Film

Die Zivilisation ist nur noch eine diffuse Erinnerung: die Natur zerstört, Rohstoffe aufgebraucht, Benzin rar und um vieles kostbarer als ein Menschenleben. Wurden früher Kriege um Raffinerien geführt, so kämpfen die wenigen Überlebenden nun verzweifelt um das Wasser. Wer den Zugang dazu hat, besitzt uneingeschränkte Macht. In der Wüste regiert Warlord Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne). Er hat sich selbst zum grotesk gottähnlichen Alleinherrscher ernannt, die meisten der Untertanen zu rechtlosen Sklaven degradiert. Für wenige Schluck Wasser am Tag werden sie in seiner Zitadelle skrupellos ausgebeutet. Unaufhörlich drehen sie gigantische Zahnräder, bewegen riesige Aufzüge per Hand, denn Elektrizität gibt es schon lange nicht mehr. Seinen Söldnern verspricht der Tyrann für den ruhmreichen Heldentod ein verlockendes Leben im Jenseits, genannt Walhalla. Immortan Joe ernährt sich und seine Entourage von Muttermilch. Zu diesem Zweck unterhält er einen Harem schöner junger Frauen als Gebärmaschinen. Der Despot ist eigentlich ein hinfälliger alter Mann, bedeckt mit ekelerregenden faulenden Beulen. Die Schwächen bleiben verborgen unter Puder und einer martialischen Rüstung, die Stärke wie Überlegenheit suggeriert. Seine grauenerregende Maske lehrt jeden das Fürchten und hinter dem Steuer des monströsen Kampfvehikels überfällt ihn die gleiche blutrünstige Besessenheit wie die jüngeren Krieger. Nur dass er darauf achtet, nicht zu Tode zu kommen.

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Worte haben als Kommunikation an Bedeutung verloren im post-apokalyptischen Ödland. Die ersten 15 Minuten des Films kommen fast ohne aus. Der Soundtrack von Junkie XL hämmert Wahnsinn, Zorn, Verzweiflung in unser Bewusstsein ein. Auch später wird meist nur das Nötigste gesprochen oder gebrüllt, geknurrt, gemurrt, gegrunzt, oft völlig unverständlich. Eine der wenigen wichtigen Messages wird an die Wand geschmiert als unwiderrufliche Aussage. Und doch weiß der Zuschauer zu jedem Zeitpunkt, was vor sich geht in den Köpfen der Akteure und auf diesem fast völlig zerstören Planeten. Wie schafft das George Miller? Nicht ohne Grund vergleichen ihn seine Bewunderer mit den Malerkünstlern Hieronymus Bosch (1450-1516) oder Francisco Goya (1746-1828). Der 70jährige australische Regisseur stilisiert seine Action-Sequenzen zu kinetischer Konzeptkunst, sie sind für ihn wie „eine Art visueller Musik”. Dystopische Endzeitepen gelten in der Regel als Allegorie auf die heutige Gesellschaft. Aber selten ist jedes Detail, jede Figur so voller Symbolik und versteckter Anspielungen ganz unabhängig vom Verlauf der Handlung. In „Mad Max: Fury Road” heben sich die Grenzen zwischen Kulturen und Epochen auf. Das post-apokalyptische Jetzt vermischt sich mit germanischer Blut-und-Boden-Mythologie und islamischer Heilslehre. Die modische Sucht nach ewiger Jugend trifft auf den klassischen männlichen Besitzanspruch. Eine rebellische Amazone wird zur Ikone des Feminismus.

Max, der einsame Wolf, ist in der Wüste von den Schergen des Tyrannen überwältigt und verschleppt worden. Er wird in Ketten gelegt. Ihm, der von Natur aus oder ob seines Schicksals schon wortkarg war, wird auch noch ein stählerner Maulkorb verpasst. Von nun an fungiert er als lebender Blutspender für die Söldner. Bei Kämpfen wird er auf die Kühlerhaube gekettet wie eine Galionsfigur. Imperator Furiosa (kahlgeschoren Charlize Theron) stand in den Diensten des Despoten, nun aber hat sie sich entschlossen, die fünf zur Fortpflanzung vorgesehenen Frauen (eine davon hochschwanger) zu befreien. Die rebellische einarmige Kriegerin schleust sie in einem gepanzerten Sattelschlepper aus dem Machtbereich der Felsenfestung. Im Kampfgetümmel der Banden trifft sie auf Max, der schließt sich nur der Not gehorchend den Frauen an. Furiosa will zurück in die Welt, aus der man sie einst entführt hatte, eine grüne Oase, ihr Elternhaus. „Hoffnung ist ein Fehler”, erklärt ihr Max. Die Warnung kommt zu spät. Immortan Joe will seine Frauen wiederhaben genau wie den Tanklaster mit Benzin. Er schickt den Flüchtenden eine ganze Armada hinterher. Die Frauen sind die Einzigen in diesem post-apokalyptischen Universum, die Widerstand leisten, nicht den Parolen des Tyrannen vertrauen. Sie wehren sich jedoch ebenso gegen den Nihilismus von Max, träumen trotz allem von Zukunft und Freiheit.

„Sie suchen uns”, sagt Furiosa zu Max, der endlich seine stählernen Fesseln los ist. „Und was suchst Du?” fragt er. „Erlösung”, antwortet die furchtlose Kriegerin. Erlösung hat Max Rockatansky auch in den ersten drei Folgen des Films nie gefunden, für ihn zählte nur Rache. Der Höllenkonvoi mit dem Despoten rückt unaufhörlich näher. Jedes Vehikel für sich ist ein gespenstisches Wesen mit aufgeschweißten alten Mercedes- oder VW-Karosserien, riesigen Abwehrstacheln, Schießständen, Flammenwerfer, Enterhaken. Auf einem der gepanzerten Kampffahrzeuge sind Türme von Lautsprechern befestigt. Die tätowierten, gepiercten Krieger trommeln sich in einen blutigen Rausch. Vor der Motorhaube eines anderen retrofuturistischen Vehikels ein Heavy-Metal-Rocker mit feuerspeiender Gitarre. An langsamen biegsamen Stangen lassen sich die todessüchtigen War Boys durch die Luft schleudern, aus der Ferne erinnern sie an Aasgeier. Sie springen von einem Autodach zum nächsten, verfolgen ihre Gegner gnadenlos. Die Wagen krachen auf einander, überschlagen sich, explodieren, bersten. Die Zerstörung kennt unzählige Geräuschnuancen.

„Meine Welt besteht aus Blut und Feuer”, sagt Max ganz zu Anfang des Films. Ein glühendes Rot ist die Farbe, die den Film bei Tag bestimmt. Des Nachts erstarrt das zum Untergang verurteilte Universum zu einer dunkelblauen chromfarbenen Komposition. Jede Einstellung ein Kunstwerk für sich, solche Choreographie hatte noch nie zuvor ein Action-Film gewagt. Der Prozess der Zerstörung ist manchmal von fast herrschaftlicher Schönheit und dann wieder zutiefst erschreckend. Wenn der Tyrann sich seinen Untertanen aus sicherer Entfernung zeigt, scheint die Erde zu beben. Doch es ist nicht der Boden, es sind Menschen dicht gedrängt in ihrem Elend, die sich plötzlich bewegen, ihre Schalen hochreißen in einer Geste letzter Verzweiflung. Wasser, es wird wieder nicht für alle reichen. Zu Recht fragt sich der Protagonist, wer verrückter ist, er oder die Anderen. Aber es geht nicht um Wahnsinn, sondern um eine korrupte, gierige, von Gewalt zersetzte Gesellschaft, in der Maschinen einen höheren Stellenwert haben als Menschen. Italo Western, mittelalterliches Gemetzel, antikes Schlachtgetümmel, „Mad Max: Fury Road” streift die Genres wie im Vorübergehen, folgt seinem ureigenen Rhythmus und Regeln. Max und Furiosa sind am Ende Komplizen geworden im Kampf gegen den Tyrannen. Ein Kopfnicken, vielleicht der Ansatz eines Lächeln? Nein doch nicht, aber was immer es war, Furiosa weiß es zu schätzen. Tom Hardy versteht sich darauf, Außenseiter zu spielen wie den verschlossenen Barkeeper in „The Drop” oder den enttäuschten sowjetischen Geheimdienstoffizier in „Kind 44”, der entdecken muss, dass seine Frau nur aus Furcht vor ihm der Ehe zugestimmt hat. Charlize Theron nimmt sich genauso zurück wie Tom Hardy: große Emotionen mit minimalistischen Mitteln. Nur einmal kniet sie nieder in den Wüstendünen und schreit ihre Enttäuschung hinaus. Das Grüne Paradies, von dem sie immer träumte, ihre Heimat, ist untergegangen wie alles Andere auch. Doch es sind ein paar Samen gerettet. Die Protagonisten werden nie ganz jene Spur von Ironie verlieren, die das Leben aber auch das Sterben eines Tages leichter werden lässt. Es ist ein kostbarer Film, vor allem, weil hier fast alles, zumindest 90 Prozent, wie einst im klassischen Kino wirkliches Handwerk ist, das heißt keine Computeranimation.

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Originaltitel: Mad Max: Fury Road
Regie: George Miller
Darsteller: Tom Hardy, Charlize Theron, Zoe Kravitz, Nicholas Hoult
Produktionsland: USA, Australien, 2015
Verleih: Warner Bros. GmbH
Kinostart: 14. Mai 2015


Fotos & Trailer: © 2015 WV FILMS IV LLC AND RATPAC-DUNE ENTERTAINMENT LLC - U.S., CANADA, BAHAMAS & BERMUDA  © 2015 VILLAGE ROADSHOW FILMS (BVI) LIMITED - ALL OTHER TERRITORIES. Photo Credit: Jasin Boland.