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Film

Bereits nach vier Zügen gibt es 300 Milliarden Möglichkeiten, Schach ist wie ein Labyrinth. Bobby spielt überall, immerzu, in Parks, Clubs, allein oder gegen andere. Schon mit sieben Jahren zeigt sich sein unglaubliches Talent, er bringt sich die kompliziertesten Züge selber bei. Wenn die Mutter ihm die Figuren wegnimmt, spielt er in seinem Kopf weiter, Tag und Nacht. Bobby Fischer wird der jüngste Großmeister in der Geschichte des Schachs. Als ein Reporter den Fünfzehnjährigen nach seinen Plänen fragt, antwortet er: „Ich will gegen die Russen antreten. Sie sind die Besten der Welt und ich werde sie schlagen”. Der Junge wächst ohne Vater auf, seine Mutter arbeitet als Krankenschwester, ist überzeugte Kommunistin und das in der McCarthy Ära. Ihre FBI Akte soll mehr als 900 Seiten umfasst haben. Joan (Lily Rabe) interessiert in erster Linie die Politik, um den Jungen kümmert sich Regina (Robin Weigert), dessen ältere Halbschwester, sie hat ihm auch das erste Schachbrett geschenkt.

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Doch seine Passion für das Spiel entwickelt sich bald zur Obsession. Schon als Kind reagiert er auf jeden mit ausgesprochener Feindseligkeit, der sich seiner Leidenschaft auch nur irgendwie in den Weg stellt. Für die Mutter und ihre wechselnden Liebhaber empfindet Bobby nur Verachtung. Sie verklärt die Sowjetunion, er hasst den Kommunismus. Die klaustrophobische triste Wohnung erinnert an die Schlachtfelder des Konkurrenzkampfes zwischen den Großmächten. Ein Mikrokosmos voller Hass, Ironie, Misstrauen, mit aller Wucht prallen die konträren Wertvorstellungen aufeinander. Schach ist in diesem Film nur eine Waffenart von vielen und entwickelt sich zu einem ästhetischen wie intellektuellen Erlebnis. Edward Zwick („Last Samurai”, „Love & Other Drugs”) und Kameramann Bradford Young („A Most Violent Year”) konzentrieren sich auf den mentalen Wahnsinn des Spiels und seiner Protagonisten. Archivmaterial und inszenierte Wirklichkeit verschmelzen, Drehbuchautor Steven Knight („Kleine schmutzige Tricks”) weicht manchmal in die Fiktion aus, damit die Geschichte nicht wie ein Puzzle in seine unzähligen Einzelteile zerfällt.

Bobby Fischer ist stur, exzentrisch, launisch, arrogant, er weigert sich, nach anderen Regeln als den eigenen zu spielen. Bei der Schacholympiade 1962 in Varna, Bulgarien stürmt er hinaus, weil er sich von der russischen Armada von Spielern ausgetrickst fühlt. Nicht ganz zu Unrecht. Zur Seite stehen dem widerspenstigen Star mit unerschütterlicher Loyalität und Geduld zwei Männer: Paul Marshall (Michael Stuhlbarg) ein patriotischer Anwalt mit CIA-Kontakten, der in dem Ausnahmetalent das politische Potential sieht und der katholische Priester William Lombardy (Peter Sarsgaarrd), selber Großmeister, er hat den Jungen schon während der Schulzeit gecoacht. Beide versuchen oft vergeblich, Bobbys Temperament in den Griff zu bekommen.1966 verliert Fischer gegen Boris Spassky (Liev Schreiber) beim Piatigorsky Match in Santa Monica die entscheidende Partie. Sein erstes Liebesabenteuer hat ihn vielleicht zu sehr abgelenkt. Ein Trick aus dem Repertoire des KGB? Der attraktive sowjetische Titelverteidiger scheint das Gegenteil des hypernervösen aggressiven Amerikaners: Er ist cool, schlau, strahlt stets stoische Ruhe und eine selbstverständliche Überlegenheit aus, auch wenn er nach dem Schwimmen grade aus dem Ozean steigt. Während ihm seine Gefolgsleute den Bademantel reichen, pöbelt Bobby Fischer ihn an: „He, ich mach Dich fertig.” In seiner Wut und dem mausgrauen Anzug gibt er eine eher klägliche verzweifelte Figur ab.

Edward Zwick wechselt ständig zwischen den Schauplätzen und Jahrzehnten, Stilen und Techniken, digital, Super 16, Bolex, Umkehrfilm. Über allem liegt eine bittersüße Melancholie. Jede Location hat ihre eigene Farbpalette. „Bauernopfer – Spiel der Könige” ist weniger Chronik einer unvergleichlichen Karriere als eines seelischen Höllentrips. Seine obskuren Ängste, Wahnvorstellungen von Verschwörungen oder Spionage zerstören den Protagonisten, treiben ihn immer mehr in die Enge. Bobby ist unberechenbar. Seine Forderungen kurz vor Beginn der Weltmeisterschaft werden grotesk, er verlangt immer mehr Geld. Den Kopf versteckt unter einer braunen Papiertüte mit zwei Löchern, durchquert er das Heer von Journalisten und Fotographen. Anderthalb Meter Abstand soll während des Spiels zwischen ihm und dem Publikum sein: „Es ist fast so, als höre ich deren Gedanken”. Der Hoffnungsträger Amerikas wütet ohne Ende, entpuppt sich als geifernder Antisemit, wittert überall Konspirationen von Russen oder Juden. Bobby ist selber Jude. Die Schwester fürchtet, er könnte zusammenbrechen, aber Marshall weiß, sein Schützling wird nicht zusammenbrechen, er wird „explodieren“. Grandios wie Tobey Maguire diesen 29jährigen verkörpert, der wirklich etwas von einem ständig brodelnden Vulkan hat. Die ganze Welt ist vom Schachfieber befallen, bisher hatte stets Russland jene Disziplin dominiert, jetzt bietet sich endlich eine Chance, die intellektuelle Überlegenheit des Westens unter Beweis zu stellen. Demokratie gegen Diktatur, Kapitalismus gegen Kommunismus. Ein ungeheuer symbolischer Wettkampf und Bobby tut alles Erdenkliche, ihn zu torpedieren. Er will nun, dass die Weltmeisterschaft in einem kleinen Kellerraum ausgetragen wird.

Sein Hotelzimmer zerlegt er in Einzelteile auf der Suche nach Wanzen oder anderen Abhörgeräten, der Fernseher wird verbannt aus dem Trümmerfeld. Bobby wird immer irrationaler. Will er seine Macht unter Beweis stellen? Ist er einfach nur verrückt oder verbirgt sich dahinter eine Taktik, den Gegner zu verunsichern? Schach beherrscht seine Meister und nicht umgekehrt, es fessele ihren Geist auf eine Weise, dass die innere Freiheit selbst des Stärksten darunter leide, dies erkannte schon Albert Einstein. Paranoia ist ansteckend, aber irgendwann beginnt der Zuschauer auch zu begreifen, dass diese Ängste nicht alle ganz unbegründet sind, spätestens als der eigentlich so ausgeglichene Spassky ähnliche Symptome zeigt. Er beharrt, etwas würde mit seinem Stuhl nicht stimmen, er höre ein Geräusch. Im Stahlrohr entdeckt man eine Fliege. Auch der Russe ist überzeugt, abgehört zu werden, nur erträgt er es auf seine elegant-lässige Art. Wenn der Geheimdienst ruhig hören soll, was er sagt, spricht er in Richtung Deckenbeleuchtung, sonst dreht er die Musik auf volle Lautstärke. Henry Kissinger spricht Bobby Fischer am Telefon Mut zu. Es kommt zu der spektakulären Begegnung, David gegen Goliath, der arme Junge aus Brooklyn gegen das sowjetische Imperium. Nach dem Sieg beginnt Fischers mysteriöser tragischer Abstieg. Was war der Auslöser für seine Paranoia, die frühe Kindheit? Der Hass auf die Kommunisten eine Rache an der Mutter, die ihn vernachlässigte? Wer bespitzelt wen? Der Film versucht keine Antworten zu geben, Geheimnisse bleiben Geheimnisse, was hinter den Kulissen beschlossen wurde, wir werden es nie erfahren. Bobbys größter Feind ist er selbst. Der Regisseur bezeichnet ihn als „eine Art Pre-Punk, will heißen, er war arrogant, es scherte ihn einen Dreck, was andere Leute dachten... eine Art Antiheld, antiautoritäre Figur, die jeder liebte. Hier ist ein ziemlich sozialer Tölpel und rücksichtsloser Genius, aber er zieht uns nichtsdestotrotz in seinen Bann.”

Der Titel des Films „Bauernopfer“ soll eine Allegorie auf die Politik jener Jahre sein. „Es ist beim Schach ein Zug, wo man einen Bauern opfert für einen höheren Zweck,” erklärt Knight. „Es faszinierte mich, weil Bobby genau das war, ein Bauer im großen internationalen Spiel und er wurde geopfert.“ Zwick fügt hinzu: „Es bedeutet metaphorisch auch, dass beide Männer, Spassky und Fischer, für ihre Nationen Bauern waren. Sie haben sich gewehrt, so gut sie konnten. „Im Spiel Nr. 6 machte Fischer wahrscheinlich den besten Zug seines Lebens, es war ein Bauernopfer“, ergänzt Schach-Experte Richard Berubé.

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Originaltitel: Pawn Sacrifice
Regie: Edward Zwick
Darsteller: Tobey Maguire, Liev Schreiber, Michael Stuhlbarg
Produktionsland: USA, 2014
Länge: 115 Minuten
Verleih: StudioCanal Deutschland
Kinostart: 28. April 2016

Fotos & Trailer: Copyright StudioCanal Deutschland

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