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Film

Portugal 1637, für die beiden jungen Jesuitenpater Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garpe (Adam Driver) sind die bestürzenden Nachrichten aus dem fernen Japan unvorstellbar. Der Missionar Christovão Ferreira (Liam Neeson), ihr bewunderter Mentor und Lehrer, soll sich nicht nur vom Christentum abgewendet, sondern zum Buddhismus übergetreten sein und eine Japanerin geheiratet haben. Die Padres entschließen sich, vor Ort den diffamierenden Gerüchten auf den Grund zu gehen und dem ganz offensichtlich in Bedrängnis geratenen Ferreira bei seiner gefährlichen Mission zu unterstützen. Im Hafen von Macaus berichten Augenzeugen, dass die Christen von den Feudalherren durch grausamste Folter gezwungen werden, dem Glauben abzuschwören.

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In einer Spelunke finden Rodrigues und Garpe den einzigen Japaner, der bereit ist, wenn auch nur widerwillig, sie heimlich ins Land zu bringen. Der zwielichtige Trunkenbold Kichijirō (Yosuke Kubozuk) stammt angeblich aus einer christlichen Familie, die hingerichtet wurde, nur er hat als Einziger seinen Glauben verleugnet, nun peinigen ihn unaufhörlich Schuldgefühle. In einer entlegenen Küstenregion nahe Nagasaki bringt Kichijirō die beiden Jesuiten zu den ärmlichen Dorfbewohnern Tomogis, einer kleinen Gemeinde, die ihrem christlichen Glauben im Geheimen treu blieb. Ihnen erscheinen die beiden Priester wie ein Geschenk Gottes, endlich haben sie Geistliche, die ihnen die Sakramente spenden können. Die Padres sind von dieser Aufgabe tief bewegt, auch wenn sie bald begreifen, dass die Dörfler eine Art improvisiertes Christentum praktizieren und es nur in Ansätzen verstehen. Vor den Schergen der Samurai-Fürsten verstecken die Portugiesen sich tagsüber in einer schmutzigen kleinen Köhlerhütte, nachts lesen sie die Messe auf Latein, nehmen die Beichte ab und taufen die Kinder.

Der Film “Silence” basiert auf dem gleichnamigen, 1966 erschienenen Roman des japanischen Autors Endō Shūsaku. Dessen Werke sind stark von seinem römisch-katholischen Glauben geprägt. Graham Green bezeichnete das Märtyrerdrama als “einen der schönsten Romane unserer Zeit”, “düster, zart und überraschend einfühlsam,” schrieb John Updike im New Yorker. Martin Scorsese wollte als Kind Priester werden, seit der Erstkommunion faszinieren ihn Kreuzigungsszenen, die Themen von Schuld und Sühne, sie prägten unverwechselbar seine Anti-Helden. Harvey Keitel als Charlie in „Mean Streets” (1973) weiß: „Man kann seine Sünden nicht in der Kirche wiedergutmachen, das muss man auf der Straße tun, daheim, dort wo man sie begangen hat. Alles andere ist Bullshit.” Sirenen draußen in der Dunkelheit, Musik setzt ein, The Ronettes mit: „The night we met, I needed you so, And if I had the chance, I’d never let you go. Be my baby, my one and only baby”. Mafia kontra Katholizismus. Glaube, Zweifel, Rache und Fanatismus waren schon immer Kern von Scorseses Filmen, auch Robert de Niro in „Taxi Driver" (1976) ist eine fast alttestamentarische Figur, die sich gegen die bestehende Ordnung auflehnt und Gott herausfordert, so wie es am Ende Rodrigues tut.

Seit mehr als 28 Jahren kämpfte der amerikanische Regisseur um die Realisierung dieses Projekts: „’Silence’ ist für mich eine Art Lebenselixier, das ich nur in sehr wenigen Kunstwerken gefunden habe.” Das Drehbuch schrieb er zusammen mit Jay Cocks („Gangs of New York”). Die Philosophie der Japaner, ihre Weltsicht ist gewachsen aus der Natur. Die beiden Jesuiten stehen ihr hilflos gegenüber, sie ist überwältigend, grünlich grau, ungezähmt, undurchdringlich, Meer, Regen, die Erde aufgeweicht, nirgendwo ein Halt. In ihrer düsteren nebligen Allmacht bleibt die Natur immer ein Gegner. Die Einsamkeit ohne die vertrauten Symbole der Kirche wird immer unerträglicher. Kameramann Rodrigo Prieto („The Wolf of Wallstreet”) entwickelt in seinen gleichsam barocken langsamen Panoramen eine dunkle schwelgerische Poesie akribischen Schreckens und trostloser Schönheit. Verschwunden die provozierende Farbenlust von Scorseses Großstadtlandschaften. Als sich die beiden Jesuiten aus ihrem Versteck herauswagen, werden sie Zeuge, wie die Samurai-Truppen in Tomogi einmarschieren und die Bewohner zum Glaubenstest zwingen. Sie müssen das Fumi-e, ein Bild von Jesus oder Maria mit Füßen treten, um zu beweisen, dass sie nicht Christen sind.

Kichijirō, dem Pater Rodrigues kurz zuvor noch die Beichte abgenommen hatte, verleugnet seinen Glauben erneut und rennt davon. Drei Männer verweigern sich der zynischen Prozedur, darunter der Dorfälteste Ichizo (Yoshi Oida). Fassungslos sehen die Geistlichen aus sicherer Entfernung mit an, wie die Märtyrer in der Meeresbrandung gekreuzigt werden. Unter der Wucht der Wellen sterben sie langsam und unter großen Qualen. Verzweifelt fleht Rodrigues in seinen Gebeten Gott an, nicht schweigend das Leiden seiner Gläubigen hinzunehmen. Pater Ferreiras Schicksal ist noch immer ungeklärt. Die beiden Priester trennen sich, um weiter ins Landesinnere vorzudringen. Erschöpft und ausgezehrt von den wochenlangen Streifzügen durchs die zerklüfteten Berge, trifft Rodrigues auf Kichijiro. Nur widerstrebend gibt er dessen Bitte um Vergebung nach. Doch kaum ist die Absolution erteilt, verrät unser Judas den Priester, auf dessen Ergreifung eine Belohnung ausgesetzt wurde. Als der verhaftete Jesuit vor dem richterlichen Beamten des Distrikts steht, fordert er stolz, ihn in seinem Glauben zu prüfen. Doch die Methoden der Behörden sind subtiler und um vieles perfider als erwartet.

Inquisitor Inoue (Issey Ogata) und dessen undurchschaubarer Übersetzer (Tadanobu Asano) geben sich betont höflich, versuchen den Geistlichen in einen Dialog zu verwickeln und mit rationalen Argumenten zu überzeugen. Danach sperren sie Rodrigues in einen Käfig und lassen vor seinen Augen christliche Bauern foltern und hinrichten. Die Qualen dieser Menschen könnte der Pater verhindern, würde er sich von seinem Glauben lossagen. Und noch immer schweigt Gott. Für die christlichen Dorfbewohner ist das Paradies etwas Greifbares, Reales, sie fürchten den Tod vielleicht weniger als der Priester. Sie wurden immer nur unterdrückt, ausgebeutet, zum ersten Mal wurde ihnen Respekt, Liebe, Achtung entgegengebracht, ein Anrecht auf Glück und Gerechtigkeit versprochen. Dieses Christentum ist weniger spirituell als revolutionär. Scorsese zwingt uns keinen Standpunkt auf, aber er verunsichert uns, auch der Atheist muss nun irgendwann Position beziehen, denn dieser Konflikt hat etwas Universelles, Existenzielles, wie weit dürfen wir gehen, uns zu retten, unsere Überzeugungen, was dürfen wir opfern für die Gerechtigkeit, Moral, abstrakte oder konkrete Prinzipien.

Menschliche Köpfe thronen wie Trophäen auf einem Holzpfählen. Das Leiden soll grausam sein, als wenn es erst durch den Schrecken seine Berechtigung erfährt. Enthauptungen, heute Zeichen islamischen Extremismus, sind hier der Beginn einer Debatte über das Christentum. „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes”, nennt Ted Chiang eine seiner Erzählungen. Und trotz allem präsentiert der Film die Japaner nie als heidnische Barbaren. Im Gegenteil, Gewalt provoziert Gewalt. Eine Religion oder politische Überzeugung (Stalin, Hitler) können ein Land zerstören wie Bomben und Tretminen. Die Verfolgung ist grausam, aber die logische Antwort auf das Eindringen der Fremden. Rodrigues sieht sein Spiegelbild im Wasser, es ähnelt Jesus. Er versagt wie andere Protagonisten Scorseses, ob „Raging Bull” oder „The Wolf of Wall Street”. Die Absolutheit seines Glaubens wird zur Falle. Das Schweigen Gottes und sein eigenes, es hallt wider in den Schreien der Sterbenden. Andrew Garfield ist der Farbloseste unter den Akteuren, aber für diese Rolle darf es nicht anders sein.

Ein gescheiterter Held, er wollte retten und stürzt doch andere Tag für Tag ins Verderben. Verbrannt, ausgeblutet, gekreuzigt, selbst Garbe muss sterben. Der Inquisitor macht Rodriguez, das Opfer, zum Komplizen. Es sind die Strukturen der Vernichtungslager. Theodizee, Gerechtigkeit Gottes, warum lässt der Allmächtige solch Leiden zu? Doch das ist nicht die Fragen, sondern wie entscheiden wir. Glauben heißt nicht, auf einem Beweis beharren. Es ist die Überheblichkeit des Westens, der seine Werte für universell erklärt. Am Ende spricht Gott zu dem verzweifelten Priester. Auf dem Bild Jesu ist schon viel herumgetrampelt worden. Aufgeben ist hier ein Akt der Nächstenliebe. Er, der Gütige wird es verzeihen, wie er alles verzeiht, selbst Judas, dem kläglichen Wiederholungstäter. Wer wirklich an Gott glaubt, wird ihn seinem Herzen bewahren. So endet denn auch der Film mit einer wunderschönen kleinen Geste.

2007 verfasste Scorsese ein Vorwort für die englische Ausgabe des Romans: „Christentum gründet sich auf dem Glauben. Aber wenn man seine Geschichte studiert, so zeigt sich, dass es sich ständig neu anpassen musste- und stets mit enormen Schwierigkeiten kämpft, wenn es als Glauben weiter gedeihen will. Das ist ein Paradox, das sehr quälend sein kann. Auf den ersten Blick stehen Glauben und Zweifel im Gegensatz zueinander. Und doch glaube ich, dass sie Hand in Hand gehen. Der eine nährt den anderen. Aus Zweifel mag große Einsamkeit entstehen, aber wenn er mit dem Glauben eine Koexistenz eingeht – dem wahren beständigen Glauben – dann kann er ein überaus freudenvolles Gemeinsamkeitsgefühl bringen. Und genau diesen schmerzvollen Prozess – von Sicherheit über die Einsamkeit bis hin zur Gemeinsamkeit – versteht Endō so gut.”

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Originaltitel: Silence 
Regie / Drehbuch: Martin Scorsese 
Darsteller:  Andrew Garfield, Adam Driver, Liam Neeson  
Produktionsland: USA, Italien, Japan, Mexiko, 2016 
Länge: 162 Minuten 
Verleih: Concorde Filmverleih 
Kinostart: 2. März 2017

Fotos & Trailer: Copyright Concorde Filmverleih

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