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Film

Im Gegensatz zu seiner Frau Claire (Laura Linney) grauste Paul vor dem Ausflug in den edlen Gourmet-Tempel. Seine ostentativ sozialkritische Haltung gepaart mit Eloquenz beeindruckt, der Zuschauer war anfangs überzeugt, an ihn, den Provokateur, müsse er sich halten als moralische Instanz. Der in New York lebende israelische Drehbuchautor und Regisseur Oren Moverman („The Messenger”) ist ein begnadeter Erzähler: er sprengt das elegante Kammerspiel mit unerwarteten Rückblenden, verblüffenden Wendungen. Lange lässt er sein Publikum im Unklaren, worum es überhaupt geht, spannt uns auf die Folter mit immer neuen, verwirrenden Andeutungen. Dann taucht Stan Lohman (Richard Gere), Pauls Bruder auf, einflussreicher Abgeordneter mit Ambitionen auf den Gouverneursposten. Sein entwaffnender Charme scheint verdächtig, aber das täuscht. Derweil schmollt Katelyn (Rebecca Hall), die blutjunge Politiker-Gattin, sie ist zutiefst verletzt, mit ihr will der ältere Ehemann keine Kinder haben.

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Ungünstiger Zeitpunkt also für ein harmonisches Candle-Light-Dinner: der Abgeordnete steht kurz vor der entscheidenden Abstimmung über seinen Gesetzesvorschlag zur staatlichen Übernahme von Behandlungskosten bei psychischen Erkrankungen. Noch fehlen einige Stimmen, andauernd taucht Stans Assistentin auf mit dem Smartphone in der Hand, Entscheidungen müssen hier und jetzt getroffen werden. Schon seit frühster Jugend betrachtet Paul seinen Bruder als Erzfeind und tödlichen Rivalen. Er stand, so glaubt er zumindest, zu Unrecht in dessen Schatten. Alles drehte sich immer allein um den attraktiven Überflieger, auch an diesem Abend im Restaurant behandelt man ihn, den Lohman ohne gesellschaftlichen Glamour, mit offensichtlicher Herablassung. Grandios Steve Coogan in der Rolle des arroganten Querulanten, der verbittert und überheblich auf Moral pocht, die er selbst ethisch eher als lästig empfindet. Er zelebriert seinen Status als Geächteter. Per Voice-over doziert er über die Antike und die Dekadenz der letzten Jahrhunderte. Kaum etwas, und schon gar nicht das digitale Zeitalter, findet in seinen Augen Gnade, er redet alles in Grund und Boden. Der Zuschauer begreift langsam, aber zu spät, man hat dem Falschen vertraut. Paul hat deutliche Züge eines Soziopathen, seine große Obsession ist Gettysburg, das blutige Schlachtfeld amerikanischer Geschichte, für ihn Inbegriff menschlicher Niederlage.

Während der Zuschauer recht ahnungslos durch gefährliche Seelenlandschaften stolpert, wird er immer wieder überrumpelt. Falsche Fährten locken ihn in die Irre, nicht die Täter, sondern er selbst fühlt sich überführt, zumindest vorschneller Schlussfolgerungen. Irgendwann verlangt der Abgeordnete nach Stunden von Small Talk und nebensächlichen Scharmützeln, dass endlich einmal die ganze Wahrheit auf den Tisch kommt. Es geht um die 16jährigen Söhne von Stan und Paul. Michael (Charlie Plummer) hat im Beisein von Rick (Seamus Davey-Fitzpatrick) nachts eine hilflose schwarze Obdachlose verprügelt und dann angezündet. Die Frau ist verbrannt. Ein Video existiert, zeigt die Tat in all ihrer Grausamkeit. Die Polizei ermittelt, doch noch ahnt keiner dort, wer die beiden Jungen sind. Die verwöhnten Kids fühlen sich mehr als Opfer denn als Täter. Das Erschreckende in „The Dinner” ist die Abwesenheit jeglichen Mitleids bei Eltern wie Kindern. Trotzdem fordert der integre Politiker alter Schule, dass sich die Jungen stellen, er ist bereit von seinem Amt zurückzutreten, plant schon eine Pressekonferenz. Die anderen sind entsetzt. Verdrängen, vertuschen heißt ihre Strategie. Ein erbitterter Kampf beginnt. Die überfürsorglichen Mütter weigern sich, die Fakten zu akzeptieren, sind nur zu gern bereit, die Lügen ihrer angeblich so braven Zöglinge glauben, die behaupten, sie wären angegriffen worden, hätten sich nur gewehrt. Die Bilder sagen das Gegenteil.

Das süffisante Lächeln des Sechzehnjährigen, wenn er das Streichholz anzündet, ist unerträglich, man kann es nur schwer vergessen. Der Junge aus gutbürgerlichem Haus hält sein Handeln für gerechtfertigt: da liegt eine, seiner Ansicht nach, jämmerliche stinkende Kreatur vor dem Geldautomaten, Abschaum, ein störendes Element, warum schläft die da, was hat sie da verloren? Michael ist sich keiner Schuld bewusst, das Ganze war für ihn ein Riesenspaß. Menschenverachtung pur. Hat Paul seinen Sohn zum Monster erzogen? Ein perverser Stellvertreter? Irgendwo schon. Oder hat der Junge vielleicht die Veranlagung seines Vaters geerbt? Kann sein. Die Rückblenden lassen beide Schlussfolgerungen zu. Der verkrachte Geschichtslehrer verliert leicht die Kontrolle, neigt zur Brutalität. Jetzt hat er heimlich seine Psychopharmaka abgesetzt, ohne die wird er zur tickenden Zeitbombe. Claire applaudiert, so liebt sie ihren Mann, der Wahnsinn ist Teil von ihm, sie mag nicht darauf verzichten, auch wenn sie ihn sonst behütet wie ein ramponiertes Vögelchen, das grade aus dem Nest gefallen ist. Ihre schwere Krebserkrankung und sein berufliches Scheitern macht sie unzertrennlich. Michael dagegen verachtet den Vater, dessen Schwäche, um so entschlossener wird sich Paul für ihn einsetzen. Alte Konflikte brechen auf, neue Allianzen bilden sich, Gewalt ist wie eine heimliche Drohung immer präsent auch auf den Nebenschauplätzen. Trophy Wife Katelyn fürchtet um ihren sozialen Aufstieg, sie hat einen zukünftigen Gouverneur geheiratet, was soll sie mit einem ridikülen ältlichen Moralisten? Richard Gere in der Rolle des rechtschaffenen Konservativen hat den weniger spannenden Part erwischt im Gegensatz zu Coogan. Aber er ist irgendwie perfekt besetzt, nicht ohne Ironie, umgibt den Schauspieler doch auch als Privatmann immer diese Aura von Integrität und sozialen Engagement.

Die Familien als Mikrokosmos der Gesellschaft. „The Dinner” ist eine sehr freie Adaption von Herman Kochs internationalem Besteller „Angerichtet”. Geschickter noch als der niederländische Schriftsteller reicht Regisseur Moverman die Entscheidungen der Protagonisten an den Zuschauer weiter. Wie weit geht man, um die eigenen Kinder zu schützen? Wollen wir wirklich für die Gerechtigkeit unsere Zukunft opfern, wo doch allein der Schein zählt. Der brisante hochintelligente Thriller wird zur moralischen Falle. Jede Ebene im Film entwickelt ihre ganz eigene unverwechselbare Ästhetik. Das Drama spielt mit der Trend-Euphorie des ‚Food Porn’, jene glamouröse Zurschaustellung von Essen durch superästhetisierte Fotografie. Die spektakulären Detailaufnahmen und aufwendigen Arrangements entlarven unsere Welt in all ihrer Künstlichkeit und Dekadenz, Lifestyle hat sich längst verselbstständigt. Kameramann Boby Bukowski („The Messenger”) setzt es bewusst ein als Gegenstück zu den Touristikattraktionen des National Military Parks von Gettysburg, den Stan und Paul durchqueren auf der vergeblichen Suche nach Gemeinsamkeit. Verglichen mit Nichols’ „Wer hat Angst vor Virginia Woolf” oder Polanskis „Der Gott des Gemetzels”, gehen Movermans Pointen tiefer, treffen besser, sind politischer und aktueller, in diesem Fall ist er der talentiertere Filmemacher. Allein wie aus Pauls Hass auf den Bruder Stan sich der Hass auf dessen in Kenia geborenen Adoptivsohn Beau (Miles J. Harvey) entwickelt, lässt einen erschaudern. Die Situation eskaliert, es gibt einen unliebsamen Zeugen, Michael und Rick werden erpresst, sie sollen für das Schweigen zahlen.

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Originaltitel: The Dinner
Regie / Drehbuch: Oren Moverman
Darsteller: Richard Gere, Steve Coogan, Laura Linney, Rebecca Hall
Produktionsland: USA, 2016
Länge:120 Minuten
Verleih: Tobis Film
Kinostart: 8. Juni 2017

Fotos & Trailer: Copyright Tobis Film

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