistin zwischen Triumphen und Niederlagen, als eine Frau voller Widersprüche: auf der Bühne souverän, glamourös, atemberaubend, privat oft verzweifelt, unendlich einsam, auch wenn die Männer, gleich welchen Alters, sie umschwärmen. Ihre Schönheit, Eleganz, ihr Lächeln, die unvergleichliche Stimme mit dem tiefen, dunklen Timbre und dem rollenden R verzaubert sie alle.

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„Come prima, più di prima...”, wahrscheinlich trügt die Erinnerung an die italienischen Sommer der Kindheit, aber irgendwo spielte während der Sechziger und Siebzigerjahre immer einer ihrer Chansons: in den Jukeboxen der Bars und Cafés, den Autoradios, während man am Hafen auf die Fähre wartete. Morgens früh schon in den engen holprigen Gassen klang aus den Fenstern im obersten Stockwerk jene leicht exotische Stimme mit dem hohen Wiedererkennungseffekt. Erst jetzt habe ich begriffen, das war Dalida. Die Regisseurin entscheidet sich ganz bewusst, entgegen dem augenblicklichen Trend bei Biopics, nicht nur einen Ausschnitt, sondern das gesamte Leben der Künstlerin zu schildern und so beginnt der Film in Kairo. Hier wird die spätere Sängern 1933 als Kind italienischer Einwanderer unter dem Namen Yolande Gigliotti geboren. Der Vater ist erster Geiger an der Oper.

Der Säugling leidet unter einer schweren Erkrankung der Augen, die Mullbinde um den Kopf, das Dunkel macht der Kleinen Angst, sie weint unaufhörlich, allein das Geigenspiel des Vaters beruhigt Dalida. Später in der katholischen Schule wird sie von den anderen Mädchen ständig gehänselt wegen ihrer hässlichen riesigen Brille, bleibt eine Außenseiterin. Wieder ist es nur der Vater, dem es gelingt sie zu trösten. Dann aber wird er vor ihren Augen abgeführt als Kollaborateur der Deutschen und in ein Internierungslager gesteckt. Diesen Verlust überwindet sie nie. Pietro Gigliotti kehrt als gebrochener Mann zurück, er trinkt, ist gewalttätig. Dalida entwickelt sich zur Schönheit, wird 1954 Miss Ägypten, zieht 1955 nach Paris. Doch Lisa Azuelos zwängt dem Melodram keine Chronologie auf, sondern greift als Ausgangspunkt ein Ereignis heraus aus dem Jahr 1967. Dalida (Sveva Alviti) verabschiedet sich am Flughafen, beruhigt den Bruder (Riccardo Scamarcio), die Freunde. Aber sie wird jene Reise nicht antreten. Unter ihrem Mädchennamen checkt sie in dem Luxushotel The Prince of Wales ein, „Bitte nicht stören” sagt das Schild an der Türklinke ihres Zimmers. Sie begeht einen Selbstmordversuch, fünf Tage liegt Dalida im Koma. Später wird die Chansonsängerin mit der ihr eigenen Lakonie sagen, selbst der Tod hätte sie nicht gewollt.

Körperlich erholt sich Dalida, aber die Klinik beharrt auf einer Therapie. Da stehen sie nun, Verwandte, Ex-Ehemann und Freunde, bedrängen den behandelten Arzt, glauben nur sie könnten der Künstlerin aus ihrer Krise helfen. Patzig könnte man darauf antworten, die hatten ihre Chance. Grade sie selbst sind Teil des Problems. Alle zerren an ihr herum, projizieren ihre Erwartungen (besser Bedürfnisse) auf sie, irgendwo möchte sie jeden von ihnen glücklich machen, das ist unmöglich, ohne sich selbst zu verlieren. Vom Leben hat sie eine völlig verklärte Vorstellung, als wäre es ein Teil jenes Traums, von dem sie so oft singt. Die Realität ist, alle wollen an ihr verdienen, ein Schicksal, das sie mit vielen Stars teilt, Zuneigung lässt sich plötzlich schwer von wirtschaftlichen Interessen trennen bei 150 Millionen verkauften Tonträgern. Entdeckt wird sie auf einem Talentwettbewerb im Olympia. Lucien Morisse (Jean-Paul Rouve), Produzent und Direktor des privaten Radiosenders Europe 1 ist hingerissen von ihr und nimmt sie unter Vertrag. Von nun ist er nur noch auf der Suche nach dem perfekten Song für seinen Schützling. „Bambino” ist einer davon, in weniger als drei Wochen sind 300.000 Exemplare der Single verkauft, am 17. September 1957 September wird Dalida als erste Frau mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Die Kritiker nennen sie die „Bardot der Musik”, eine Anspielung auf den Film der berühmten Schauspielerin „...und immer lockt das Weib”.

Es folgt ein kometenhafter Aufstieg. Und Dalida? Sie und Morisse sind nach außen hin das glückliche Paar par excellence. Aber die ewige Träumerin möchte gern nur für ihn da sein, ihn bekochen, Kinder haben, genau das ist das Letzte was Lucien Morisse will, eine Ehe hat er hinter sich, er will kein Heimchen am Herde, sondern einen Star auf der Bühne, alles andere interessiert ihn nicht. Als er dann irgendwann notgedrungen um ihre Hand anhält, die Boulevardpresse dringt darauf, ist es zu spät und die Liebe schon längst zerbrochen. Am 18. April 1961 im Rathaus des 16. Arrondissements in Paris geben sich die beiden trotzdem das Ja-Wort. Nur einen Monat später bei den Filmfestspielen Cannes trifft Dalida in einem Nachtclub auf den jungen polnischen Maler Jean Sobieski (Niels Schneider). Er fragt sie nach ihrem Namen. Endlich einer dem sie gefällt völlig unabhängig von Ruhm und Goldenen Schallplatten. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Die Affäre wird bald von Paparazzi entdeckt. Die Fotos landen auf den Titelseiten der Zeitungen, der Skandal ist perfekt und Lucien Morisse zutiefst verletzt in seinem Stolz. Er droht Dalida: “So schnell wie Du aufgestiegen bist, wirst Du auch wieder verschwinden,” und boykottiert ihre Songs in seinem Sender, setzt alles daran ihre Karriere zu zerstören, die einstigen Bewunderer gegen sie aufzuhetzen.

Was diesen Film so unwiderstehlich macht, ist nicht nur die Stimme Dalidas sondern auch das Talent Sveva Alvitis. Beeindruckend wie die 33jährige italienische Schauspielerin sich in die legendäre Sängerin verwandelt und als Ikone der Popkultur im Scheinwerferlicht zur Chronistin des eigenen Leids wird. Ihre Bewegungen, der Pathos, die Theatralik erinneren ein wenig an die Stars der Stummfilmzeit. Während die Chansons dreier Jahrzehnte mit der Handlung verschmelzen, begreift der Zuschauer zum ersten Mal wirklich die Texte, die Tragweite ihrer Worte, den Schmerz, die Hoffnungslosigkeit („Je suis malade”). Ob Heirat oder Liaison, die Beziehungen enden ohne Ausnahme tragisch. Vor ihrem Auftritt am 6. Dezember 1961 im Olympia ist die Spannung groß, Paris erwartet an diesem Abend das dramatische Ende ihrer Karriere, sie hat gegen die Konventionen verstoßen, wie sie es noch oft tun wird. Das verzeiht man ihr nicht. Dalida ist eine mutige Frau, ihrer Zeit weit voraus, bereit, wenn es sein muss, für die Liebe jedes Tabu zu brechen und doch taugt sie nicht zur Rebellin, nur zu Träumerin. Aber sie besitzt eine ungeheure Kraft, Hartnäckigkeit, denn die muss man haben, wenn kurz bevor sich der Vorhang öffnet, ein Trauergebinde in die Garderobe geliefert wird, auf dem zu lesen ist: „Dem verstorbenen Chanson, lang lebe Edith Piaf”. Diese Momente, wenn sie langsam die Treppenstufen zur Bühne hinaufsteigt, jedes Mal eine Katastrophe hinter sich, und dann zu singen beginnt, lassen den Atem stocken. An diesem Abend des 6. Dezembers verzaubert sie wieder die Menschen, vielleicht mehr als je zuvor, spätestens beim vierten Song „Je me sens vivre”, tobt das Publikum vor Begeisterung. Die Piaf gratuliert und sagt mit einem Lächeln: „Nach mir bist du die nächste”.

Im Sommer 1966 begegnen sich Dalida und Luigi Tenco (Alessandro Borghi) zum ersten Mal am Set einer Fernsehshow in Rom, in der sie mit ihrem Hit „Bang Bang” auftritt. Die beiden nehmen sich gegenseitig kaum wahr, doch im September wird der junge italienische Sänger und Songschreiber Dalida von den Bossen ihrer Plattenfirma vorgestellt. Sie verliebt sich sofort in den jungen launischen Mann mit der heiseren Stimme. Ihre heimliche leidenschaftliche Affäre wird legendär, als Tenco sich erschießt, weil ihr gemeinsam gesungener Wettbewerbsbeitrag „Ciao Amore, Ciao” beim San Remo Festival schon in der ersten Runde von der Jury ausgeschlossen wird. Abends findet Dalida den Geliebten tot in seinem Hotelzimmer. Die Wahrheit über die Beziehung kommt erst nach ihrem Selbstmord zu Tage. Die Chansonsängerin wollte bei Tenco sein, dem Mann, der ihre große Liebe war. Vieles deutet Lisa Azuelos zwischen Rückblicken und Zeitsprüngen nur an, Gefühle und Auftritte gehen ineinander auf, werden zu unvergesslich exquisit schönen Bildern (Kamera: Antoine Sanier), aber man muss sich einlassen können auf diesen opulent rauschhaften Sog aus Farben, Glitzer, Impressionen, Glamour, Verzweiflung, flirrendem Licht, Musik und einer Stimme, die vor Schmerz bebt. Manche Filmkritiker verfügen über ein abrufbares Repertoire an Boshaftigkeiten, wenn ihnen da oben auf der Leinwand etwas nicht gefällt: Soap heißt es dann, Seifenoper, die Protagonistin hätte einen besseren Film verdient, Formulierungen, die mehrmals auftauchten, wohlgemerkt bei verschiedenen Autoren. Ich dagegen glaube, gerade ihr, Dalida, hätte der Film genau in dieser Form gefallen, zu spüren, dass sie nicht allein ist, verstanden wird, nicht nur gefordert, ausgenutzt wie sie oft in ihrem Leben. Das Drehbuch basiert auf Orlandos Biographie „Dalida: Mon frère, tu écriras mes mémoires", die er zusammen mit Catherine Rihoit schrieb.

Azuelos Porträt nimmt dem Ruhm seine Vergänglichkeit, akzeptiert, dass Selbstmord eine andere Art des Abschieds ist. Fabrizio De André, der eng mit Tenco befreundet war, widmete ihm nach dessen Suizid das Lied „Preghiera in gennaio” („Gebet im Januar“), in der zweiten Strophe heißt es dort: „Wenn er die letzte alte Brücke überquert, wird er den Selbstmördern sagen, während er sie auf die Stirn küsst: ‚Kommt ins Paradies, wohin auch ich gehe, denn in der Welt des lieben Gottes gibt es keine Hölle.’“ Während in Frankreich und Italien die Frauen auf die Barrikaden gehen, um für ihre Gleichberechtigung kämpfen, singt Dalida „Amare per vivere” und „Senza di te che posso fare” („Was soll ich tun ohne Dich”), jede Liebe endet als eine verlorene Schlacht ums Glück. Im Ashram sucht sie nach Erleuchtung, doch Swami Prajnanpad überzeugt sie, sich auf ihren Weg der Weisheit zu konzentrieren, die Bühne. Orlando, ihr jüngerer Bruder ist nun ihr Produzent. Nach einer Nacht im Casino und einem Streit mit seiner Frau Agathe erschießt sich Lucien Morisse. Er hatte weiter zu Dalidas engsten Vertrauten gehört. Später gestand sie Freunden, dass sie es bereut hatte, ihn verlassen zu haben. „Wenn man jung ist, begreift man so etwas noch nicht. Aber er war der Mann, mit dem ich hätte alt werden können”. Stattdessen taucht Richhard Chanfray 1972 in ihrem Leben auf. Er stellt sich ihr als Wiedergeburt des Grafen von Saint-Germain vor. Geboren sei er vor 1.000 Jahren. Es sind turbulente Jahre, die sie miteinander verbringen. Eines Abends erschießt er im Haus in Montmartre einen Fremden, den er fälschlicherweise für einen Einbrecher hält. Am 20. Juli 1983 begeht Richard als dritter Mann in Dalidas Leben Selbstmord.

Die Künstlerin lässt sich auf kein Image festnageln, was immer ihr die Männer vorschreiben wollen, hier kann sie sich ganz auf ihr Gespür verlassen. „Gigi l’amorosa” dauerte acht Minuten, verstößt gegen jede Regel der gängigen Popmusik. Das Publikum ist hingegrissen. Die Kritiker vergleichen den Song mit einem Theaterstück, wie Marcel Pagnol es hätte schreiben können und mit einem Film, wie Vittorio de Sica ihn hätte inszenieren können. In dem von Pascal Sevran, Pascal Auriat und Serge Lebrail geschriebenen Text des Songs „Il venai d’avoir 18 ans” versteckt sich eine wahre Liebesgeschichte, von der nur wenige wussten. Im Dezember 1967 lernte Daida einen jungen Italiener namens Lucio (Brenno Placido) kennen, der sie in vielem an Luigi Tenco erinnerte. Aus ihrer Freundschaft entwickelt sich Liebe, nur Lucio ist zwölf Jahre jünger als sie. Als sie von ihm schwanger wird, entschließt sie sich, das Baby nicht zu behalten, von der Schwangerschaft erfuhr er nie. Keine Entscheidung hat Dalida so bereut wie diese, nach der Abtreibung erfährt sie, dass sie nie wieder Kinder bekommen kann. Die Chansons sind ein Spiegel ihrer Seele, der Höhepunkt des Films ist Serge Lamas Coverversion „Je suis malade”, sie schreit, weint ihr Elend und ihren Schmerz heraus. Mit diesem Song hatte sich Sveva Alviti auch um die Rolle beworben und die Regisseurin zu Tränen gerührt. Als Dalida bei der Vereidigung ihres Freundes Francois Mitterand zum Präsidenten in der ersten Reihe steht, rufen viele Journalisten dazu auf, sie zu boykottieren. Die Sängerin entschließt sich zu einer Tournee in Übersee, die 18 Monate dauern wird.

Bei einer Reise nach Ägypten besucht Dalida am 29. September 1986 in Choubra das Le Moderne, jenes Kino, in dem sie als Kind von einer Karriere als Schauspielerin träumte. Der Traum ist Wirklichkeit geworden. „Der Sechste Tag” von Regisseur Youssef Chahine hat hier Premiere. Sie spielt die Hauptrolle. In Frankreich kommt der Film am 16. November ins Kino, die Kritiker feiern ihn, doch Zuschauer lockt er nur wenige ins Kino. Dalida verkriecht sich immer mehr, den Menschen um sie herum entgeht nicht, dass etwas in ihr zerbrochen ist. Sie hat ihren Selbstmord minutiös geplant. Am 3. Mai 1987 schaltet sie zum ersten Mal das Licht im Schlafzimmer aus, sie hatte sich immer vor der Dunkelheit gefürchtet. Auf dem Nachtisch hinterlässt sie eine Nachricht: „Das Leben ist unerträglich geworden. Bitte verzeiht mir.”

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Originaltitel: Dalida
Regie / Drehbuch: Lisa Azuelos
Darsteller: Sveva Alviti, Riccardo Scamarcio, Jean-Paul Rouve
Produktionsland: Frankreich 2016
Länge: 127 Minuten
Verleih: NFP marketing & distribution
Kinostart: Angelaufen am 10. August 2017

Fotos, Pressematerial & Trailer: Cpyright NFP

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