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Film

Gigantische Fleischmassen wogen, schwingen, drehen sich in Slow Motion zu unwiderstehlich schwelgerischer Musik. Die übergewichtigen fast nackten Burlesque-Tänzerinnen lächeln lüstern selbstbewusst Richtung Kamera. Mit dieser ästhetisch betörenden Kampfansage an die auf Magerkeit fixierte Modewelt beginnt Stardesigner Tom Ford („A Single Man”) seinen mörderischen Thriller. Die deftige Provokation entpuppt sich als Kunstinstallation auf der Vernissage von Galeristin Susan Morrow (Amy Adams). Hier amüsiert sich die schillernde Schickeria von Los Angeles, nur Susans attraktiver Gatte Hutton (Armie Hammer) will möglichst schnell weg. Der Bankrott droht und in New York wartet eine junge schöne Frau auf ihn.

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Davon ahnt die Protagonistin nichts, doch sie quälen schon seit langem Zweifel an jenen hoch dotierten Objekten, die sie als Kunst vermarktet, einem rein am finanziellen Erfolg orientierten Leben, welches ihr früher so viel bedeutete. Ruhelos irrt sie des Nachts durch das Haus, eine mondäne bungalowartige Festung aus Stahl und Glas mit einem traumhaften Blick auf die glitzernden Lichter von L.A. Den nächsten Tag erhält die Galeristin ein Manuskript ihres Ex-Ehemanns Edward Sheffield (Jake Gyllenhaal). Seit 19 Jahren hat sie nichts mehr von ihm gehört, der Roman ist ihr gewidmet, der Titel „Nocturnal Animals” eine Anspielung: „nachtaktiv”, so hatte der Ex sie wegen ihrer chronischen Schlaflosigkeit damals liebevoll spöttisch genannt. Susan beginnt den Roman zu verschlingen, aber eigentlich verschlingt der Roman sie.

Abrupter Szenenwechsel: eine einsame nächtliche Landstraße irgendwo in West-Texas, Tony Hastings ist mit Ehefrau (Isla Fischer) und Tochter (Ellie Bamber) im Auto unterwegs. Drei widerliche furchteinflößende Typen drängen den Wagen von der Straße ab. Eine grausame erniedrigende Demonstration der Macht beginnt. Der Vater muss hilflos zuschauen, wie seine Familie entführt wird, Gangleader Ray (Aaron Taylor –Johnson), ein süffisanter Psychopath, verhöhnt ihn mit teuflisch sadistischer Freude als Schwächling. Jake Gyllenhaal spielt auch die Rolle des Tony, völlig logisch, denn Edward hatte früher schon behauptet, Autoren schreiben nur über sich. Die Kamera blendet immer wieder zurück auf Susan, erinnert den Zuschauer daran, dass er die Handlung durch ihre Augen sieht, dass all dies eigentlich gar nicht passiert, sondern ein Roman ist. Und doch fühlt sich die Fiktion um vieles realer an als das Hier und Jetzt.

Der Akt des Lesens hat in „Nocturnal Animals” etwas seltsam Intimes, Irritierendes. Die Galeristin erinnert sich an die Zeit damals mit Edward. Es waren tiefe Emotionen voll kindlicher Ernsthaftigkeit. Die Mutter hatte sie in ihrer üblichen arroganten Art vor der Heirat gewarnt. Ein romantischer Idealist ohne Vermögen mit lächerlichen Ambitionen. Die Dinge, die Susan an ihm liebe, würde sie eines Tages hassen. Und genauso kam es. Wenn die Protagonistin auch anfangs die schriftstellerischen Versuche Edwards unterstützt hatte, wurde sie bald zu seiner schärfsten Kritikerin. Seine Naivität ging ihr, der Pragmatikerin, einfach auf die Nerven. Sie verließ ihn auf brutale Art. „Ich habe etwas getan, was man nie wieder gut machen kann”, gesteht sie der Freundin. Auch wenn Susan es bestreitet, sie ist wie ihre Mutter geworden, gesellschaftlicher Erfolg bedeutete ihr plötzlich unendlich viel. Der oberflächliche reiche Hutton schien eine Garantie für Glamour und Reichtum. Leider ist Ehemann Nr. 2 mehr charmant als clever, es kostet große Mühe, seine Pleite zu vertuschen. Die Fassade wahren ist hier in L.A oberstes Gesetz.

Die Gangster haben auf einem roten Sofa in der Wildnis Tonys Frau und Tochter nackt in enger Umarmung wie ein Liebespaar drapiert. Die beiden wurden vergewaltigt und ermordet. Tonys Schmerz und Scham bewegen Susan zutiefst, hat sie doch selbst eine Tochter dieses Alters. Sie begreift das Ausmaß ihrer eigenen Entscheidung vor 19 Jahren, dessen tödliche Grausamkeit, was es heißt einen Menschen in Stich zu lassen. „Nocturnal Animals” basiert auf dem Roman „Tony & Susan” von Austin Wright (1993). Tom Fords kunstvoll strukturiertes Drehbuch wechselt mühelos zwischen den drei Handlungssträngen, zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Wirklichkeit und Fiktion, dem sterilen urbanen L.A und der staubigen texanischen Einöde. Wenn Ray zu seinem Opfer sagt: „Es macht Spaß, Leute umzubringen, sollten Sie auch mal versuchen”, klingt er wie Dennis Hopper als Frank Booth in Lynchs „Blue Velvet”. Der todkranke Detective (Michael Shannon) und Tony wollen Gerechtigkeit, um jeden Preis. Gewalt fordert Gewalt heraus. Von nun an zählt nur noch die Rache, blutige und subtile, aber deshalb nicht weniger schmerzhaft. Nie zuvor ist sie auf der Leinwand so exquisit zelebriert worden.

Tom Ford, radikaler Ästhet, ob als Modeschöpfer oder Regisseur, hat eine Obsession für Details ähnlich der von Stanley Kubrick. Er zerlegt Genres, Pulp oder Soap in ihre Einzelteile, kreiert zusammen mit Kameramann Seamus Mcgarvey („Anna Karenina”) und Production Designer Shane Valentino („Straight Outta Compton”) einen stark symbolischen, unverwechselbaren visuellen Stil von außerordentlicher Schönheit. Sein Protagonist ist wie in „A Single Man” ein Romantiker fehl am Platz in einer korrupten Welt voller Vorurteile. Dominante Frauen, hypersensible Männer, die Geschlechterrollen führen einander ad absurdum. Ford ist in Texas und New Mexiko aufgewachsen: „Ich war nie der traditionelle starke Mann. Ich war immer der Empfindsame.” Sowohl Edward als auch sein Alter Ego Tony besitzen nicht die stereotypischen männlichen Eigenschaften, die grade von Helden immer wieder erwartet werden. Am Ende allerdings triumphieren sie beide trotzdem, vielleicht auch weil ihre Rache etwas humorvoll Hinterhältiges hat, sie sind schlau. Und so tragisch die letzte Szene des Films ist, nicht jede Schuld kann auf Vergebung hoffen.

Das Schreiben gehört zu den Aspekten des Filmemachens, die Ford am meisten liebt. Sieben Jahre hat er an „Nocturnal Animals” gearbeitet und gefeilt. Sein Schreibprozess beginnt damit, dass er Bilder sammelt, die er mit den Figuren und ihrer Welt assoziiert. Orte, Innenaufnahmen, echte Menschen, die dort leben. „Ich male mir jeden Ton und jedes Bild im Vorfeld ganz genau aus und schreibe das dann nicht selten Aufnahme für Aufnahme auf”, erklärt der Künstler. Es ging Ford in „Nocturnal Animals” nicht um das simple Motiv einer Geschichte innerhalb einer Geschichte oder einen Film im Film. Im Gegensatz zu „A Single Man” musste die Geschichten dreier Protagonisten miteinander verbunden und gleichzeitig voneinander ferngehalten werden: „Tony & Susan” ist über weite Strecken ein innerer Monolog und spielt somit in Susans Kopf”, erklärt der Regisseur. „Ich musste mir also Szenen ihres Lebens einfallen lassen, um die gleichen Gefühle und Eindrücke zu vermitteln, die es im Buch nur in ihrer Vorstellung gibt. Ich hatte kein Interesse daran, den gesamten Film über eine Off-Erzählung spielen zu lassen, deswegen war die Herausforderung, Bilder zu finden, die ihre Emotionen auch ohne Worte verständlich machen.”

„In „Tony & Susan” sagt Edward Sheffield einmal, dass niemand je wirklich über etwas anderes schreibe als sich selbst. Das habe ich in den Film übernommen, denn ich gebe ihm dabei vollkommen Recht,” so Ford. „Jeder von uns sieht das Leben durch seinen eigenen Filter. Wenn Edward seinen Roman „Nocturnal Animals” schreibt, dann besteht der natürlich aus jeder Menge Details und Emotionen aus seiner Vergangenheit mit Susan... In einer Rückblende sehen wir, wie Susan eine von Edwards Kurzgeschichten liest und fürchterlich gelangweilt ist. Er ist davon am Boden zerstört. Dass sie dabei auf einem roten Sofa liegt, brennt sich bei ihm ein und als er später in seinem Roman die Figur umbringt, die für Susan steht, platziert er ihre Leiche nicht ohne Grund auf einem roten Sofa. Oder nehmen wir das Auto des Mörders in seinem Buch: das ist ein grüner Pontiac GTO aus den Siebzigern, wie er auch in jener Rückblende zu sehen ist, in der Susan Edward verlässt. Solche Details aus ihrem gemeinsamen Lebens haben sich in seinem Bewusstsein festgesetzt und finden sich auch in seiner fiktiven Geschichte wieder. Genauso wie sich sicherlich viele Details aus meinem eigenen Leben in mein Drehbuch für diesen Film eingeschlichen haben.”

Die schwierigste Rolle in „Nocturnal Animals” hat Amy Adams. „Mir war wichtig”, erklärt Ford, „dass Susan sympathisch herüberkommt. Gerade weil es so einfach wäre, sie zu hassen, schließlich hat sie – wie sie selbst sagt – alles und ist trotzdem unglücklich... Über weite Strecken des Films sehen wir nur, wie Susan liest und stumm auf das Gelesene reagiert. Genau in diesen Szenen zeigen sich meiner Meinung nach die außerordentlichen darstellerischen Fähigkeiten von Amy Adams... Denn sie kann sich weder auf große Gesten noch auf sonderlich viele Wort verlassen um zu zeigen, was in ihrer Figur vorgeht.”

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Originaltitel: Nocturnal Animals 
Regie / Drehbuch: Tom Ford  
Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon 
Produktionsland: USA, 2016 
Länge: 117 Minuten 
Verleih: Universal Pictures Germany  
Kinostart: 22. Dezember 2016

Fotos & Trailer: Copyright Universal Pictures Germany

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