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Film

Langsam senkt sich der Bühnensteg wie eine Zugbrücke über den Zuschauern, das Gladiatoren-Epos zuckt in statischen Interferenzen, die sechs Helden marschieren ein als Steampunks, Ritter, Heizer, öliger Rächer. Der metallische Zirkus des Schreckens hat begonnen. Das Publikum verwandelt sich für die nächsten 98 Minuten zur schwarzen anonymen Masse, nur die Handylichter geistern durch das Dunkel, ihre Stimmen werden zum diffusen Echo von Till Lindemanns teutonenhaften donnernden Versen, die er uns entgegen schleudert. Das internationale Markenzeichen des heute vierundfünfzigjährigen Frontsängers und Textdichters aus Leipzig bleibt sein gutturales rollendes R. Stimmlage: Bariton oder Bass. “Wollt ihr das Bett in Flammen sehen – Wollt ihr in Haut und Haaren untergehen- Ihr wollt doch auch den Dolch ins Laken stecken – Ihr wollt doch auch das Blut vom Degen lecken.” Lindemanns grell geschminkter, manchmal fast clownesker Mund öffnet sich in Nahaufnahme wie ein furchterregender Höllenschlund, der alles ausspeit oder verschlingt, Angst, Hass, Liebe, Begierde, Gewalt, Mitleid. Mal Täter, mal Opfer, die Rolle wechselt, zwischen muskulösem Kreuzritter oder übergewichtigem Proll, Gegenwart und Vergangenheit.

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Till Lindemann kam in der DDR zur Welt, der goldene Westen, er blieb ihm und wahrscheinlich auch den anderen Mitgliedern der Neuen Deutschen Härte Band bis heute als moralische Instanz suspekt. Ihren Ursprung verleugnet Rammstein nicht, im Gegenteil. Songs wie “Du- Du hast- Du hast mich- Du mich gefragt- Du hast mich gefragt, und ich hab nichts gesagt” lassen viel Raum zur Interpretation in jede Richtung – auch die falsche. Es geht um Homosexualität („Man gegen Mann”), BDSM („Bück Dich”), Gewalt, Nekrophilie, Inzest, Sextourismus, Auferstehung („Warmer Körper - Heißes Kreuz - Falsches Urteil - Kaltes Grab”), Pyromanie (Feuer frei!). Kein faschistischer Diktator hätte seine Freude an diesen rebellischen linken Brandstiftern. Doch wenn in der Heimat, Flüchtlingsheime angezündet werden, glaubt mancher Kritiker hier den Ursprung allen Übels. „Meine Welt besteht aus Blut und Feuer”, sagt George Millers Protagonist in „Mad Max: Fury Road” gleich zu Anfang des post-apokalyptischen Epos. Das sind auch die Urelemente von Rammstein. Lindemann setzt sie gezielt und künstlerisch virtuos ein als Teil seiner radikalen Poesie. Blut fließt in Strömen, Rauch und Feuer machen die Lieder zum existenziellen körperlich erfahrbaren Abenteuer.

Åkerlunds Konzertfilm mit 16 Songs aus dem Repertoire ist eine expressionistische irrwitzige Choreographie über Macht und Ohnmacht unserer Gesellschaft. Doch bei Spiegel online heißt es: „Die Volksbühne erlebt ihr letztes popmusikalisches Großereignis in der Ära von Frank Castorf. Schade, dass die Premiere des Films „Rammstein: Paris" alles entwertet, wofür das Haus einmal stand.” Die Rockband wird als „Urszene von Pegida und AfD bezeichnet.” Etwas Grauenvolleres lässt sich heute wohl kaum über Künstler sagen. Es war schon in der Weimarer Republik eine deutsche Schwäche, Gefahren und Gegner falsch einzuschätzen. Nur gut, dass es jemanden gibt wie den slowenische Philosophen und Kulturkritiker Slavoj Žižek, der in „Zeit online“ am 6. März 2008 schrieb: „Rammstein unterlaufen die totalitäre Ideologie nicht durch ironische Distanz, sondern durch Konfrontation mit der obszönen Körperlichkeit der ihr zugehörigen Rituale und machen sie damit unschädlich.“ Ihn erinnert ihr Umgang mit dem Nationalsozialismus an die sinnlose Rede der Hitler-Figur Adenoid Hynkel aus Chaplins Film „Der große Diktator” (1940).

Goethes „Erlkönig”, Fontanes „Effie Briest”, Bertolt Brechts „Dreigroschenoper”, Lindemann bedient sich gern bei deutschen Klassikern, er adaptiert, entleiht, verfremdet, spielt mit Worten. Stilistisch sind die Texte trotz aller Doppeldeutigkeit bewusst einfach und plakativ in ihren Allegorien, und doch zugleich intellektuell abgesichert. Ironie oder Überzeugung, Realität oder Provokation, es bleibt offen. Das Verbotene ist verführerisch, der Schrecken betörend, überall lauern Gefahren, die größte ist vielleicht die eigene Lächerlichkeit. Der Macho wird nicht verherrlicht, wenn sich aus einem Riesenphallus das schaumige Sperma ins Publikum ergießt, es ist eine verwegene pompöse Welt aus Schall und Rauch, Illusionen und Obsessionen, Spiegel unserer Seele. Die dröhnende brachiale Bass-lastige Musik schärft die Sinne, erhöht unsere Konzentration. Hier darf man sich auch nichts entgehen lassen, die sechs Bandmitglieder sind grandiose Schauspieler. Mit den Jahren wurde die Show immer differenzierter und anspruchsvoller, mehr Operninszenierung als Rockkonzert: Requisiten, Kostüme, Schminke, überall Symbolik dunkler Romantik, die Rollen wechseln ständig zwischen Exzess und Walhalla. Rammstein ist ein vielköpfiges Ungeheuer voller Pathos und böser Einfälle, immer kurz davor zu implodieren.

„Gott weiß, ich will kein Engel sein”, die Fans kennen ihren Frontsänger mit riesigen weißen Flügeln, der in Flammen aufgeht, seinen Keyboarder Flake Lorenz im Topf kocht. Das Räderwerk des antiquierten Industriezeitalters dreht sich beharrlich in dieser finsteren stählernen Metropolis-Kulisse. Die Scheinwerfer zerlegen das Dunkel, enthüllen, attackieren, verbergen, machen das Unsichtbare sichtbar. Rammstein entwickelten ihren ganz eigenen meisterhaften Code des Lichts. Sie sind eine Band der Superlative. Die 18.000 Plätze im New Yorker Madison Square Garden waren damals innerhalb von 20 Minuten ausverkauft, unsere erfolgreichste Rockgruppe spielt seit Mitte der Neunziger Jahre in den weltweit größten Arenen, obwohl sie weiter nur auf Deutsch singt. Regisseure wie David Lynch und Lars von Trier wählten für ihre Filme Rammstein-Songs. Die Wurzeln der Musiker sind im Underground der ehemaligen DDR, aber trotzdem belegen sie mit 16 Millionen verbuchten Tonträgern eine Spitzenposition im Kapitalismus. Von November 2011 bis August 2013 dauerte ihre legendäre „Made in Germany”-Tour. 78 Konzerte in Europa, 21 in Nordamerika. Im Gepäck eine Bühnenkonstruktion aus Stahl, 24 Meter breit, 15 Meter hoch, 100 Lautsprecherboxen, eine Soundanlage mit 380.000 Watt Leistung. Insgesamt 24 Trucks und 60 Crewmitglieder. Unverzichtbar: ein eigenes Stromkraftwerk, um als Elektrizitätsgroßkunde nicht von wackeligen lokalen Netzen abhängig zu sein.

Jonas Åkerlund arbeitete schon mit den Rolling Stones, Metallica, The Prodigy, Lady Gaga und Madonna. 2002 kam sein Spielfilm „Spun” heraus. Für Rammstein dreht er die Musikvideos „Mein Land”, „Pussy”, „Ich tu Dir weh”, doch nichts ist zu vergleichen mit diesem Leinwand-Epos entfesselter kinetischer Energien, eine verschwitzte blutige Ode an das Kino als Erlebnisraum. Sie erinnert an „Mad Max: Fury Road”, überrollt uns ebenso gnadenlos wie ein furchteinflößender Sattelschlepper. Und wir genießen es. Vielleicht erst hinterher, wenn die Erstarrung sich gelöst hat. Rammstein liefert nicht leicht konsumierbares Amüsement, sie wollen provozieren, polarisieren, politische Debakel aber verwundern sie. In dem Video zum Depeche-Mode-Cover-Stripped wurden die Leni-Riefenstahl-Bilder ihres Olympiafilms nicht als Kritik am System wahrgenommen sondern als Sympathiekundgebung für den Nationalsozialismus. Nichts lag den Ex-Punks aus der DDR ferner. Ähnlich erging es früher in der Bundesrepublik oft berühmten US-Regisseuren von Antikriegsfilmen. Vietnam, das konnte nach Meinung der Rezensenten nur Gewaltverherrlichung sein. Peinlich. Mittlerweile hat sich der Bürger dank Playstation an Dauerbeschuss gewöhnt, heute wird jegliche Brutalität, gleich wie extrem, als Actionspektakel dankbar hingenommen.

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Originaltitel: Rammstein: Paris
Regie: Jonas Åkerlund Mit Till Lindemann, Paul Landers, Falke Lorenz, Richard Kruspe, Oliver Riedel, Christoph Schneider
Produktionsland: Deutschland, 2012-2016
Länge: 98 Minuten
Verleih: NFP marketing & distribution
Im Kino nur am: 23. / 24. und 29. März 2017

Fotos & Trailer: Copyright NFP

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