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Film

Trainingslager der Special Forces, 2004. Ein Rekrut robbt durch den Matsch. Edward Snowden ist schmal, blass, fragil. Mit seinen runden Brillengläsern erinnert er eher an den frühen grotesken Woody Allen als an einen gestählten Elite-Soldaten. Beim unerwarteten Appell stürzt er aus der oberen Bettkoje und bricht sich beide Beine. So endet seine militärische Karriere, bevor sie begonnen hat. Der Arzt aber scheint erstaunt, dass der Patient überhaupt so lange durchgehalten hat. Seine Knochen sind schon seit Wochen angeknackst, doch Snowden ist hart im Nehmen, besitzt eine ungeheure Selbstdisziplin, lässt sich nichts anmerken. Auch neun Jahre später bewahrt er in Momenten größter Gefahr die Ruhe, zeigt keinerlei Furcht oder Nervosität. Der junge Amerikaner kommt aus einer Familie, wo man es sich zur Ehre anrechnet, für das Vaterland zu kämpfen. 9/11 hatte ihn in seinem Entschluss bestärkt, zum Militär zu gehen.

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Auch Oliver Stone meldete sich als Freiwilliger und diente von April 1967 bis November 1968 in Vietnam. Er hatte auf Fronteinsatz bestanden und wurde zweimal verwundet. Für außerordentlich mutiges Verhalten in Kampfhandlungen erhielt er Auszeichnungen „Purple Heart“ und den „Bronze Star“. Seine Erfahrungen aus dieser Zeit verarbeitete er später in der Antikriegsfilm-Trilogie „Platoon” (1968), „Geboren am 4. Juli” (1989) und „Zwischen Himmel und Hölle” (1993). Stones Vater war überzeugter Republikaner, er selbst hatte als Junge an das John-Wayne-Bild Amerikas geglaubt und sich auch von der romantischen Verklärung des Zweiten Weltkriegs auf der Leinwand beeinflussen lassen. Die Realität aber sah anders aus. „Sind die Vereinigten Staaten das großartigste Land der Welt?” lautet eine der Fragen von Snowdens Lügendetektortest, als er sich als IT Spezialist beim CIA bewirbt. Sein „Ja” kommt noch von Herzen. Obwohl, nach den Gründen befragt, weshalb er zur Agency will, ist seine Antwort nicht unbedingt klug gewählt. Er findet die Idee, „Clearance“ (Freigabe) zur höchsten Sicherheitsstufe zu besitzen, einfach cool, verlockend.

Stones Protagonist ist Autodidakt, ein Ausnahmetalent, hat das Studium abgebrochen, seine Intelligenz, die Sprachkenntnisse sind überragend. Was er am Computer vollbringt, grenzt für Normalsterbliche an Zauberei. Beim Eignungstest der CIA ist er seinen Mitbewerbern haushoch überlegen und erledigt die schwierigsten langwierigen Aufgaben in einem Bruchteil der vorgegebenen Zeit. Der Prüfungsleiter ist verblüfft. Das sind Szenen im Film, die einfach Spaß machen. Das Drehbuch schrieb der Regisseur zusammen Kieran Fitzgerald. Snowden ist äußerlich eher unscheinbar, keiner der einen im ersten Moment irgendwie beeindruckt. Der begnadete Hacker hat etwas Kindlich-Verspieltes an sich, eine Aura von Unschuld. Zu seinen Vorbildern zählt er den Literaturwissenschaftler Joseph Campbell, ‚Star Wars’, die in Russland geborene Bestsellerautorin Ayn Rand, deren Theorien auch US-Ökonom Alan Greenspan schätzt und den Philosophen David Thoreau, der schon im 19. Jahrhundert zum zivilen Ungehorsam aufrief. Vielleicht hätte das der CIA-Kommission zu denken geben sollen.

Per Zufall verirrt sich Snowden in einem Raum mit alten Verschlüsslungsmaschinen wie der legendären Enigma und trifft dort auf den ehemals einflussreichen Hank Forrester (Nicolas Cage). Die beiden werden so etwas wie Seelenverwandte. Hier ist einer, der gewagt hat, innerhalb der Agency Kritik zu üben. Warnungen, Vorschläge, Einwände, Skrupel, für diese Art von Mitdenken ist die CIA nicht der rechte Platze. Wer es tut, fliegt raus oder landet auf dem Abstellgleis. Das begreift Snowden und mit ihm der Zuschauer, noch bevor im Film die weltweite Massenüberwachung durch NSA und ‚Agency’ überhaupt Thema wird. In der Realität hat derweil der Geheimdienstausschuss des amerikanischen Repräsentantenhauses in seinem nur in Auszügen veröffentlichen Bericht kritisiert, Snowden habe damals nicht die legalen Möglichkeiten genutzt, seine rechtlichen oder moralischen Bedenken zu äußern. In den USA ist er für die Mehrheit ein Krimineller, ein Landesverräter, Staatsfeind Nr.1 und auch noch Feigling. Wenn jemand Mut hatte, dann er. Aber was tun Politiker nicht alles, um den Gegner zu diskreditieren. Die Beschuldigungen machen Schlagzeilen und auf beängstigend faszinierende Weise überschneiden sich in diesen Tagen Wirklichkeit und Fiktion. Zwischendurch erscheinen immer wieder neue brisante Interviews mit dem Regisseur, der alles wortgewaltig kommentiert.

Oft ist Liebe nur schmückendes Beiwerk in Politthrillern, aber hier bei Oliver Stone ist Lindsey Mills (Shailene Woodley) unsere Kontaktperson, der Normalbürger, mit dem wir uns identifizieren können, die uns den Zugang zu Edward Snowdens komplexem Innenleben ermöglicht. Schon bei ihrem ersten Treffen ist offensichtlich, die junge temperamentvolle Fotografin ist das genaue Gegenteil von dem konservativen braven Jungen mit tadellosen Manieren, der behauptet, Analysen fürs Außenministerium zu erstellen. „Lügen ist nicht Deine Stärke”, konstatiert die zukünftige Freundin und empfiehlt ihm, daran zu arbeiten, wenn er Spion werden will. Snowden ist perplex, dass Lindsey herausgekriegt hat, woher seine Mails kommen. Die IP-Adresse zu entschlüsseln, entspricht nach seinen Wertmaßstäben einer Liebeserklärung. Sie hält den Irak-Krieg für ein Desaster. Er verachtet Liberale, die ihren Kopf in den Sand stecken und die Bedrohung nicht sehen wollen. Er glaubt noch an die großen hehren Aufgaben der Vereinigten Staaten, hat Dick Cheneys Argumente zu den seinen gemacht. Sie ist die Kritischere, die Rebellin, provoziert ihn immer aufs Neuem, später werden sie die Rollen tauschen.

Lindsey ist erfrischend, voller Widersprüche, loyal aber auch egoistisch, ein echter Hitzkopf, sie liebt Edward Snowden, versucht ihn zu unterstützen, doch wie soll das funktionieren, wenn der Partner nie darüber sprechen darf, woran er eigentlich arbeitet. Schweiz, Japan, Hawaii, irgendwann überfordert die Situation sie nur noch, sie ist verzweifelt, fühlt, da stimmt etwas nicht, aber was, das ahnt Lindsey nicht. Die beiden streiten. Warum nimmt er nicht seine Medikamente, riskiert seine Gesundheit? Die Tabletten machen ihn müde, so kann er sich nicht konzentrieren. „Was ist an diesem Scheißjob wichtiger als an Deinem Leben”, schreit sie. „Du hast keinen Schimmer davon, wie es ist, wenn das Leben anderer Menschen von einem abhängt”, antwortet er resigniert. Sie verlässt ihn, verkriecht sich bei ihren Eltern. Für ihn beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Der spannende Teil des Films ist natürlich jener, der Lindsey verborgen bleibt. In Genf zeigt ihm ein relaxter Typ namens Gabriel (Ben Schnetzer) heimlich ein CIA-Programm, bekannt als „Xkeyscore“. Es ist eine Art Suchmaschine, die den Geheimdiensten eigentlich überall Zugang zu verschafft. Wanzen, das war gestern. Der Kollege führt dem entsetzten Snowden vor, wie man in das Heim jeden Bürgers via Computer oder Handy ungesehen eindringen kann. Es ist ein weltweites Überwachungssystem gigantischen Ausmaßes. „Was ist mit FISA”, wendet Edward ein, gemeint ist der „Foreign Intelligence Surveillance Act“ (Gesetz zur Überwachung in der Auslandsaufklärung). Die Vorschriften sind längst geschickt ausgehebelt worden, existieren nur noch pro forma.

Einen beunruhigenden unterschwellig fiebrigen Sog entwickelt Oliver Stones düsteres Heldenepos. Was sich vor den Augen des Zuschauers wie eine Daten-Explosion entlädt, ist grauenvoll, unfassbar, nicht nur in seinem radikal voyeuristischen Ausmaß, sondern auch wie damit umgegangen wird. Beispiele zeigen, auf welch schamlose Weise mit dem so erworbenen Wissen, Bürger, die sich nach moralischen Maßstäben noch nie etwas haben zuschulden kommen lassen, unter Druck gesetzt werden können. Mit Terrorismusbekämpfung hat es meist nichts zu tun aber oft mit rein wirtschaftlichen oder politischen Interessen. Snowden ist Stones Alter Ego, ihn packt der Ekel, er fühlt sich überall beobachtet, klebt ein Pflaster über das Kameraauge seines Laptops, erst dann kehrt er zu Lindsay ins Bett zurück. Die versteht ihn nicht, warum soll sie die Nacktbilder auf ihrem Computer löschen? Sie habe nichts zu verbergen, versichert sie und ertappt sich bei einer Lüge. Jeder hat etwas zu verbergen, auch wenn er sich dessen vielleicht gar nicht bewusst ist, jede Mail, jeder Blick wird registriert, verwertet. Plötzlich fühlen sich die Bilder auf der Leinwand an wie etwas Unerlaubtes an, die Wort wie heimlich belauscht. Schon bei der ersten Begegnung hat Lindsey dem Freund mit ihrem Fotoapparat kein Lächeln abringen können, er zieht nur eine Grimasse.

Der Politthriller beginnt mit jenem konspirativen Treffen in Hongkong am 3. Juni 2013 zwischen Edward Snowden, der Dokumentarfilmerin Laura Poitras (Melissa Leo), den Journalisten Ewen MacAskill (Tom Wilkinson) und Glenn Greenwald (Zachary Quinto). Die Kamera von Anthony Dod Mantle kehrt immer wieder zurück in das Zimmer des Hotels „The Mira“. Diese entscheidenden Stunden werden zur Rahmenhandlung des Films im Stil des ‚Cinéma Verité’ der Sechziger Jahre. Wann und wie sollen die Interviews erscheinen, man ist sich nicht einig daheim beim Guardian. Jeden Augenblick können die Agenten des CIA hereinstürmen und trotzdem zögert man noch in der Londoner Redaktion. Der Whistleblower hat alles riskiert, als er den Datenträger mit tausenden von Geheiminformationen entwendete, um das weltweite totalitäre Überwachungssystem der NSA zu entlarven. Ihm droht in den USA die Todesstrafe wegen Hochverrats. Sein einziger Schutz ist, sich der Öffentlichkeit zu stellen und die Informationen zu übergeben. Die Journalisten werden immer nervöser, Edward Snowden hat auf diesen Moment seit Jahren gewartet, dafür alles geopfert, seine Karriere, die Familie, seine große Liebe. Er wird Lindsey in Russland wiedersehen, aber das weiß er an jenem 3. Juli noch nicht. Er sorgt sich nur um ihre Sicherheit.

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Originaltitel: Snowden
Regie: Oliver Stone
Darsteller: Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley, Melissa Leo
Produktionsland: USA, Deutschland, Frankreich, 2016
Länge: 135 Minuten
Verleih: Universum
Kinostart: 22. September 2016

Copyright Fotos & Trailer: 
Universum Film

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