Film
Abel Morales (Oscar Isaac) scheint es genau der richtige Moment, alles auf eine Karte zu setzen. Noch vor zehn Jahren saß der Sohn kolumbianischer Einwanderer am Steuer eines Tanklasters, heute ist er Chef der ‚Standard Heating Oil Company’. Zu Wohlstand gebracht hat er es auch durch seine Ehe mit Anna (Jessica Chastain), der Tochter eines lokalen Mafiabosses. Die zwei sind ein perfektes Paar, attraktiv, leidenschaftlich, ehrgeizig. Aber der Unternehmer will seinen Aufstieg schaffen mit legalen Mitteln, korrekt, ohne krumme Touren. Er ist der Träumer, sie die Realistin.

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Abels Kamelhaarmantel, zweireihig, edel, eine Spur zu auffällig, erinnert an Al Pacino in „Der Pate II”. So etwas tragen Gangster, wenn sie respektabel erscheinen wollen. Selbst Michael Corleone musste einst wählen zwischen Gut und Böse. J.C. Chandors Protagonist will nicht so enden wie er oder sein Schwiegervater. Nur die Grenzen zwischen dem Streben nach Glück und Steuerhinterziehung sind oft fließend. Anna mokiert sich über den Anspruch ihres Mannes auf Ehrlichkeit, nennt ihn spöttisch „Mr. American Dream”. Die beiden stehen vor der Herausforderung ihres Lebens: sie haben die Option auf ein Industriegelände direkt am East River erworben, damit könnte die Firma zum bedeutendsten Heizöllieferanten News Yorks werden. Für die Restzahlung in Millionenhöhe bleiben Anna und Abel nur ein Monat. Kriegen sie das Geld nicht zusammen, verlieren sie die Anzahlung, ihre gesamten Rücklagen. Natürlich auch das Grundstück, für das sich schon die Rivalen interessieren.

Das Paar riskiert seine Zukunft und die ihrer drei kleinen Töchter. Die Bank hat ihnen Unterstützung zugesichert. Doch nun überfallen Gangster die Trucks der Firma auf dem Freeway, halten den Fahrern die Knarre an die Schläfe, schlagen sie zusammen und kapern die Fahrzeuge mit der kostbaren Fracht. Die leeren Tankwagen tauchen zwar immer irgendwo wieder auf, nur lassen sich die finanzielle Einbußen und der Verlust an Ansehen schwer zu verkraften in einer Branche, wo man keine Schwäche zeigen darf. Das Paar vermutet, dass die Konkurrenz dahinter steckt. Dieses Mal hat es Julian (Elyes Gabel) erwischt. Er liegt verletzt im Krankenhaus. Abel ist einer, der sich um seine Leute kümmert, Mut zuspricht, Hilfe anbietet. Aber als der Gewerkschaftsvertreter von ihm fordert, die Fahrer zu bewaffnen, lehnt er kategorisch ab. Jede Art der Gewalt wäre für ihn wie das Eingeständnis persönlicher Unfähigkeit: „Wenn einer dieser Kerle jemanden erschießt, ist dies das Ende von allem wofür wir gekämpft haben”.

J.C. Chandor gelingt wie kaum einem anderen Filmemacher unserer Zeit komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge in fesselnde Dramen umzusetzen ob in seinem Börsen-Thriller „Margin Call” (2011) oder der minimalistischen Schiffsbruch-Odyssee „All is Lost” (2013). Es geht um existenzielle moralische Krisen, den letzten entscheidenden Überlebenskampf, Alles oder Nichts. Die Protagonisten sind in diesem Moment gefordert, ihre Einstellung neu zu überdenken. Die Zukunft ähnelt einem drohenden Abgrund, ob während der Finanzkrise zwischen knallharten Investment-Bankern oder allein mitten im Ozean. Verbrechen wird hier zum Spiegel der gesellschaftlichen Strukturen wie auch der persönlichen Beziehungen. „A Most Violent Year”, der Titel spricht von Gewalt, sie ist als Bedrohung wie als Thema immer präsent, der Film selbst zeigt meist nur die Spuren davon: Trostlose verfallene Wohnviertel zu Ruinen verkommen, öde verdreckte Industriegelände, zerstörte, von Graffiti verschmierte U-Bahnhöfe. Die Stadt gleicht einem Kriegsgebiet nicht dem glamourösen New York unterhaltsamer Kinokomödien. Der Kapitalismus fordert seine Opfer, die Ölkrise der 70er-Jahre hat die blühende Metropole in einen Sumpf aus Korruption und Kriminalität verwandelt. Immer mehr Einwanderer drängen in die Stadtbezirke auf der Suche nach einer besseren Existenz. Die Weißen flüchten in die sicheren Vororte. „White flight” nannte man es.

Abel wendet sich an den stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt Lawrence (David Oyelowo). Statt der erwarteten Hilfe kündigt Lawrence eine Klage gegen die Firma an, die das Ehepaar vor Jahren von Annas Vater gekauft hat. Gelassen sieht Abel der Überprüfung der Bücher entgegen. Doch Andrew Walsh (Albert Brooks), sein Anwalt, warnt ihn davor, die Ermittlung nicht ernst genug zu nehmen. Anna, die seit der Übernahme des Betriebes die Bücher führt, teilt seine Besorgnis. „Ihr müsst glauben, dass wir besser sind,” schwört der selbstbewusste Unternehmer derweil seine jungen Mitarbeiter ein. Sie sollen neue Kunden anwerben. Abel ahnt nicht, dass einer von ihnen bald von angeheuerten Schlägern schwer misshandelt wird. Noch weniger glaubt er die eigene Familie bedroht. Als nachts ein Mann um sein Haus schleicht, vertreibt er ihn mit dem Baseballschläger. Am nächsten Tag entdeckt Anna, wie ihre jüngste Tochter mit einer geladenen Pistole spielt, die der Unbekannte im Garten weggeworfen hat. Die sonst eher kontrollierte kühle Blonde rastet aus und macht ihrem Mann unmissverständlich klar, dass er umdenken muss: „Das kann so nicht weitergehen, du führst hier einen Krieg”. Sie selbst scheut sich nicht davor, einen kleinen Revolver in der Handtasche bei sich zu führen. Ihr krimineller Papa hatte wenig Geschick fürs Geschäftliche, sie hämmert dagegen unerbittlich in die ratternde Rechenmaschine, behält immer ihre Überlegenheit, selbst wenn die Fahnder während eines Kindergeburtstage zur Hausdurchsuchung anrücken. Eine furchtlose Lady Macbeth der kreativen Buchhaltung, sie weiß, wann und wie Aktenordner verschwinden müssen. In solchen Momenten ist ihr Mann mehr Befehlsempfänger als Boss.

Anna ähnelt in ihrem weißen Armani-Mantel mit den gepolsterten Schultern einer Femme Fatale aus den Filmen der Vierziger Jahre. Sie und Abel wissen beide, was sie einander verschweigen sollten, zum Wohle der Familie und der Firma. Daheim mag es Unstimmigkeiten geben, aber nach Außen hin ist ihre Loyalität unerschütterlich. „Mein Mann ist ein guter Mann, verwechseln sie seine Ehrlichkeit nicht mit Schwäche. Er hat Respekt verdient,” belehrt Anna den Bezirksstaatsanwalt. Dies ist New York vor der Ära sandgestrahlter Luxussanierungen, ohne Trump Tower und Arrigo Cipriani Imperium. Es hat eine grimmige schmuddelige Romantik. Selbst der Schnee hat etwas Grauschmutziges, die beißende Kälte einer feindlichen Stadt lässt uns erschauern. Kameramann Bradford Young („Selma”) versetzt den Zuschauer mit seinen ausgewaschenen Farben zurück in die Siebziger Jahre, die Ästhetik von „The Godfather II”. Draußen im klaren Winterlicht dominieren Erdtöne, drinnen bei den zwielichtigen Deals im Hinterzimmer schummriges Dunkel. Das von Anna und Abel gerade neuerworbene Traumhaus aus Stahl, Glas und Beton wirkt da seltsam steril, unwohnlich. Ein Statussymbol was ihnen selbst noch fremd ist.

Die Staatsanwaltschaft erhebt in 14 Punkten Anklage. „Wir haben es etwas zu weit getrieben,” seufzt der Verteidiger. Die Bank zieht ihre Zusage zurück. Abel gibt nicht auf, im Gegenteil. Es beginnt ein Wettrennen gegen die Zeit. Die Serie von Überfällen auf die Trucks reißt nicht ab. Julian bettelt darum,  ihm einen anderen Job zu geben. Er stößt bei Abel auf taube Ohren. Aus Angst besorgt er sich entgegen der ausdrücklichen Anordnung der Firma eine Waffe. Als er wieder angegriffen wird, kommt es zu einer wilden Schießerei. Die Täter fliehen und Julian mit ihnen. Der Unternehmer lässt nichts unversucht, das Geld für das Industriegelände aufzutreiben. Hier zeigt sich seine Unerschrockenheit, Stärke, Cleverness, Kühnheit. Ehefrau, Anwalt, Konkurrenten, auch wir, alle haben ihn unterschätzt, seine Ethik für Naivität gehalten. Abel muss seine Grundsätze neu überdenken, er lernt, die Gegner geschickt gegeneinander auszuspielen. Was wir an ihm bewundern? Dass er nicht aufgibt, obwohl der Kampf aussichtslos scheint. „Wenn man Angst hat zu springen, genau dann muss man springen, sonst tritt man für den Rest seines Lebens auf der Stelle. Und das kann ich einfach nicht.” Und so holt er sich das Geld zurück, um was man ihn betrogen hat. Viele seiner Prinzipien gehen dabei zu Bruch. Das Leben von Julian endet tragisch. J.C. Chandor beweist sich wieder als meisterhafter Erzähler, „A Most Violent Year,” soll trotz seiner spektakulären Verfolgungsjagd kein Actionthriller sein. Die Spannung ist eine andere, intime, intensivere, der man sich nicht entziehen kann wie damals bei Robert Redford auf dem untergehenden Schiffwrack.

Abel, Kreuzritter oder Opportunist, eine grandiose Rolle für Oscar Isaac. Der in Guatemala geborene und in Miami aufgewachsene Schauspieler hatte seinen Durchbruch in dem betörend schönen Film der Coen-Brüder „Inside Llewyn Davis”. Er spielte dort einen talentierten aber glücklosen Folksänger, ein mürrischer Rebell, der alles daran setzt die Mitmenschen zu verprellen. Seine Songs sind herzzerreißend („Hang me, oh hang me, until I am dead and gone”), doch der introvertierte Musiker selber gibt sich schroff, fast rüde, manchmal, vielleicht ungewollt, überheblich und gehässig. Abel ist genau das Gegenteil, gewissenhaft, pflichtbewusst, umgänglich. Er hat nicht das Selbstgefällige reich geborener Kids, war nie auf einem Elite-College, ihm fehlt das elegant Geschmeidige der Upper Class. Sportlich, stämmig, eher untersetzt, achtet er auf sein Äußeres, formuliert mit Bedacht, sein Akzent ist makellos, sein Charme soll nicht als billig, anbiedernd rüber kommen. Er ist authentisch mit seinem manchmal fast rührenden Idealismus, den etwas schmierigen Verkaufstricks, jener hölzernen Forschheit, die davon zeugt, dass er sich an den sozialen Aufstieg noch nicht gewöhnt hat. Er gibt sich nie dreist, immer höflich, bewusst zurückhaltend, es braucht viel ihn zu provozieren, damit er die Kontrolle verliert. Welten entfernt von den arroganten Youngstern, die ‚Lehman Brothers’ später aufmarschieren lässt. Abel soll an Corleone erinnern, weil er genau so nie werden will. Wir bewundern ihn für seine Entschlossenheit, sein tiefes Selbstvertrauen. Bis zuletzt sieht er nicht aus wie einer, der gewinnen kann. Ihm fehlt die Kaltblütigkeit, einem sterbenden Hirsch den erlösenden Todesstoß zu versetzen, aber er schreckt nicht davor zurück, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Jener Unternehmer wirkt wie ein Relikt längst vergangener Zeiten, seine Skrupel erfüllen uns mit unglaublicher Nostalgie. Kämpfen, sich wehren, so wie es J.C. Chandors Protagonist es tut, ist heute wohl kaum noch möglich nach dem Aufstieg der Wallstreet und der Deregulierung der Banken.

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Originaltitel: A Most Violent Year
Regie/Drehbuch: J.C. Chandor
Darsteller: Oscar Isaac, Jessica Chastain, David Oyelowo, Albert Brooks, Elyes Gabel
Produktionsland: USA, 2014
Länge: 129 Minuten
Filmverleih: SquareOne Entertainment, Universum Film
Kinostart: 19. März

Fotos & Trailer: Copyright SquareOne Entertainment