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Film

„Inferno” beginnt mit einer Art Prolog, der den Zuschauer auf die Abenteuer an der Seite des Harvard-Professors einstimmt und uns damit einen ungewohnten Wissensvorsprung gegenüber dem Protagonisten verschafft. Tatort ist Florenz, dieses Mal verkörpern weder Klerus, Vatikan oder finstere religiöse Geheimbünde das Böse, sondern der wahnsinnige Schweizer Milliardär und Biochemiker Bertrand Zobrist (Ben Foster). Er hat eine morbide Leidenschaft für Dantes „Divina Commedia” und fürchtet die drohende Überbevölkerung des Planeten. Statistiken und Kurven belegen seine Theorien. Mit einer tödlichen Seuche will Zobrist genau jetzt die Menschheit radikal um die Hälfte dezimieren, nur das kann ihren Fortbestand zu sichern. Andernfalls, so seine Überzeugung, wird unsere Spezies in hundert Jahren ausgelöscht sein. Er sieht sich selbst als Erlöser in der Stunde der Wiedergeburt. Um seine Pläne nicht zu gefährden, stürzt er sich kamerawirksam vom Turm der Badia Fiorentina, jener berühmten mittelalterlichen Abteikirche im Stadtzentrum. Die Worte Dantes „Der Weg zum Paradies führt direkt durch die Hölle” versteht der Attentäter als wohlmeinenden Rat. Seine Mission ist bereits in vollem Gange, für die reibungslose Durchführung trägt ein geheimnisvolles internationales Konsortium Sorge. Der Provost (Irrfan Khan) und sein Team garantieren Diskretion und hinterfragen nie die Wünsche ihrer Auftraggeber.

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Robert Langdon erwacht im Bett eines Krankenhauses. Er hat keine Ahnung, wo er sich befindet. Ihn quälen Kopfschmerzen, diffuse Schuldgefühle und grässliche apokalyptische Halluzinationen: riesige rote Wellen von Blut ergießen sich einer Sintflut gleich, gespenstische gesichtlose Gestalten tauchen auf. Die junge Ärztin, Dr. Sienna Brooks (Felicity Jones) offensichtlich gebürtige Engländerin, beruhigt ihn, ein Schädeltrauma, das von seiner Wunde herrühre. „Einbildung, Erinnerung, alles ist durcheinander”. Zumindest erkennt Langdon durchs Fenster die Kuppel des Duomo in Florenz. Er liebt die Stadt, die Galerien, Museen, die Vorstellung, dass hier einst Michelangelo als Kind auf den Straßen gespielt hat. Nur wie ist er hierhergekommen, ein Unfall? Eben noch schien er sich auf dem Weg zur einer Vorlesung in der Harvard University zu befinden. Seine Gedanken werden abrupt unterbrochen von einem schießwütigen Geschöpf in Carabinieri-Uniform (Ana Ularu), das entschlossen eine Kugel nach der anderen auf ihn abfeuert, Kollateralschäden unvermeidlich. Sienna bringt Langdon auf Schleichwegen in Sicherheit. Daheim in ihrer Wohnung steckt sie den Schützling in einen exzellent geschnittenen italienischen Anzug. Unter seinen ramponierten Sachen hatte sie eine Biotube für den Transport von gefährlichen Substanzen entdeckt, die lässt sich nur mit autorisiertem Fingerabdruck öffnen und entpuppt sich als Faraday Pointer. Im Inneren des Zylinders steckt ein winziger Diaprojektor. Er zeigt Botticellis berühmte „Mappa dell’ Inferno”, Sinnbild menschlichen Leidens, inspiriert durch Dante Alighieri. Das gewaltige trichterförmige Loch von unvorstellbarer Tiefe mit einer Abfolge abwärts führender Terrassen ist bevölkert von Sündern aller Art. Eine subterrane Landschaft aus Feuer, Schwefel, Exkrementen und Monstern. Genau hier verbergen sich die ersten Hinweise auf Zobrists teuflischen Plan, für den Biochemiker ist Dantes „Inferno” keine Fiktion sondern eine Prophezeiung. Bald wird klar, nur einer kann das Puzzle lösen und die Menschheit retten: Langdon.

Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Wo immer der Harvard-Professor mit seiner attraktiven hochintelligenten Begleiterin auftaucht, halten wenig später schon Polizeifahrzeuge mit quietschenden Bremsen. Auch andere Verfolger heften sich an die Fersen des flüchtenden Paars, die wir noch nicht kennen. Die blutrünstige Unbekannte auf ihrem schweren Motorrad lässt ebenfalls nicht locker, zumindest hat sie nun einen Namen: Vayentha. Sie ist eine Agentin des Konsortiums. Palazzo Pitti, der Boboli Garten, enge winklige Gassen, die atemberaubende Hetzjagd führt von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten. Knatternd zieht eine Drohne ihre Kreise, während der sogenannte Symbologe die Anspielungen und Botschaften Zobrists auf den Zeichnungen und Gemälden zu entschlüsseln versucht. Es gibt Geheimgänge, Pforten, Treppchen, von denen keiner außer Langdon weiß, so kann er die beängstigende Überwachungstechnik seiner Widersacher austricksen. In schwindelerregender Höhe balancieren er und Sienna über einen Dachbalken, unter ihnen der Saal der 500 im Palazzo Vecchio, hinter ihnen die rachsüchtige Verfolgerin. Schüsse fallen, die Auftragskillerin stürzt in die Tiefe. Ron Howards „Inferno” hat trotz Action-Ambitionen noch immer etwas herrlich Altmodisches mit all seinen falschen Fährten, unerwarteten Wendungen, Finten, Paranoia, Amnesie. Nichts ist, was es scheint. Eigentlich hätte man niemandem vertrauen sollen, die Einsicht kommt zu spät für Protagonist wie Zuschauer. Das verlorene Gedächtnis kehrt zurück und selbst Langdons geliebte Micky-Mouse-Uhr, ein Geschenk seines Vaters findet sich wieder an. Tom Hanks („Bridge of Spies”) gibt unverdrossen sein Bestes als Schauspieler wie als Retter der Menschheit, ohne seine Ausstrahlung wäre der Film bloß eleganter kunsthistorischer Kulissenzauber. Der sonst so ernste Professor darf dieses Mal ein wenig mehr Gefühl und Temperament zeigen, er trifft nicht nur auf Terroristen und Gangster, sondern auch auf eine alte Flamme, Elizabeth Sinskey (Sidse Babett Knudsen), Direktorin der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Das obskure Puzzle diktiert weiterhin die Route, von Florenz geht es zum Markusdom in Venedig und von dort weiter zur Hagia Sophia in Istanbul.

Fiktion und Fakten vermischen sich bei Ron Howard („Apollo 13”) genau wie im Roman. Nur dort sind die eigentlichen Protagonisten Dante Alighieri, Sandro Botticelli, Giorgio Vasari, Michelangelo und ihre Werke, Dichtung, Skulpturen, Fresken, Gemälde, Zeichnungen. Dan Brown schildert, wie Dantes „Inferno” das mittelalterliche Bild der Verdammnis buchstäblich neu definierte: „Nie zuvor hatte das Konzept der Hölle die Massen auf so eindringliche Weise gefesselt. Dantes Werk hatte das abstrakte Konzept der Hölle praktisch über Nacht in einer klaren, angsteinflößenden Vision zementiert- intuitiv, greifbar und unvergesslich. Es war deshalb kaum überraschend, dass die katholische Kirche als Folge der Veröffentlichungen einen enormen Zulauf von verängstigten Sündern erfahren hatte.” Longfellow, Chaucer, Marx, Milton, Balzac, Borges und viele andere griffen Dantes „Inferno” als Thema auf. Monteverdi, Liszt, Wagner, Tschaikowsky und Puccini haben Kompositionen geschaffen, die darauf zurückgingen. Im 21. Jahrhundert sind es Metalbands wie Nine Circles, Sepultra, Alesana und Iced Earth, die das Thema variieren genau wie in der modernen Kunst Robert Rauschenberg oder Damian Hirst. Von Professor Robert Langdon selbst wissen auch seine Fans wenig, er ist Dan Browns fiktives Alter Ego, der Mann, der er gern wäre. Genau wie der Autor wurde Langdon am 22. Juni 1964 in Exeter, New Hampshire geboren. Er leidet unter Klaustrophobie, seit er in einen Brunnen fiel. Die Micky-Mouse-Uhr trägt er immer, sie soll ihn daran erinnern, mehr zu lachen und die Universität weniger ernst zu nehmen.

Sein Charakter und seine Leidenschaften offenbaren sich meist nur indirekt. So erzählt er von dem Grabmal der Beatrice Portinari, Dantes großer und einziger Liebe. La Chiesa di Santa Margherita dei Cerchi zieht Dante-Verehrer und todunglücklich Liebende gleichermaßen an, schreibt Brown. „Viele Besucher kommen nicht des Grabes Willen sondern des berühmten Objektes daneben. Der Flechtkorb. Beatrice war zu so etwas wie einer Schutzheiligen der unglücklich Verliebten geworden. Einer weit zurückreichenden Tradition zufolge legten Besucher ihre schriftlichen Gebete in den Korb. Sie alle hegten verschiedene Hoffnungen: Vielleicht würde Beatrice dabei helfen, die große Liebe zu finden, einen verstorbenen Geliebten zu vergessen oder eine unerwiderte Liebe in eine erwiderte zu verwandeln. Auch Langdon hatte vor vielen Jahren bei seinen Recherchen für ein Buch einen Abstecher in diese Kapelle gemacht und einen Zettel im Korb hinterlassen. Allerdings hatte er Dantes Muse nicht um die große Liebe angefleht, sondern darum gebeten, ihm stattdessen ein wenig von der Inspiration zu vermitteln, die Dante zu seinem gewaltigen Werk verholfen hatten. „Sing in mir, o Muse, Und erzähle durch mich die Geschichte...” Die einleitenden Zeilen von Homers „Odyssee” waren eine ehrenwerte Bitte, wie Langdon fand. Insgeheim war er überzeugt, dass seine Bitte tatsächlich Beatrices göttliche Intervention bewirkt hatte, denn nach seiner Rückkehr war ihm das Buch mit ungewöhnlicher Leichtigkeit von der Hand gegangen. “

„Die heißesten Orte der Hölle sind reserviert für jene, die in Zeiten moralischer Krisen nicht Partei ergreifen”. Diesen Satz aus der „Göttlichen Komödie” hat der Autor seinem Mystery-Thrlller vorangestellt. Bösewicht Zobrist nimmt ihn für sich in Anspruch, aber dieses eine Mal können wir seine Einstellung teilen. Ron Howard wagt nicht das ernüchternde Finale des Romans zu übernehmen, sondern inszeniert etwas Hollywoodmäßig-Verbindliches. Was einem fehlt, ist das Provokative, die radikalen waghalsigen Theorien aus „The Da Vinci Code” und „Illuminati”, das Mystisch-Religiöse. Wie die drei Teile von Dante Alighieris „Commedia Diviana” endet auch Dan Browns Roman mit dem Worten „Sterne”. Sein nächstes Buch wird am 26. September 2017 erscheinen, der Titel: „Origin”.

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Film-Originaltitel: Inferno
Regie: Ron Howard
Darsteller: Tom Hanks, Felicity Jones, Ben Foster, Omar Sy
Produktionsland: USA, 2016
Länge: 122 Minuten
Verleih: Sony Pictures Deutschland
Kinostart: 13. Oktober 2016

Buch-Originaltitel: Inferno
Autor: Dan Brown
Aus dem amerikanischen Englisch: Axel Merz und Rainer Schumacher
Verlag Bastei Lübbe
Taschenbuch: 685 Seiten
ISBN: 978-3-404-17431-7
Copyright der Originalausgabe: 2013

Fotos & Trailer: Copyright Sony Pictures Deutschland

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