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Film

Virginia 1864, seit drei Jahren tobt der Sezessionskrieg, aber in dem Mädchenpensionat von Martha Farnsworth (Nicole Kidman) scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Auch wenn viele Schülerinnen zu ihren Eltern zurückgekehrt sind, an den täglichen Ritualen hat sich hier nichts geändert. Die verbliebenen fünf Schützlinge werden von der Direktorin und ihrer Französischlehrerin Edwina (Kirsten Dunst) eingewiesen in die Etikette einer Gesellschaftsordnung, die längst zum Untergang verurteilt ist. Dienstboten gibt es keine mehr, der Staub tanzt im Sonnenlicht, die pastellfarbenen Kleider verlieren langsam an Farbe. Der Garten verwildert zum paradiesischen Refugium, Louisiana Moos hängt von den Bäumen, die Rosensträucher werden zum undurchdringlichen verlockenden Dickicht, die Luft flirrt vor Hitze, nur in der Ferne Kanonendonner, übertönt wird er vom Trillern und Zwitschern der Vögel, dem Zirpen allgegenwärtiger Zikaden. Der abgelegene herrschaftliche Landsitz hat etwas seltsam Unwirkliches, wie ein Mikrokosmos in duftige Gaze gehüllt.

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Die 11-jährige Miss Amy (hinreißend Oona Laurence) entdeckt beim Pilze Suchen im Wald einen schwer verwundeten Yankee-Soldaten. Korporal John McBurney (Colin Farrell) gelingt es mit seinem geheimnisvollen Charme, die Kleine zu überreden, ihn mitzunehmen ins Internat. Die Direktorin ist bei seinem Anblick bestürzt, will den Feind sofort der Konföderierten übergeben, aber dann siegt christliche Barmherzigkeit oder vielleicht Neugier über ihre Skrupel. Sie will ihn als Gast akzeptieren, solange sein Gesundheitszustand es erfordert und quartiert den Patienten im Musikzimmer ein, flickt das aufgeschlitztes Bein zusammen, auf Handarbeit versteht sie sich. Als McBurney eingeschlafen ist, wäscht sie ihn behutsam mit einem Schwamm, zögert, als sie seine Hüfte berührt. Ein leichtes Zittern, ein unterdrückter Seufzer, bezaubernd und delikat erotisch. Die Tür des Musikzimmers verschließt Miss Farnsworth, als wäre es ihre persönliche Schatztruhe, doch trotz gegenteiliger Anweisungen, von nun an finden die Mädchen ständig einen Grund den Raum zu betreten. Abgesehen von Henry, Amys Schildkröte, ist der Soldat das einzige männliche Wesen für sie, und jede von ihnen fühlt sich wie magnetisch von ihm angezogen. Kameramann Philippe Le Sourd („The Grandmaster”) etabliert in der beängstigenden Monotonie des Alltäglichen seine schwelgerischen exquisiten Tableaus, dokumentiert akribisch die Spuren von Verfall und Dekadenz, das Unheil ist unterschwellig schon präsent. Eine diffuse sonderbare Leere umgibt die Akteure wie einst die Lisbon Schwestern in „Virgin Suicides”.  

Colin Farrell in der Rolle des geflüchteten Soldaten ist kein obszöner Manipulator, kein draufgängerischer Aufreißer ganz anders als Clint Eastwood damals. Der war mehr sexistischer Teufel als dreister Macho, nahm sich, was er wollte, spielt die Frauen brutal infam gegeneinander aus, erniedrigt, quält, das Leiden seiner Opfer bereitet ihm grenzenloses Vergnügen. Nur die Tatsache, dass er im weißen Nachthemd durch die Gänge geisterte, verbitterte seine eingefleischten Fans, es passte ihrer Ansicht nicht zum gewohnten Haudegen-Image. Ob französische Revolution oder amerikanischer Bürgerkrieg Sofia Coppola befreit ihre Protagonisten von ideologischem Ballast und politischer Verantwortung, selbst der Vergangenheit. Sie urteilt nie, tritt dem nächtlichen Gast an der Hotelbar des Park Hyatt Tokyo („Lost in Translation”) genauso unvoreingenommen gegenüber wie der missmutigen Königin im Schloss Versailles („Marie Antoinette”). Das Schafott kann die Regisseurin ihr nicht ersparen, aber eine neue Perspektive auf sie eröffnen. Und so ist der Korporal ein Ire, grade erst aus Dublin eingetroffen, der sich als Söldner für 300 Dollar verdingt hat, also kein richtiger Deserteur oder gar Feigling, nur jemand, der Angst hat, einfach überleben will. Er wirkt vertrauenswürdig dort auf seinem Krankenlager, strahlt etwas zurückhaltend Ritterliches aus. Mit dem Charme des Gentleman-Prolls schmeichelt er sich bei den weiblichen Wesen ein, sagt wenig, stellt sich ganz auf deren Sehnsüchte und Temperament ein. Er ist mehr Projektionsfläche als obskures Objekt der Begierde. Jede glaubt die Auserwählte zu sein, selbst die kleine Amy. Doch irgendwann wird seine List zum Bumerang. 

Die 46jährige Regisseurin widersetzt sich auch in „Die Verführten” der üblichen Dramaturgie von Thriller oder Melodram, trotzdem packt uns das vielschichtige Southern Gothic-Epos wie ein früher Hitchcock, es hat seine ganz eigene poetische fiebrige ‚Suspense’ ähnlich dem Soundtrack der Indie-Pop-Band ‚Phoeni’. Wieder sind die Räume, also das Äußere, Zugang zum Inneren der Protagonisten. Privilegien, Erfolg oder Überfluss spenden keinen Trost, sondern erdrücken die Akteure. Coppolas Geschöpfe fühlen sich als Gefangene. Es geht in jedem ihrer Filme um das Leben, was einem verwehrt wird, das Traum oder Erinnerung bleiben muss. Chronik des gescheiterten Ausbruchs. Don Siegel prangerte mit seiner reißerischen Groteske nach Exploitation-Manier das Pensionat als Hölle gehässiger bigotter Bitches an, verrückt geworden durch die Unterdrückung ihrer Triebe. Sofia Coppola beherrscht die Ökonomie der Gefühle. Sie schildert die Südstaaten-Welt aus weiblicher Sicht. Die Aura der Unschuld löst sich langsam auf. „Ob er Vögel mag”, fragt Amy den Koporal. „Ich liebe alles, was wild ist”, erklärt er ihr. Die Worte wird er bereuen. Die Idylle ist weniger trügerisch als komisch, ein Festmahl wird aufgetischt, die Frauen putzen sich heraus, schnüren die Korsette noch enger als sonst, werden zu eifersüchtigen Konkurrentinnen, stellen ihre Reize bei Kerzenschein unerwartet freizügig zur Schau. Miss Farnsworth ermahnt die Zöglinge, aber ein Schal kann das Verlangen kaum kaschieren, zu lange haben sie ihren Sehnsüchten entsagen müssen, Jahre quälender Langeweile und Eintönigkeit zwischen Bibelstunden, Französischlektionen und strikter Moral. Die boshafte Teenager-Göre Alicia (Elle Fanning) sendet begehrliche Blicke Richtung McBurney: „Ich hoffe, Sie mögen Apple-Pie”. Der Korporal mag nicht nur Apple-Pie, sondern er kann auch den Reizen der hübschen Lehrerin Edwina (Kirsten Dunst) nicht widerstehen. Sie hält ihn für einen Seelenverwandten, der sie endlich aus ihrem tristen, so verhassten Dasein errettet. Im Gegensatz zu „Betrogen” geht es hier um mehr als körperliche Nähe: Zuwendung, Freiheit, Flucht, Selbstrealisation.

Das Bein ist verheilt, die Trennung naht, McBurney platzt heraus mit dem Geständnis seiner Liebe, es rührt uns erschreckend wenig, doch dann der Moment des Betrugs, seines Verrats. Es folgt ein Treppensturz, der Griff zur Pistole. Sofia Coppola machte keine Tragödie daraus, mit entschlossener Beiläufigkeit amputiert Miss Farnsworth ganz unnötig das Bein des Korporals, was sie vor kurzem noch so liebevoll versorgte. Strafe eines Racheengels und der grausige Akt symbolischer Kastration. Wer in dem Netz der Verführung Spinne oder Opfer ist, wechselt. Die Solidarität unter den Frauen kehrt spätestens dann zurück, als es an die Beseitigung des Gegners geht. Grandios Nicole Kidmann als Martha, hin- und hergerissen zwischen widersprüchlichen Gefühlen, verliert sie nie ihre selbstverständliche Souveränität und Überlegenheit. Dominierte bei Don Siegel der Mann, hier ist sie es, die überzeugte Moralistin. In Cannes auf dem Festival wurde Sofia Coppola mit dem Preis für die Beste Regie ausgezeichnet, dort, wo man sie einst wegen „Marie Antoinette” ausgebuht hatte.  

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Originaltitel: The Beguiled 
Regie / Drehbuch: Sofia Coppola  
Darsteller: Colin Farrell, Nicole Kidman, Kirsten Dunst  
Produktionsland: USA, 2016 
Länge: 93 Minuten 
Verleih: Universal Pictures Germany 
Kinostart:  29. Juni 2017

Fotos & Trailer: Universal Pictures Germany

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