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Film

Es war nicht das Plattengeschäft, was die Stooges großmachte. Die Fachpresse verfolgte ihre Auftritte anfangs mit Misstrauen, schien jene skandalträchtigen Vulkanausbrüche aus tiefsten Herzen zu verachten. (Immer peinlich mit dergleichen Fehleinschätzungen später konfrontiert zu werden.) Die chaotische wilde Rasselbande opponierte gegen das Establishment. Ihre Haltung und musikalischer Nonkonformismus begründet eine Subkultur, die ganze Generationen aus ihrem spießbürgerlichen Dornröschenschlaf schreckte. Auch Jim Jarmusch gehörte dazu, das war lange bevor er zur Ikone des Independent-Films („Stranger than Paradise”, „Only Lovers Left Alive”) avancierte. Iggy Pop wuchs in einer Wohnwagensiedlung nahe Ann Arbor, Michigan auf. Früh entdeckte der Youngster sein Faible für jede Art von Lärm, über das Drumkit kam er zur Musik. Die Eltern räumten bereitwillig das Schlafzimmer, um ihrem Sohn Platz fürs Schlagzeug zu machen.

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Woher nahm der „zähnefletschende Leopard” seine ersten Inspirationen? Die Kinderserien im Fernsehen sollten den Künstler auch später noch beeinflussen. Besonders angetan hatte es ihm die Figur Clarabell der Clown, weil man nie wusste, was er als nächstes tun würde. Der junge James Osterberg liebte den Komödianten Soupy Sales, der Briefe seiner kleinen Zuschauer vorlas, es gab aber die strikte Regel, sie durften nie länger als 25 Wörter sein. Es war eine der wenigen Grenzen, die sich Iggy Pop künstlerisch setzte: kurze Songtexte. Mit der Schule besuchte er die Stahlwerke von Ford. „Eine Maschine macht einen Riesenlärm, es gab einen Megaknall, ich fand, wir sollten auch davon was in unseren Songs haben.” Jim Jarmusch geht mit seinem Protagonisten behutsam um, außen vor bleiben die obligatorischen Geschichten über Drogen, Streits innerhalb der Band, Exzesse, Sex, Selbstverletzungen mit Glasscherben, hier fließt kein Blut, wird nicht auf den Boden gekotzt oder davon berichtet. Auch wenn Iggy selbst gern und gelassen über die eigenen Unzulänglichkeiten spricht: „Wir fuhren kreuz und quer durch Amerika und gaben miese Konzerte. Manchmal konnte ich noch singen, manchmal nicht. Wir machten die Leute wütend.” O-Ton einer Archivaufnahme aus den Siebzigern: „Danke an die Person, die mir die Flasche an den Kopf geworfen hat. Ich habe es wieder überlebt. Versucht es nächste Woche noch mal.”

Tabus brechen gehörte zum Programm der Bühnenauftritte und war absolutes Novum. Songs wie „I Wanna Be Your Dog” und „No Fun” schlugen wie eine Bombe ein. Die Fans lernten auszurasten, sie genossen es, wenn sich der sehnige muskulöse Sänger mit seinem legendären Dive in die Menge stürzte, von ihr getragen, gefeiert und auch wieder fallen gelassen wurde. Was für ein Body, welch animalische Energie! Das lässt selbst einen Mick Jagger lahm aussehen.” Der Pionier des Punkrock drückt es prosaischer aus: „Ich hüpfte auf und ab wie Paviane es tun, bevor sie kämpfen.” Als James Newell Osterberg noch nicht als Iggy Pop zum anarchistischen Bürgerschreck mutiert war, verdingt er sich zunächst als Schlagzeuger in verschiedenen Bands und arbeitet bei Discount Records, ist begeistert von Harry Parch, John Cage, Carl Orff und John Coltrane. Der Blues packt ihn, er reist nach Chicago, der Siebzigjährige erinnert sich: „Ich rauchte einen Joint am Fluss und begriff, ich war kein Schwarzer.” 1967 gibt der Sänger mit den Gründungsmitgliedern Ron (Gitarre) und Scott Asheton (Schlagzeug) und Bassist Dave Alexander das erste The Stooges-Konzert. Im Vorprogramm der MC5 wird wenig später Musik-Manager Danny Fields auf die Band aufmerksam und überzeugt Elektra Records, sie unter Vertrag zu nehmen.

„Gimme Danger” ist ein verspieltes unprätentiöses Puzzle aus Interviews, Statements und Archivmaterial, wundervollen historischen Konzertausschnitten jener frühen Jahre der Stooges. Die Qualität der Aufnahmen ist manchmal grauenvoll, aber die Stimmung, die gnadenlose raue Intensität der Band und ihre Erotik kommt grade so perfekt rüber. Unter großer Mühsal hat Jarmusch das Material aufgespürt aus einer Epoche, wo Technik noch nicht den Alltag dominierte. Der Regisseur integriert Spielfilmszenen in die Handlung, Ewan McGregor in seiner Rolle als Curt Wild aus Todd Haynes „Velvet Goldmine”. Bei einem Fernsehauftritt antworte Iggy auf die Frage „Glauben Sie, dass sie andere Leute beeinflusst haben?” der blonden bestechend biederen Moderatorin: „Ich habe dazu beigetragen, die Sechziger auszulöschen.” Als Füllmaterial oder Bindeglied zwischen den verschiedenen Ebenen, Vergangenheit und Gegenwart fungieren Comic Animationen. Der Protagonist, damals wie heute, ist umwerfend authentisch, Iggy Pop, das ist keine Kunstfigur, das ist Überzeugung pur: „Wir waren echte Kommunisten, wir lebten zusammen in einem gemeinsamen Haus, wir teilten alles Geld, und als wir anfingen, Songs zu schreiben, teilten wir die Urheberrechte”. Wer damals schon Teenager sein durfte, entsinnt voller Melancholie, es gab sie wirklich diese herrlich unaufgeregten Männer, cool, kreativ, selbstverständlich kommunistisch orientiert, sie waren nicht vom Ehrgeiz zerfressen, hager, aufgeschossen, trugen die obligatorischen Lederhosen genau wie Iggy, der Film beschwört den Zeitgeist der Sechziger- und Siebzigerjahre.

Das berühmte Hundehalsband entdeckte der „Godfather of Punk” durch Zufall im Schaufenster einer Tierhandlung. Für den nackten Oberkörper entschied er sich auf Grund eines zweitklassigen Hollywoodfilms über den ägyptischen Pharao. Bei anderer Gelegenheit offeriert er als Erklärung, in einem Hemd fühle er sich verloren. In den besten Momenten hat der Film etwas von einem intimen Tagebuch, wenn Iggy erzählt, wie reiche Kids an dem Trailer seiner Familie rüttelten und ihn verspotteten. Er schwor nicht Rache, aber sagt: „Ever since I’ve been out to get ’em.” (Seit dem Tag bin ich darauf aus, sie mir zu schnappen). Und das Funkeln in seine leuchtend blauen Augen ist dieses Mal weniger liebevoll lakonisch. Mit Songs wie „Lust for Life” oder „Search and Destroy” schrieb Iggy Musikgeschichte. Manche Texte waren konkret politisch, richteten sich gegen den Vietnamkrieg, andere thematisierten die Entfremdung innerhalb einer industrialisierten Gesellschaft, in der Gefühle längst zermalmt wurden. Radikaler als The Stooges war nur die Rockkommune MC5, deren Manager John Sinclair die White Panther Party gründete. Parteipolitik passte nicht ins Selbstverständnis von Iggy Pop, da hielt er sich lieber raus und schlug zur Ablenkung ein paar Purzelbäume. Ihre Band waren idealistisch doch auf anderer Ebene, nicht dass Iggy etwa Angst hatte, eins in die Fresse zu kriegen, wie auf der Pressekonferenz in Cannes betonte, das passierte damals eh bei jedem vierten Gig.

„Ich will nicht zu den Glamour-Leuten gehören,” erklärt Iggy Pop, „nicht zu den Hip-Hop- und TV-Leuten, nicht zu den Alternativen. Ich will kein Punk sein. Ich will einfach sein.” Die Idee für den Film ging von ihm aus. Er und der amerikanische Autorenfilmer sind seit langem Freunde, sie kennen sich seit Ende der Siebzigerjahre, als Jarmusch sich der Punkszene im East Village anschloss und in der No-Wave-Band The Del-Byanteens einstieg. Musik und Musiker spielen in fast allen seinen Filmen eine Hauptrolle. Iggy Pop trat in „Dead Man” (1995) auf und in einer der amüsantesten Episoden von „Coffee and Cigarettes” (2003). „Gimme Danger” beginnt mit dem Zerfall Gruppe, die vom Exzess geprägt ist, und endet mit ihrer Bühnen-Reunion 2003. Mehr als einmal standen die Stooges mit dem Rücken zur Wand. Der Tod wird Teil ihrer Biographie, unser Protagonist der letzte Überlebende jener Extremband mit autoaggressivem Organismus. Seine Energie ist ungebrochen, aus dem schrillen Scream ist ein dunkler rauer Bariton geworden. Was ihm hier fehlt bei den Dreharbeiten ist das Publikum, das putscht ihn auf, er wird dann noch um vieles (selbst-) ironischer wie bei der Lecture der Red Bull Academy 2016 in Montreal, dort war jeder Satz ein Bühnenauftritt.

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Originaltitel: Gimme Danger
Regie / Drehbuch: Jim Jarmusch
Mit Iggy Pop, Ron Asheton, Scott Asheton
Länge: 108 Minuten
Produktionsland: USA, 2016
Kinostart: 27. April 2017
Verleih: StudioCanal Deutschland

Fotos & Trailer StudioCanal Deutschland

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